A. Lorenzen: Die Verschiebungen der Strandlinie an der Westküste Finnlands.
Bücherschau. 161
Die Verschiebungen der Strandlinie an der Westküste
Finnlands.
Von A. Lorenzen.
Einen interessanten Beitrag zur Frage der Kunde von
der Verschiebung der Strandlinie an der westlichen Küste
Finnlands liefert Hofrat Walilroos in Fennia, Bd. 12 (Hel-
singfors, 1896). Er vergleicht nämlich die bei der grofsen
Aufteilung (Storskifte) in der letzten Hälfte des 18. Jahr
hunderts aufgenommenen. Aufteilungskarten mit den gegen
wärtigen und zeigt auf der beigefügten Karte die recht
erheblichen Abweichungen, welche die Konturen der Strand
linien nördlich von Björneborg aufzuweisen haben. — Bei
der Storskifte wurde eine Zusammenlegung von zerstreuten
kleineren Losen der Eigentümer zu gröfseren Parzellen be
zweckt. Da hiermit ein Austausch verbunden war, so er
heischte dieses Verfahren eine Kartierung der Besitzungen.
Als aber das Meer stetig, wenn auch in geringem Mafse,
zurücktrat, entstanden überall Landbildungen, Anlandungen
genannt, die jedoch nicht überall den gleichen Wert hatten;
denn während eine trocken gelegte flache Einbuchtung viel
leicht eine gute Wiese von bedeutendem Areal lieferte, erhielt
der Nachbar vielleicht einen steinichten Acker von geringem
Wert, oder infolge des steil abfallenden Ufers war dessen
Landgewinn unbedeutend. So veranlafste die Verschiebung
der Strandlinie neue Aufteilungen der Anlandungen, durch
welche die Anlandungen unter die Dorfgenossen nach ihrem
Besitz Verhältnis aufgeteilt wurden. Diese Verteilungen der
Anlandungen sind zur Hauptsache in den letzten Jahrzehnten
vorgenommen worden. Bei ihrer Ausführung wurden zu
nächst die Strandlandschaften und die Inseln in ihrem gegen
wärtigen Zustande kartiert und in die so erhaltenen Karten
die alten Strandlinien eingetragen, so dafs der Zwischenraum
zwischen beiden Strandlinien die neuen Landbildungen während
der Zeit zwischen der grofsen Aufteilung und der Aufteilung
der Anlandungen zeigte. — Dabei ergab sich, dafs die Land
bildungen nur zu einem gewissen Teile auf die 'eigentliche
Hebung des Landes zurückzuführen sind , wie z. B. bei der
im offenen Meere liegenden Inselgruppe Ouran oder bei
Köörtila im Kirchspiel Merikarvia. In Köörtila umfafste die.
Zeit zwischen den beiden Aufteilungen genau ein Jahrhundert
(1784 bis 1883); hier ist das Areal der Insel Hevoskari auf
das dreifache gewachsen, und diese Vergröfserung wird noch
weiter anhalten; denn schon jetzt stöfst jedes Boot in dem
schmalen Gewässer nach dem Strande zu auf den Grund, und
selbst in der breiten Bucht zwischen Hewoskari und Salto
beträgt die Tiefe kaum irgendwo 2 m; auch in den inneren
Scheren sind viele flache Buchten und Sunde verschwunden,
so dafs viele Inseln teils mit dem Festlande, teils unter sich
verbunden sind, so Salto mit Pooskäri, und der Sund nördlich
von Hewoskari zwischen Pooskäri und dem festen Lande ist
bei niedrigem Wasserstande fast ganz trocken.. Einige der
gröfseren Buchten stehen nur noch durch schmale flache
Sunde mit dem Meere in Verbindung, so dafs sie fast in
Binnenseen verwandelt sind, von denen aus die Fischer,
welche ihre früheren Landungsplätze beibehalten haben, diese
fast nur durch gegrabene Kanäle, wie im Sunde zwischen Sout-
skäri und Munkholm, erreichen können. Bei Ouran ist eine
Menge kleinerer Inseln zum Vorschein gekommen.
Die gröfsten Veränderungen werden jedoch da hervor
gerufen , wo Flüsse oder Bäche in das Meer münden und
durch Ablagerung des mitgeführten Schlammes die Erhöhung
des Meeresbodens auch von oben beschleunigen. Die Menge
des herabgeführten Schlammes ist jedoch nicht so sehr von
der abfliefsenden Wassermenge oder von der Länge des
Wasserlaufes, als vielmehr von der Beschaffenheit der Um
gebungen des Wasserlaufes und der relativen Erhebung der
Umgebung über denselben abhängig. Diese Verhältnisse
schildert Wahlroos eingehend an den drei Auen Merikar-
vianjoki, Lampinjoki und Noormarkunjoki, welche nördlich
von Björneborg münden und mehrfach durch Bifurkationen
miteinander in Verbindung stehen. Von diesen bildet Merikar-
vianjoki kein nennenswertes Delta, weil die Zusammensetzung
seines Strandgebietes der Bildung von Erosionsprodukten
nicht günstig ist und die wenigen mitgeführten öfters Zeit
und Gelegenheit zur Ablagerung in den durchflossenen Seen
haben. Lampinjoki überschwemmt infolge seiner geringen
Wassermenge nur selten seine Ufer, obwohl diese nicht hoch
sind, so dafs die ihm zugefübrten Schlammprodukte keine
Gelegenheit haben, sich unterwegs niederzuschlagen. Trotz
dem findet sich auch hier kein nennenswertes Delta; aber
der Keikvesi, in den der Lampinjoki mündet, ist schon durch
den mitgeführten Schlamm auf weite Strecken derart abge
flacht, dafs die Strandverschiebung in nächster Zeit auch
hier bedeutend werden dürfte, wofür auch die starke Be
wachsung mit Rohr und anderen Wasserpflanzen Zeugnis ab
legt. — Weitaus die beträchtlichsten Strandverschiebungen
infolge von Ablagerung mitgeführten Schlammes ruft der
Noormarkunjoki hervor (innerhalb der Gemeinde Ahlais Ala-
kyla oder Hvittisbofjärd allein 667 065 ha von 1784 bis 1894).
Diese gewaltigen Ablagerungen finden darin ihre Erklärung,
dafs das Bett des Noormarkunjoki auf weite Strecken von
hohen Ufern, aus Ackerland bestehend, begrenzt wird, so
dafs dem Flusse bedeutende Mengen von Erosionsprodukten
zugeführt werden. Da aber dem Laufe des Flusses keine
wesentliche Hemmnisse bereitet werden (selbst in dem kleinen
See Nättäläjävi ist die Strömung so stark, dafs fast kein Ab
satz stattfinden kann), werden alle Erosionsprodukte der
Mündung zugeführt. Dieselbe ist jedoch durch eine Menge
kleinerer Inseln vom Meere abgesperrt, mit dem sie nur
durch einige schmale Sunde in Vex-bindung steht, und alle
diese günstigen Umstände haben bewirkt, dafs hier ein Delta
sich bildete, welches zu der Wassermasse des Flusses in gar
keinem Verhältnis steht. Ist aber erst der ganze Einschnitt
zugeschüttet, so werden die Anlandungen hier bei weitem
nicht den Umfang erreichen, wie im gegenwärtigen Jahr
hundert; denn das Meer erreicht vor den Inseln Sandö, Fiskö
und Gislö eine beträchtliche Tiefe.
Die Strandverschiebungen am offenen Meere werden
endlich zum Teil auf die Einwirkung des Wellenschlages
zurückgeführt. Zur Begründung dieser Auffassung zieht Ver-
fasser die Wirkung des Stux'mes hex’an, welcher am 23. Ok
tober 1873 die Gegend von Bjöx-nebox-g heimsuchte. Die Wind-
i’ichtung war wie bei allen heftigeren Stürmen aus Südwesten.
Die Insel Rafsö ist dem Wellenschläge aus dieser Richtung
ohne jeden Schutz ausgesetzt, so dafs die Kraft der Wellen
hier nicht gebrochen wird. Während des Sturmes stieg das
Wasser schnell etwa 2 m über gewöhxxlichen Wasserstand;
aber die Welleix schlugen weit höher hinauf und bildeten,
indem sie das abgerundete Geröll, welches im südlichen Teile
der Insel frei von Sand und Kies ist, auf dieser Strecke einen
neuen konkox'danten Absatz, der noch vor etwa 10 Jahren deut
lich wahrgenommen wex-den konnte, weil die hinaufgeworfenen
Steine frisch hellgelb waren, während diejenigen, die von den
Wogen unbei’ühi't geblieben waren, von den ihnen anhaf
tenden Flechten grau gefärbt wax-en. Vei-allgemeinernd führt
Wahlroos die im Innern des Landes an den Abhängen der
Aaser auftretenden, konkordant verlaufenden Stufenabsätze
auf die Einwix-kung des Wellenschlages wäln-end der orkan
artigen Stürme zurück. Derselben Ursache schreibt er auch
die beträchtlichen Strandvex-schiebungen zu, welche nach einer
von Olaf Möx-t im Jahx-e 1689 entwoi-fenen Kai-te am süd
westlichen Ufer von Ytterö stattgefunden haben müssen.
Büchersclxau.
Dr. Emil Wisotzki: Zeitströmungexx in der Geogra
phie. Leipzig, Verlag von Duncker und Humblot, 1897.
Das vorliegende Buch enthält, was nach dem Titel viel
leicht nicht jeder sofort vermuten wird, Beiträge zur Ge
schichte der geographischen Lehren und Meinungen, voi'züg-
lich für die Neuzeit bis zu den Tagen Kax-1 Ritters. Und
zwar handelt es sich dabei überall um Dinge, die über das
Gebiet der Fachwissenschaft hinaus ein allgemeines kultur
geschichtliches Interesse besitzen, weil sich in ihnen das
ganze geistige Leben der Zeit widerspiegelt. So läfst das erste
Kapitel, das die Anschauungen über die Quellen behandelt,
die allmähliche Verdrängung des Autoritätsglaubens, der
blindlings den kirchlichen und klassischen Schriftstellern
vertraut, dux-ch den Geist der Kx-itik, der Beobachtung und
Berechnung erkennen. Die folgenden Abhandlungen geben
ein Bild von dem inneren Wesen und Gehalt der Geographie
während der letzten Jahx-hunderte: die Aufklärung erblickt
in ihr nur teils ein dienendes Hülfsmittel für die Befriedigung
geschichtlicher und politischer Interessen, teils ein Untex--
haltungsmittel für die müfsige Neugiex-. Die Lehrbücher der
Geographie waren demgemäfs vorwiegend Kuriositätensamm
lungen und politisch - statistische Tabellen. Wenn die phy
sische Seite der Geographie fast gar nicht zur Geltung kam,
so lag das freilich zum Teil mit an den herrschenden An