Globus LXXII. Nr. 1.
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E. Mosbach: Streifzüge in den bolivianischen Anden.
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Einige hundert Meter höher kommt man auf ein kleines
Plateau mit den Mauerresten eines Hospizes, das die
spanischen Jesuiten einst für die Reisenden erbaut
hatten. Von hier aus hat man eine unvergleichliche
Aussicht über die unendlichen, starren Felsenrücken
oberhalb Palca, über die gelben Sandhügel der Küste
mit der grünen Oase von Tacna und über die grofse
blaue Fläche des Stillen Oceans.
In der Betrachtung dieses überraschenden Bildes in
einer von jedem Geräusch abgeschlossenen Wildnis
möchte man in der That fragen, ob die wunderbare
Schöpfung noch unserer Erde angehört oder ob man
sich auf einem anderen Weltkörper befindet.
Auf einer Höhe von etwa 4200 m gelangt man an
einen Häuserkomplex, die Portada, den die Kaufleute
der Küste hauptsächlich zur Niederlage solcher Waren
errichtet haben, die bis hierher durch Lamas trans
portiert wurden; denn diesen Tieren sowohl wie ihren
Besitzern, den Hochlandindianern, bekommt die schwere
Luft an der Küste nicht gut. Die Waren werden daher
hier umgeladen und auf Maultieren (mulas) weiter be
fördert. In der Portada herrscht ein reger Verkehr dieser
Indianer (Fleteros) und der Maultiertreiber (Arrieros) oft
bis in die Nacht hinein.
Oberhalb der Portada hört die Vegetation fast gänzlich
auf; nur das Ichugras wedelt noch im Winde mit
melancholisch pfeifendem Tone. An den nackten Fels
wänden hängen Eiszapfen und die Saumtiere schreiten
vorsichtig über gefrorene Pfützen, die das aus den Fels
spalten sickernde Wasser zurückläfst. Gletscher giebt
es hier nicht; die Luft ist zu deren Bildung zu dünn
und zu trocken.
Nahe der Grenze des ewigen Schnees, die hier zu
5400 m gemessen worden ist, also höher als der Mont
Blanc, der nur 4850 m erreicht, liegt der Engpafs, der
Paso de Tacora, der höchste Pafs der Cordilleren.
Nicht weit davon hat ein Halbindianer einen Tambo
errichtet, in dem man Nachtquartier findet, wenn er
nicht schon besetzt ist, und
in dem man sich vor den
Stürmen schützen kann, die
hier, mit mehlartigem Schnee
von den Bergen gemischt,
oft mit einer Kälte von 6°C.,
die alles durchdringt, furcht
bar hausen. Dies ist viel
leicht der höchste Punkt der
Erde, der von Menschen be
wohnt wird; denn die Häuser
der nahen Bergwerke von
Huaylillas, Huanchaca, Mus-
capata, sowie die der Grube
San Christobal in der Provinz
Lipez, die der Gruben von
Daldorama am Cerro Cho-
rolque in der Provinz Chichas,
das Dorf Galena in Peru und
selbst das Buddhistenkloster
Haule in Tibet (China), das
bisher als der höchste be
wohnte Punkt der Erde galt,
erreichen nicht die Höhe des
Tambo von Tacora. Auf der
höchsten Stelle des Passes
(La Pacheta) haben die In
dianer einen Steinhaufen,
wie man ihn fast auf jedem
hochgelegenen Passe der Cor
dilleren findet, errichtet.
Jeder Indianer, der hier vorüberzieht, wirft einen
Stein und etwas Coca, das Opfer für einen glücklichen
Übergang, auf den Haufen. Zum Andenken an die
jenigen, welche hier der Tod überrascht hat und
deren Gräber seitwärts des Weges durch niedrige Stein
hügel gekennzeichnet sind, ist der Steinhaufen mit einem
rohen Holzkreuz gekrönt. Gerippe gefallener Saumtiere
liegen überall umher — ein öder, schauerlicher Ort! —
Von der Pacheta erblickt man den Cerro de Tacora mit
seiner mächtigen Schneehaube in seiner ganzen Gröfse.
Ihm schliefsen sich in unregelmäfsiger Reihenfolge nörd
lich die Schneeberge von Chipicani und Ancomarca, der
Niuta und Quehuata und südlich die beiden Schneeberge
bei Caquena an, die alle eine Höhe von mehr oder
weniger als 6000 m ü. M. erreichen und gewissermafsen
einen Übergang zu dem grofsen Durchbruch des Trachyts
in dem zweiten Cordillerenzuge bilden; denn sie be
stehen selbst aus Trachyt, der dem östlichen Abhange
der Küstencordilleren hier auf eine 200 km lange Strecke
angegliedert ist, so dafs Porphyr und Trachyt einander
berühren.
Der Weg führt von der Pacheta um den Fufs des
Tacora und dann abwärts nach dem Rio Azufre, dem
Rio Uchusuma und dem Rio Maure, den nennenswerten
Flüssen, die den Thalgrund durchfliefsen.
Dieses Thal bildet in seiner nördlichen Verlängerung,
von der Küstencordillere und der Cordillera del Maure
einerseits, und in seiner südlichen Verlängerung, von der
Küstencordillere und der Cordillera de Carangas ander
seits begrenzt, eine Hochebene, die sich zwischen dem
16. und 21. Grad südl. Br., also in einer Länge von
mehr als 500 km erstreckt, aber durchschnittlich
nur 20 km breit ist. Bei ihrer Höhe von 4400 m ü. M.,
deren dünne Luft eine Schattentemperatur von 4-10° C.
im Mittel bedingt und Nachtfröste in der kalten Zeit
von Mai bis August stets im Gefolge hat, die Sonnen
strahlen um Mittag aber um so intensiver durchläfst,
ist diese Hochebene wenig fruchtbar und wenig bevölkert.
Fig.
2. Los Hermanos (die Brüder) bei Caqueüa.
Originalzeichnung von Mosbach.