E. Mosbach: Streifzüge in den bolivianischen Anden.
9
3854 m ü. M. Seine rätselhafte Entwässerung durch
den cOO km langen Rio Desaguadero in die Laguna de
Aullagas, seine heiligen Inseln mit den Ruinen der Bau
denkmäler aus den Inkazeiten, seine Ufer mit der rätsel
haften Vegetation und die nahen, rätselhaften Ruinen
von Tiahuanaco sind so bekannt, dafs ich von weiterem
absehe. Nur hinsichtlich der Entstehung des Titicacasees
möchte ich die Ansicht des Dr. Karl Ochsenius nicht
unerwähnt lassen, welcher annimmt, dafs der See als ein
mit Oceanwasser gefülltes Becken bei der Hebung des
Landes in geologisch sehr junger, wenn nicht gar in
historischer Zeit mit gehoben sei, und dafs er durch
Aufnahme von Süfswasserzuflüssen seinen Salzgehalt an
tiefer liegende Depressionen abgegeben habe. Für diese
Entstehung spreche das Vorkommen von amphipoden
Crustaceen (Allorchestes), die auch im Stillen Ocean
Vorkommen.
Eine andere auffällige Erscheinung sind die Begräb
nisse der alten Indianer, die Chulpas, die teils in ein
zelnen, teils in 50 bis 80 Exemplaren auf der Hochebene
angetroffen werden. Es sind Obelisken von 3V 2 bis 4 m
Höhe und einer Grundfläche von 2 x / 2 bis 3 m im Quadrat,
die aus thoniger Erde mit Zwischenlagen von Pajageflecht
aufgeführt sind und einen inneren, runden Hohlraum
einschliefsen, in welchem 6 bis 10 ebenfalls aus Paja
geflochtene Körbe im Kreise aufgeführt sind, die die
Leichen in kauernder Stelllung umhüllen. Obgleich diese
Art der Totenbestattung seit der Eroberung von Peru
durch die Spanier nicht mehr üblich ist, die Chulpas
also mindestens 3Y 2 Jahrhunderte alt sind, so haben sie
im grofsen ganzen doch nur wenig von der Witterung
gelitten. Die meisten stehen noch gerade; nur hin und
wieder hat sich eine geneigt oder ist umgefallen.
Eine Gegend, Sepulturas in dem Indianerdistrikt
Marcachusa, mit Chulpas, veranschaulicht das Bild Fig. 4.
Dasselbe zeigt aufserdem zwei Indianerestancias mit
ihren aus losen Steinen errichteten Umzäunungen (Cor-
rales) für die Lamas, mit einer kleinen Kapelle, die dem
Reisenden oft als Nachtquartier angewiesen wird und
mit kleinen runden Häuschen, die zur Aufbewahrung
von Kartoffeln und Lamafleisch dienen. Dahinter liegt
eine während der Regenzeit entstandene Lagune, die
sich unzählige Wasservögel zum Nisten auserwählt
haben, und über den Horizont im Westen heben die uns
bekannten Berge, der Tacora (rechts), die Hermanos hei
Caquena, der Choco (in der Mitte) und der Sajama (links)
ihre weifsen Häupter empor, die sich in der dünnen, jeg
licher Bläue entbehrenden Luft scharf gegen den blauen
Himmel abheben.
In den 60er Jahren unserer Zeitrechnung hatte ein
Ausländer mehrere Chulpas untersucht und in einer
derselben einen eisernen, krumm gebogenen und stark
verrosteten Draht mitten in einem Korbsarge gefunden.
Er erblickte hierin einen Beweis, dafs die Indianer schon
vor der spanischen Eroberung das Eisen gekannt hätten,
und schlofs weiter, dafs das Eisen auch schon zur Zeit
des Aufbaues des Inti Kori, des Sonnentempels, und des
Kilia Kolke, des Mondtempels, auf den heiligen Inseln
des Titicaca, also zur Zeit der Inkas , und noch viel
früher beim Bau der Denkmäler von Tiahuanaco ver
wendet sein müsse; denn ohne Eisen oder Stahl wäre
— wie auch bekannte Forscher behauptet haben — die
Gewinnung und Bearbeitung des harten Steinmaterials
nicht möglich gewesen, der starke Rostüberzug aber
könne sich in der trockenen Luft der Hochebene und
m dem vor Regen geschützten Innern der Chulpas nicht
im Laufe weniger Jahrhunderte gebildet haben. In der
That ist das an und für sich recht gesunde Klima der
Hochebenen so trocken, dafs Eisen, sobald es nicht mit
Globus LXXII. Nr. 1.
Regen oder sonstiger Feuchtigkeit in Berührung kommt,
sich an der Luft nur mit einer braunen Patina, nie
aber mit dem gelben Überzug des Rostes bedeckt, der
in feuchtwarmen Gegenden unter denselben Verhältnissen
schon nach wenigen Jahren entsteht. Dem trockenen
Klima ist es auch allein zuzuschreihen, dafs die Leichen
in den Chulpas nicht verwest, sondern mumienähnlich
mit Fleisch, Haut und Haaren erhalten geblieben sind.
Nebenbei bemerkt, hat man in dem Gebisse einer solchen
Leiche sogar einen künstlich eingesetzten, aus Knochen
hergestellten Zahn gefunden.
Mit dem erwähnten Funde des Eisendrahtes hatte es
aber eine andere Bewandtnis. Es sind nämlich in
einigen Chulpas Bronzewaffen und Goldgeschmeide ge
funden worden, die zur Zeit der Spanier und kurz nach
ihrer Vertreibung oft Anlafs zur Beraubung gegeben
haben. Derartige Chulpas waren aber, wie sich bald
herausgestellt hatte, durch äufsere Verzierungen gekenn
zeichnet, die vom Regen längst abgewaschen sind. Jetzt
fällt es niemandem mehr ein, nach solchen Wertgegen
ständen in den Chulpas zu suchen, die Indianer aber
haben die Toten stets verehrt und ihre Ruhestätten
streng überwacht. Nur von den neuangekommenen
Ausländern gelüstet den einen oder den anderen, sich
eines Sarges mit seinem Insassen — der Wissenschaft
wegen — zu bemächtigen und ihn nach Europa zu
schicken. Einen solchen, echten Sarg mit Inhalt habe
ich selbst vor mehreren Jahren im Besitze eines Privat
mannes in Leipzig gesehen, der mit der Ausstellung
dieser Rarität ein Geschäft machte. Die Annahme liegt
nun sehr nahe, dafs ein „wifsbegieriger“ Ausländer ge
raume Zeit vor der Auffindung des Eisendrahtes den
Versuch gemacht hatte, den ersten besten, d. h. den
nächststehenden Sarg mit Hülfe des Drahtes durch die
dreieckige, schwer zugängliche Öffnung der Chulpa
herauszuziehen, ohne das Innere der Chulpa betreten zu
müssen, dafs er aber mitten in dieser Beschäftigung von
Indianern überrascht worden ist und den Sarg samt
Draht im Stich gelassen hat. Die Öffnungen der Chulpas
dienten zum Einsetzen der Särge und sind alle nach
dem Aufgang der Sonne, also nach Osten gerichtet. Die
Wetterseite liegt hier aber, entgegen der von Europa,
nicht im Westen, sondern ebenfalls im Osten; man darf
sich daher nicht wundern, dafs der bei Sturm schräg
herabfallende Regen in die Öffnung gedrungen ist, den
Draht benetzt und den gelben Rost hervorgebracht hat.
Auch zwischen den losen Steinen der Ruinen von
Tiahuanaco, wo sonst nur bronzene Bolzen und Klam
mern angetroffen werden, mit denen die Steine einst
zusammengehalten wurden, ist hin und wieder eine
sogen. Cuna, ein Keil aus Eisen, gefunden, der stark
verrostet war. Es wäre lächerlich, hieraus zu folgern,
dafs das Eisen schon zur Zeit des Baues, seit welcher
vielleicht Jahrtausende verflossen sind, bekannt gewesen
sein müsse; denn die Cunas stammen ohne Zweifel aus
der Zeit der Spanier, die bekanntlich mehrere Kirchen
in La Paz aus Steinen von Tiahuanaco erbaut und die
alte Ruinenstätte auf diese Weise als Steinbruch aus-
gebeutet haben. Die Steine waren aber für den Trans
port zu grofs und zu schwer, und wurden daher schon im
„Steinbruch“ geteilt und vorgerichtet, wozu selbstver
ständlich eiserne Werkzeuge benutzt wurden, von
denen die Cunas zwischen den losen Steinen verloren
gegangen sind.
Selbst die Ansicht einiger Forscher, dafs das Eisen
in uralten Ruinen tief gelegener, feuchtwarmer Gegenden
schnell verwittert sei und keine Spuren zurückgelassen
habe, darf man nicht gelten lassen ; denn Eisenrost ist
unvergänglich.
2*