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Full Text: Globus, 72.1897

E. Mosbach: Streifzüge in den bolivianischen Anden. 
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3854 m ü. M. Seine rätselhafte Entwässerung durch 
den cOO km langen Rio Desaguadero in die Laguna de 
Aullagas, seine heiligen Inseln mit den Ruinen der Bau 
denkmäler aus den Inkazeiten, seine Ufer mit der rätsel 
haften Vegetation und die nahen, rätselhaften Ruinen 
von Tiahuanaco sind so bekannt, dafs ich von weiterem 
absehe. Nur hinsichtlich der Entstehung des Titicacasees 
möchte ich die Ansicht des Dr. Karl Ochsenius nicht 
unerwähnt lassen, welcher annimmt, dafs der See als ein 
mit Oceanwasser gefülltes Becken bei der Hebung des 
Landes in geologisch sehr junger, wenn nicht gar in 
historischer Zeit mit gehoben sei, und dafs er durch 
Aufnahme von Süfswasserzuflüssen seinen Salzgehalt an 
tiefer liegende Depressionen abgegeben habe. Für diese 
Entstehung spreche das Vorkommen von amphipoden 
Crustaceen (Allorchestes), die auch im Stillen Ocean 
Vorkommen. 
Eine andere auffällige Erscheinung sind die Begräb 
nisse der alten Indianer, die Chulpas, die teils in ein 
zelnen, teils in 50 bis 80 Exemplaren auf der Hochebene 
angetroffen werden. Es sind Obelisken von 3V 2 bis 4 m 
Höhe und einer Grundfläche von 2 x / 2 bis 3 m im Quadrat, 
die aus thoniger Erde mit Zwischenlagen von Pajageflecht 
aufgeführt sind und einen inneren, runden Hohlraum 
einschliefsen, in welchem 6 bis 10 ebenfalls aus Paja 
geflochtene Körbe im Kreise aufgeführt sind, die die 
Leichen in kauernder Stelllung umhüllen. Obgleich diese 
Art der Totenbestattung seit der Eroberung von Peru 
durch die Spanier nicht mehr üblich ist, die Chulpas 
also mindestens 3Y 2 Jahrhunderte alt sind, so haben sie 
im grofsen ganzen doch nur wenig von der Witterung 
gelitten. Die meisten stehen noch gerade; nur hin und 
wieder hat sich eine geneigt oder ist umgefallen. 
Eine Gegend, Sepulturas in dem Indianerdistrikt 
Marcachusa, mit Chulpas, veranschaulicht das Bild Fig. 4. 
Dasselbe zeigt aufserdem zwei Indianerestancias mit 
ihren aus losen Steinen errichteten Umzäunungen (Cor- 
rales) für die Lamas, mit einer kleinen Kapelle, die dem 
Reisenden oft als Nachtquartier angewiesen wird und 
mit kleinen runden Häuschen, die zur Aufbewahrung 
von Kartoffeln und Lamafleisch dienen. Dahinter liegt 
eine während der Regenzeit entstandene Lagune, die 
sich unzählige Wasservögel zum Nisten auserwählt 
haben, und über den Horizont im Westen heben die uns 
bekannten Berge, der Tacora (rechts), die Hermanos hei 
Caquena, der Choco (in der Mitte) und der Sajama (links) 
ihre weifsen Häupter empor, die sich in der dünnen, jeg 
licher Bläue entbehrenden Luft scharf gegen den blauen 
Himmel abheben. 
In den 60er Jahren unserer Zeitrechnung hatte ein 
Ausländer mehrere Chulpas untersucht und in einer 
derselben einen eisernen, krumm gebogenen und stark 
verrosteten Draht mitten in einem Korbsarge gefunden. 
Er erblickte hierin einen Beweis, dafs die Indianer schon 
vor der spanischen Eroberung das Eisen gekannt hätten, 
und schlofs weiter, dafs das Eisen auch schon zur Zeit 
des Aufbaues des Inti Kori, des Sonnentempels, und des 
Kilia Kolke, des Mondtempels, auf den heiligen Inseln 
des Titicaca, also zur Zeit der Inkas , und noch viel 
früher beim Bau der Denkmäler von Tiahuanaco ver 
wendet sein müsse; denn ohne Eisen oder Stahl wäre 
— wie auch bekannte Forscher behauptet haben — die 
Gewinnung und Bearbeitung des harten Steinmaterials 
nicht möglich gewesen, der starke Rostüberzug aber 
könne sich in der trockenen Luft der Hochebene und 
m dem vor Regen geschützten Innern der Chulpas nicht 
im Laufe weniger Jahrhunderte gebildet haben. In der 
That ist das an und für sich recht gesunde Klima der 
Hochebenen so trocken, dafs Eisen, sobald es nicht mit 
Globus LXXII. Nr. 1. 
Regen oder sonstiger Feuchtigkeit in Berührung kommt, 
sich an der Luft nur mit einer braunen Patina, nie 
aber mit dem gelben Überzug des Rostes bedeckt, der 
in feuchtwarmen Gegenden unter denselben Verhältnissen 
schon nach wenigen Jahren entsteht. Dem trockenen 
Klima ist es auch allein zuzuschreihen, dafs die Leichen 
in den Chulpas nicht verwest, sondern mumienähnlich 
mit Fleisch, Haut und Haaren erhalten geblieben sind. 
Nebenbei bemerkt, hat man in dem Gebisse einer solchen 
Leiche sogar einen künstlich eingesetzten, aus Knochen 
hergestellten Zahn gefunden. 
Mit dem erwähnten Funde des Eisendrahtes hatte es 
aber eine andere Bewandtnis. Es sind nämlich in 
einigen Chulpas Bronzewaffen und Goldgeschmeide ge 
funden worden, die zur Zeit der Spanier und kurz nach 
ihrer Vertreibung oft Anlafs zur Beraubung gegeben 
haben. Derartige Chulpas waren aber, wie sich bald 
herausgestellt hatte, durch äufsere Verzierungen gekenn 
zeichnet, die vom Regen längst abgewaschen sind. Jetzt 
fällt es niemandem mehr ein, nach solchen Wertgegen 
ständen in den Chulpas zu suchen, die Indianer aber 
haben die Toten stets verehrt und ihre Ruhestätten 
streng überwacht. Nur von den neuangekommenen 
Ausländern gelüstet den einen oder den anderen, sich 
eines Sarges mit seinem Insassen — der Wissenschaft 
wegen — zu bemächtigen und ihn nach Europa zu 
schicken. Einen solchen, echten Sarg mit Inhalt habe 
ich selbst vor mehreren Jahren im Besitze eines Privat 
mannes in Leipzig gesehen, der mit der Ausstellung 
dieser Rarität ein Geschäft machte. Die Annahme liegt 
nun sehr nahe, dafs ein „wifsbegieriger“ Ausländer ge 
raume Zeit vor der Auffindung des Eisendrahtes den 
Versuch gemacht hatte, den ersten besten, d. h. den 
nächststehenden Sarg mit Hülfe des Drahtes durch die 
dreieckige, schwer zugängliche Öffnung der Chulpa 
herauszuziehen, ohne das Innere der Chulpa betreten zu 
müssen, dafs er aber mitten in dieser Beschäftigung von 
Indianern überrascht worden ist und den Sarg samt 
Draht im Stich gelassen hat. Die Öffnungen der Chulpas 
dienten zum Einsetzen der Särge und sind alle nach 
dem Aufgang der Sonne, also nach Osten gerichtet. Die 
Wetterseite liegt hier aber, entgegen der von Europa, 
nicht im Westen, sondern ebenfalls im Osten; man darf 
sich daher nicht wundern, dafs der bei Sturm schräg 
herabfallende Regen in die Öffnung gedrungen ist, den 
Draht benetzt und den gelben Rost hervorgebracht hat. 
Auch zwischen den losen Steinen der Ruinen von 
Tiahuanaco, wo sonst nur bronzene Bolzen und Klam 
mern angetroffen werden, mit denen die Steine einst 
zusammengehalten wurden, ist hin und wieder eine 
sogen. Cuna, ein Keil aus Eisen, gefunden, der stark 
verrostet war. Es wäre lächerlich, hieraus zu folgern, 
dafs das Eisen schon zur Zeit des Baues, seit welcher 
vielleicht Jahrtausende verflossen sind, bekannt gewesen 
sein müsse; denn die Cunas stammen ohne Zweifel aus 
der Zeit der Spanier, die bekanntlich mehrere Kirchen 
in La Paz aus Steinen von Tiahuanaco erbaut und die 
alte Ruinenstätte auf diese Weise als Steinbruch aus- 
gebeutet haben. Die Steine waren aber für den Trans 
port zu grofs und zu schwer, und wurden daher schon im 
„Steinbruch“ geteilt und vorgerichtet, wozu selbstver 
ständlich eiserne Werkzeuge benutzt wurden, von 
denen die Cunas zwischen den losen Steinen verloren 
gegangen sind. 
Selbst die Ansicht einiger Forscher, dafs das Eisen 
in uralten Ruinen tief gelegener, feuchtwarmer Gegenden 
schnell verwittert sei und keine Spuren zurückgelassen 
habe, darf man nicht gelten lassen ; denn Eisenrost ist 
unvergänglich. 
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