Skip to main content
Page Banner

Full Text: Globus, 72.1897

286 
Prof. Dr. C. Keller: Die afrikanischen Elemente in der europäischen Hau stierweit. 
einer gewissen Stufe der wissenschaftlichen Erkenntnis 
hat man sich, will man bei den richtigen Schlufsfolge- 
rungen nicht plötzlich Halt machen, häufig genug an 
die Ethnographie zu wenden. Man mufs sich an den 
Kulturbesitz, beziehungsweise an den Haustierbesitz 
anderer Völker wenden und hier kann man den Kreis 
der Beobachtungen nicht weit genug ausdehnen. 
Bei der aufserordentlichen Rührigkeit, welche die 
geographische Forschung in den letzten Decennien an 
den Tag legte, ist nach dieser Seite hin unsere Einsicht 
erheblich vervollständigt worden. Immerhin könnte sie 
noch gröfser sein, denn leider sind unsere modernen 
Entdeckungsreisenden der Mehrzahl nach mit dem 
Gegenstände zu wenig vertraut, um ihm die gebührende 
Aufmerksamkeit zu schenken. Anderseits darf nicht 
aufser Acht gelassen werden, dafs bei manchen Völkern 
Vorurteile aller Art die bildliche Darstellung oder die 
Erwerbung von Skelettstücken ihrer Haustiere stark er 
schweren. 
Was wir gegenwärtig im europäischen Haustier- 
bestande antreffen, ist nicht durchweg eigenes Erzeugnis, 
ein grofser Teil stammt von aufsen her; die Wege der 
Immigration sind nur mühsam festzustellen. In weiten 
Kreisen steht man heute noch unter dem Banne des von 
Geoffroy-St. Hilaire aufgestellten Dogmas, dafs fast 
alle wichtigen Haustiere aus dem Osten stammen und 
von Asien her eingewandert sind. Dieser Satz hat 
jedoch durch Rütimeyer, Nehring u. A. eine starke 
Einschränkung erfahren, wenn er auch auf den ersten 
Blick etwas sehr Bestechendes hatte. Geographisch ge 
nommen erscheint ja Europa nur als eine Dependenz 
des asiatischen Länderkolosses, welche zu wiederholten 
Malen durch arische und mongolische Völkerschühe von 
Asien aus besiedelt wurde. Nichts erscheint daher natür 
licher , als dafs auch die Haustierwelt von Osten heran 
zog. Namentlich mufste ja das weite Thor zwischen 
Ural und Kaukasus, durch welches während der post- 
glacialen Zeit so manche Charakterform der nordasia 
tischen Tierwelt in Mitteleuropa einzog, später auch 
dem Menschen und seinen Haustieren offen stehen. 
Allein so schablonenhaft ist die Haustierbesiedelung 
Europas keineswegs verlaufen. Die älteste menschliche 
Einwanderung aus dem Osten brachte zunächst gar 
keine domestizierten Tiere nach Europa, denn mit 
Sicherheit kann kein einziges Haustier im Besitz der 
prähistorischen Höhlenmenschen nachgewiesen werden. 
Es wird dies neuerdings wieder durch die sehr sorg 
fältig geleiteten Ausgrabungen der Renntierstation im 
Schweizersbild bei Schaffhausen bestätigt. Daselbst 
sind die Einschlüsse in der gelben oder paläolithischen 
Kulturschicht sehr reichhaltig, da aber nur spärliche 
Reste eines Schafes in derselben angetroffen wurden, so 
ist es sehr fraglich, ob diese einer zahmen Form 
angehören oder nicht durch Zufall hineingelangt sind. 
Erst zur Pfahlbauzeit beginnen die Haustiere aufzu 
treten, freilich zunächst in einer Gestalt und Zusammen 
setzung, die zum Teil von der Gegenwart stark ab 
weicht. 
Der vorhandene prähistorische Bestand an zahmen 
Geschöpfen ist indessen nicht durchweg von aufsen her 
bezogen, auch aus dem heimatlichen Wildstand wurde 
Verschiedenes ins menschliche Haus als sicherer Erwerb 
hinübergenommen und machte im Laufe der Zeit das 
tierische Inventar reicher. Dieser Nachweis wurde von 
Nathusius für das Hausschwein, von Rütimeyer für 
das zahme Rind und von A. Nehring für das zahme 
Pferd geleistet. 
Es liegt mir fern, eine asiatische Haustiereinwande 
rung in Abrede stellen oder dieselbe auch nur unter 
schätzen zu wollen, sie hat ohne Zweifel stattgefunden; 
allein seit Jahren habe ich auf Grund fremder und 
eigener Beobachtungen die Überzeugung gewonnen, dafs 
die afrikanische Einwanderung mindestens ebenso aus 
giebig war, bisher jedenfalls unterschätzt wurde. 
Die Ausbreitung des Islam hat uns den Nachbar 
kontinent im Süden, namentlich Nordafrika, lange Zeit 
hindurch entfremdet; man richtete den Blick auf andere 
Regionen der Erde. Im Altertum lag die Sache anders, 
die Beziehungen waren damals regere, Südeuropa hat, 
wir erhalten ja fortwährend neue Belege dafür, sehr 
vieles aus Nordafrika, namentlich aus der Kulturwelt 
Altägyptens, herübergenommen. Das Mittelmeer bildete 
eher eine vermittelnde als eine trennende Meeresregion. 
Ich will daher versuchen, den afrikanischen Teil der 
Haustiereinwanderung im einzelnen namhaft zu machen. 
Als das älteste Haustier dürfen wir wahrscheinlich 
den Haushund ansehen. Er begegnet uns schon im 
Beginn der Pfahlbauperiode, zunächst allerdings in einer 
einzigen weitverbreiteten Form, dem spitzähnlichen 
Torfhund (Canis familiaris palustris). Heute wird unser 
Kontinent von zahlreichen, zum Teil morphologisch 
weit auseinander gehenden Rassen bevölkert. Über 
ihre Abstammung ist bekanntlich schon sehr viel ge 
schrieben worden, indessen dürfen wir uns nicht ver 
hehlen, dafs noch ziemlich wenige feststehende Ergeb 
nisse vorliegen. Allgemeiner anerkannt ist zunächst, 
dafs der Ursprung dieser Rassen polyphyletisch ist, 
d. h. verschiedene Stammformen angenommen werden 
müssen. Darüber hinaus wissen wir verzweifelt wenig. 
Wir dürfen wohl nicht weiter gehen, als mit Th. Studer, 
einer auf diesem Gebiet mafsgebenden Autorität, eine 
nördliche Rassengruppe und eine südliche oder äquato 
riale Gruppe unterscheiden. Zur nördlichen Gruppe 
gehört unzweifelhaft der Torfhund, dessen mehr oder 
weniger modifizierte Nachkommen noch heute über die 
ganze paläarktische Region zerstreut sind, sogar bis 
nach den Sundainseln und bis nach Madagaskar reichen, 
hier offenbar relativ spät importiert. Es wird im Hinblick 
auf das hohe Alter der torfhundartigen Sippe zur Zeit 
ziemlich aussichtslos sein, die Urheimat festzustellen. 
Die Ableitung von einem diluvialen europäischen 
Steppenhund, die man als wahrscheinlich annahm, 
dürfte keineswegs als sicher angesehen werden. Zur 
Bronzezeit tritt in Europa eine gröfsere Form hinzu, 
die einen wolfartigen Charakter besitzt und mit unserem 
Schäferhund grofse Übereinstimmung zeigt. Dieser, 
sowie die Doggen und Bernhardiner, dürften asiatischer 
Herkunft sein. 
Noch später erscheinen südliche Rassen auf euro 
päischem Boden, die sich zum Teil rein erhalten haben, 
zum Teil Kreuzungen mit nördlichen Haushunden ein 
gingen. Als solche müssen wir vorab die schlank ge 
bauten, durch ihr unruhiges Wesen ausgezeichneten 
Windhunde bezeichnen. Sie sind über ganz Europa 
zerstreut und die Existenz verschiedener, dem Publikum 
zum Teil nur wenig bekannter Windhundvarietäten 
deutet auf eine lange Anwesenheit in Europa. Als 
hervorstechende Charakterformen möchte ich den eng 
lischen Windhund (greyhound), den fast verschollenen 
Lurcher und den russischen Barzoi hervorheben. 
Die Mittelmeerländer und vorab Ägypten lassen uns 
einen grofsen Reichtum an Windhundformen erkennen; 
wir begegnen ihnen schon in sehr alter Zeit. Die wunder 
bar treuen Malereien und Skulpturen, welche der Rea 
lismus altägyptischer Kunst geschaffen und der Gegen 
wart in tadellosem Erhaltungszustände überliefert hat, 
lassen uns dort überall das Prototyp unseres hoch 
beinigen Windhundes im Gefolge des Menschen er-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.