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Prof. Dr. C. Keller: Die afrikanischen Elemente in der europäischen Hau stierweit.
einer gewissen Stufe der wissenschaftlichen Erkenntnis
hat man sich, will man bei den richtigen Schlufsfolge-
rungen nicht plötzlich Halt machen, häufig genug an
die Ethnographie zu wenden. Man mufs sich an den
Kulturbesitz, beziehungsweise an den Haustierbesitz
anderer Völker wenden und hier kann man den Kreis
der Beobachtungen nicht weit genug ausdehnen.
Bei der aufserordentlichen Rührigkeit, welche die
geographische Forschung in den letzten Decennien an
den Tag legte, ist nach dieser Seite hin unsere Einsicht
erheblich vervollständigt worden. Immerhin könnte sie
noch gröfser sein, denn leider sind unsere modernen
Entdeckungsreisenden der Mehrzahl nach mit dem
Gegenstände zu wenig vertraut, um ihm die gebührende
Aufmerksamkeit zu schenken. Anderseits darf nicht
aufser Acht gelassen werden, dafs bei manchen Völkern
Vorurteile aller Art die bildliche Darstellung oder die
Erwerbung von Skelettstücken ihrer Haustiere stark er
schweren.
Was wir gegenwärtig im europäischen Haustier-
bestande antreffen, ist nicht durchweg eigenes Erzeugnis,
ein grofser Teil stammt von aufsen her; die Wege der
Immigration sind nur mühsam festzustellen. In weiten
Kreisen steht man heute noch unter dem Banne des von
Geoffroy-St. Hilaire aufgestellten Dogmas, dafs fast
alle wichtigen Haustiere aus dem Osten stammen und
von Asien her eingewandert sind. Dieser Satz hat
jedoch durch Rütimeyer, Nehring u. A. eine starke
Einschränkung erfahren, wenn er auch auf den ersten
Blick etwas sehr Bestechendes hatte. Geographisch ge
nommen erscheint ja Europa nur als eine Dependenz
des asiatischen Länderkolosses, welche zu wiederholten
Malen durch arische und mongolische Völkerschühe von
Asien aus besiedelt wurde. Nichts erscheint daher natür
licher , als dafs auch die Haustierwelt von Osten heran
zog. Namentlich mufste ja das weite Thor zwischen
Ural und Kaukasus, durch welches während der post-
glacialen Zeit so manche Charakterform der nordasia
tischen Tierwelt in Mitteleuropa einzog, später auch
dem Menschen und seinen Haustieren offen stehen.
Allein so schablonenhaft ist die Haustierbesiedelung
Europas keineswegs verlaufen. Die älteste menschliche
Einwanderung aus dem Osten brachte zunächst gar
keine domestizierten Tiere nach Europa, denn mit
Sicherheit kann kein einziges Haustier im Besitz der
prähistorischen Höhlenmenschen nachgewiesen werden.
Es wird dies neuerdings wieder durch die sehr sorg
fältig geleiteten Ausgrabungen der Renntierstation im
Schweizersbild bei Schaffhausen bestätigt. Daselbst
sind die Einschlüsse in der gelben oder paläolithischen
Kulturschicht sehr reichhaltig, da aber nur spärliche
Reste eines Schafes in derselben angetroffen wurden, so
ist es sehr fraglich, ob diese einer zahmen Form
angehören oder nicht durch Zufall hineingelangt sind.
Erst zur Pfahlbauzeit beginnen die Haustiere aufzu
treten, freilich zunächst in einer Gestalt und Zusammen
setzung, die zum Teil von der Gegenwart stark ab
weicht.
Der vorhandene prähistorische Bestand an zahmen
Geschöpfen ist indessen nicht durchweg von aufsen her
bezogen, auch aus dem heimatlichen Wildstand wurde
Verschiedenes ins menschliche Haus als sicherer Erwerb
hinübergenommen und machte im Laufe der Zeit das
tierische Inventar reicher. Dieser Nachweis wurde von
Nathusius für das Hausschwein, von Rütimeyer für
das zahme Rind und von A. Nehring für das zahme
Pferd geleistet.
Es liegt mir fern, eine asiatische Haustiereinwande
rung in Abrede stellen oder dieselbe auch nur unter
schätzen zu wollen, sie hat ohne Zweifel stattgefunden;
allein seit Jahren habe ich auf Grund fremder und
eigener Beobachtungen die Überzeugung gewonnen, dafs
die afrikanische Einwanderung mindestens ebenso aus
giebig war, bisher jedenfalls unterschätzt wurde.
Die Ausbreitung des Islam hat uns den Nachbar
kontinent im Süden, namentlich Nordafrika, lange Zeit
hindurch entfremdet; man richtete den Blick auf andere
Regionen der Erde. Im Altertum lag die Sache anders,
die Beziehungen waren damals regere, Südeuropa hat,
wir erhalten ja fortwährend neue Belege dafür, sehr
vieles aus Nordafrika, namentlich aus der Kulturwelt
Altägyptens, herübergenommen. Das Mittelmeer bildete
eher eine vermittelnde als eine trennende Meeresregion.
Ich will daher versuchen, den afrikanischen Teil der
Haustiereinwanderung im einzelnen namhaft zu machen.
Als das älteste Haustier dürfen wir wahrscheinlich
den Haushund ansehen. Er begegnet uns schon im
Beginn der Pfahlbauperiode, zunächst allerdings in einer
einzigen weitverbreiteten Form, dem spitzähnlichen
Torfhund (Canis familiaris palustris). Heute wird unser
Kontinent von zahlreichen, zum Teil morphologisch
weit auseinander gehenden Rassen bevölkert. Über
ihre Abstammung ist bekanntlich schon sehr viel ge
schrieben worden, indessen dürfen wir uns nicht ver
hehlen, dafs noch ziemlich wenige feststehende Ergeb
nisse vorliegen. Allgemeiner anerkannt ist zunächst,
dafs der Ursprung dieser Rassen polyphyletisch ist,
d. h. verschiedene Stammformen angenommen werden
müssen. Darüber hinaus wissen wir verzweifelt wenig.
Wir dürfen wohl nicht weiter gehen, als mit Th. Studer,
einer auf diesem Gebiet mafsgebenden Autorität, eine
nördliche Rassengruppe und eine südliche oder äquato
riale Gruppe unterscheiden. Zur nördlichen Gruppe
gehört unzweifelhaft der Torfhund, dessen mehr oder
weniger modifizierte Nachkommen noch heute über die
ganze paläarktische Region zerstreut sind, sogar bis
nach den Sundainseln und bis nach Madagaskar reichen,
hier offenbar relativ spät importiert. Es wird im Hinblick
auf das hohe Alter der torfhundartigen Sippe zur Zeit
ziemlich aussichtslos sein, die Urheimat festzustellen.
Die Ableitung von einem diluvialen europäischen
Steppenhund, die man als wahrscheinlich annahm,
dürfte keineswegs als sicher angesehen werden. Zur
Bronzezeit tritt in Europa eine gröfsere Form hinzu,
die einen wolfartigen Charakter besitzt und mit unserem
Schäferhund grofse Übereinstimmung zeigt. Dieser,
sowie die Doggen und Bernhardiner, dürften asiatischer
Herkunft sein.
Noch später erscheinen südliche Rassen auf euro
päischem Boden, die sich zum Teil rein erhalten haben,
zum Teil Kreuzungen mit nördlichen Haushunden ein
gingen. Als solche müssen wir vorab die schlank ge
bauten, durch ihr unruhiges Wesen ausgezeichneten
Windhunde bezeichnen. Sie sind über ganz Europa
zerstreut und die Existenz verschiedener, dem Publikum
zum Teil nur wenig bekannter Windhundvarietäten
deutet auf eine lange Anwesenheit in Europa. Als
hervorstechende Charakterformen möchte ich den eng
lischen Windhund (greyhound), den fast verschollenen
Lurcher und den russischen Barzoi hervorheben.
Die Mittelmeerländer und vorab Ägypten lassen uns
einen grofsen Reichtum an Windhundformen erkennen;
wir begegnen ihnen schon in sehr alter Zeit. Die wunder
bar treuen Malereien und Skulpturen, welche der Rea
lismus altägyptischer Kunst geschaffen und der Gegen
wart in tadellosem Erhaltungszustände überliefert hat,
lassen uns dort überall das Prototyp unseres hoch
beinigen Windhundes im Gefolge des Menschen er-