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Prof. Dr. C. Keller: Die afrikanischen Elemente in der europäischen Haustierweit.
nicht erwehren, wenn man die sorgfältige Umhüllung
der Mumien mit Leinwandbinden erblickt.
Untersucht man diese Mumien, so findet man nicht
nur die Knochengebilde, sondern selbst die Behaarung
noch wundervoll erhalten; es lassen sich zwei häufigere
Stammarten unterscheiden, von denen die gröfsere
Felis chaus zugerechnet wird, die kleinere dagegen
ganz unzweifelhaft mit der Falbkatze Nubiens (Felis
maniculata) übereinstimmt." Die Tiere wurden offenbar
massenhaft von den Gegenden am oberen Nil eingeführt,
gezähmt und so immer mehr eingebürgert. Auffallend
lange verweilte die zahme Katze im Nilthal, ohne das
selbe zu überschreiten.
Die alten Griechen besafsen sie wohl nicht; die
Römer, wenn sie sich auch über den ägyptischen
Katzenkult lustig machten, führten das Haustier in
Südeuropa ein und im frühen Mittelalter kam es nach
Mitteleuropa; es mufste natürlich von seiner bevor
zugten Stufe herabsteigen, die Kultbedeutung wurde
mit der Rolle des gewöhnlichen Mäusefängers ver
tauscht. Indessen hat die Katze wenigstens in ver
zerrter Form noch einiges von ihrer einstigen Kult
bedeutung in Europa beibehalten, und manche Vor
stellungen im Volke beweisen, wie schwer sich die
ursprüngliche Rolle abstreifen läfst.
Man mufs mit dieser geschichtlichen Vergangenheit
rechnen, wenn man den stark ausgeprägten Charakter
und das geistige Wesen der Hauskatze richtig beurteilen
will. Ein Geschöpf, das Tausende von Jahren eine
bevorzugte Stelle im menschlichen Hause einnahm, wird
bei seiner hohen Intelligenz nicht sofort auf die
erworbenen Anpassungen verzichten, selbst wenn es
zum gewöhnlichen Mäusefänger degradiert wird. In
der That ist die Katze auch jederzeit bereit, eine gute
Behandlung zu fordern und an ihre aristokratische Ver
gangenheit im Nilthale sofort recht nachdrücklich zu
erinnern, falls man dieser Forderung nicht gerecht wird.
Von mittelgrofsen, der primitiven Wirtschaft sehr
entsprechenden Haustieren erscheinen in Europa früh
zeitig Schaf und Ziege; sie treten bereits im Beginn
der Pfahlbauperiode auf. Wir haben keine Anhalts
punkte dafür, dafs diese Geschöpfe in nennenswerter
Menge von Afrika her übermittelt wurden, eine direkte
asiatische Einwanderung scheint am meisten für sich zu
haben. Dasselbe dürfte für den orientalischen Stamm
des zahmen Schweines angenommen werden.
Wenden wir uns schliefslich zu demjenigen zahmen
Tier, dessen Zucht für weite Gebiete unserer Erde die
Grundlage der wirtschaftlichen Existenz schaffen hilft
— wir meinen das Rind.
In der Frage der Rinderabstammung und Rinder
verbreitung gehen gerade in der Gegenwart die Mei
nungen mehr als je auseinander, die extremsten An
nahmen werden durch Gründe zu stützen versucht.
Soweit nicht ein völliger Nihilismus Platz greift und
die Herkunft des Rindes als gänzlich unsicher hingestellt
wird, können wir zwei wissenschaftliche Lager unter
scheiden, dasjenige der Monophyleten, welche für sämt
liche europäische Rinder eine einzige wilde Stammform
annehmen, und das andere der Diphyleten, denen zu
folge zwei Stammquellen existieren. Ich bekenne mich
mit voller Überzeugung zu der diphyletischen Richtung.
Um Klarheit zu gewinnen, müssen wir von folgenden
wichtigen Thatsachen ausgehen :
1. Sehen wir von den zahllosen Kreuzungsprodukten
ab, so lassen sich im europäischen Viehstapel neben den
grofsen Niederungs- und Steppenrindern, deren Ab
stammung vom Ur (Bos primigenius) eigentlich niemand
mehr bezweifelt, noch kleinere, kurzhörnige Rinder von
auffallend zartem Bau und konstanten Körpermerkmalen
unterscheiden. Erstere sind am wenigsten verändert
in den Niederungen des nördlichen Europa und beson
ders in den Steppengebieten von Osteuropa anzutreffen,
reichen aber auch ins südeuropäische Gebiet hinein.
Die Brachyceros - Rinder der Gegenwart haben sich am
reinsten im Gebiete der Alpen erhalten, tauchen dann
wieder als starkes Kontingent in Polen (polnisches Rot
vieh), Galizien und in Albanien auf, wie besonders
L. Adametz nachgewiesen hat.
2. Das älteste zahme Rind, welches zu Beginn der
Pfahlbauzeit in Europa erscheint, ist eine auffallend
gleichförmige Rasse von geringer Gröfse und zierlichem
Bau, kurzhörnig und vom Primigenius - Rind durch be
ständige osteologische Kennzeichen unterscheidbar.
3. Wie das aufserordentlich reichhaltige Material
aus den westschweizerischen Pfahlbauten ganz unzwei
deutig ergiebt, tritt die reine Primigenius-Rasse
als Haustier erst später als das kleinere Torf
rind auf, anfänglich unvermischt neben demselben, in
den jüngeren Pfahlbauten erscheinen vielfach Kreuzungs
produkte, so dafs der ursprüngliche Rassencharakter
unbestimmter wird.
4. Die brachyceren Rinder der Gegenwart, wie sie
uns im Braunvieh der Alpen, im Eringer Rind, im
Duxer Rind, im polnischen Rotvieh und im Rinde der
albanesischen Berge entgegentreten, stimmen in den
wesentlichen osteologischen Merkmalen mit dem alten
Torfrind überein.
Mit diesen Thatsachen werden wir zu rechnen haben;
sie lassen nur die eine Deutung zu, die zuerst mit Glück
von L. Rütimeyer begründet wurde, dafs neben der
einen wilden Stammform der Primigenius-Rinder noch
eine zweite Stammform für sämtliche brachyceren Rinder
angenommen werden mufs. Der Bison kann hier
natürlich nicht in Betracht kommen, sonst aber kennen
wir mit Sicherheit in Europa aufser dem Bos primigenius
kein diluviales oder postdiluviales Wildrind.
Man mufste also vor dieser Frage aus Mangel an
bestimmten Anhaltspunkten einfach Halt machen.
Seit Jahren schien es mir, dafs man aufserhalb
Europas auf die Suche zu gehen habe. Eine direkte
asiatische Einwanderung von zahmen Rindern klingt
wenig wahrscheinlich. In dem skytisch - mongolischen
Kulturkreise spielt das Pferd als motorisches Haustier
die Hauptrolle; Fleisch lieferte das Schaf. In Klein
asien lagen die Dinge ähnlich und es ist sehr beachtens
wert, dafs die Altägypter sich nicht nach Kleinasien
wandten, um ihren Rinderbedarf zu decken, sondern
nach dem viel entfernteren Äthiopien. Es fehlte offen
bar an genügendem Material. Der asiatischen Ein
wanderung der ältesten europäischen Rinder steht noch
entgegen, dafs das phlegmatische Rind den beweglichen
Steppen Völkern Innerasiens auf den Wanderungen nur
schwer zu folgen vermochte. Viel natürlicher erscheint
es, Afrika als Bezugsquelle der Pfahlbaurinder von
brachycerem Charakter ins Auge zu fassen. Von dem
aufserordentlichen Rinderreichtum dieses Erdteils haben
wir nur unvollkommene Vorstellung, man mufs ihn
selbst gesehen haben; er war schon im grauesten Alter
tum im Gebiete der hamitischen Volksstämme vorhanden
und es liegt die Vermutung sehr nahe, dafs Nordafrika
frühzeitig von diesem Überschufs an Südeuropa abge
geben hat, da ja der Kultureinflufs Ägyptens frühzeitig
auf unseren Boden hinüberspielte. Die auffallende That-
sache, dafs die fremdartige Torfrasse, d. h. die Stamm
rasse der europäischen Kurzhornrinder, vor dem grofsen
Primigeniusrinde auftaucht und zu Anfang die aus-
schliefsliche Herrschaft besitzt, könnte leicht dadurch