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Full Text: Globus, 72.1897

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Prof. Dr. C. Keller: Die afrikanischen Elemente in der europäischen Haustierweit. 
nicht erwehren, wenn man die sorgfältige Umhüllung 
der Mumien mit Leinwandbinden erblickt. 
Untersucht man diese Mumien, so findet man nicht 
nur die Knochengebilde, sondern selbst die Behaarung 
noch wundervoll erhalten; es lassen sich zwei häufigere 
Stammarten unterscheiden, von denen die gröfsere 
Felis chaus zugerechnet wird, die kleinere dagegen 
ganz unzweifelhaft mit der Falbkatze Nubiens (Felis 
maniculata) übereinstimmt." Die Tiere wurden offenbar 
massenhaft von den Gegenden am oberen Nil eingeführt, 
gezähmt und so immer mehr eingebürgert. Auffallend 
lange verweilte die zahme Katze im Nilthal, ohne das 
selbe zu überschreiten. 
Die alten Griechen besafsen sie wohl nicht; die 
Römer, wenn sie sich auch über den ägyptischen 
Katzenkult lustig machten, führten das Haustier in 
Südeuropa ein und im frühen Mittelalter kam es nach 
Mitteleuropa; es mufste natürlich von seiner bevor 
zugten Stufe herabsteigen, die Kultbedeutung wurde 
mit der Rolle des gewöhnlichen Mäusefängers ver 
tauscht. Indessen hat die Katze wenigstens in ver 
zerrter Form noch einiges von ihrer einstigen Kult 
bedeutung in Europa beibehalten, und manche Vor 
stellungen im Volke beweisen, wie schwer sich die 
ursprüngliche Rolle abstreifen läfst. 
Man mufs mit dieser geschichtlichen Vergangenheit 
rechnen, wenn man den stark ausgeprägten Charakter 
und das geistige Wesen der Hauskatze richtig beurteilen 
will. Ein Geschöpf, das Tausende von Jahren eine 
bevorzugte Stelle im menschlichen Hause einnahm, wird 
bei seiner hohen Intelligenz nicht sofort auf die 
erworbenen Anpassungen verzichten, selbst wenn es 
zum gewöhnlichen Mäusefänger degradiert wird. In 
der That ist die Katze auch jederzeit bereit, eine gute 
Behandlung zu fordern und an ihre aristokratische Ver 
gangenheit im Nilthale sofort recht nachdrücklich zu 
erinnern, falls man dieser Forderung nicht gerecht wird. 
Von mittelgrofsen, der primitiven Wirtschaft sehr 
entsprechenden Haustieren erscheinen in Europa früh 
zeitig Schaf und Ziege; sie treten bereits im Beginn 
der Pfahlbauperiode auf. Wir haben keine Anhalts 
punkte dafür, dafs diese Geschöpfe in nennenswerter 
Menge von Afrika her übermittelt wurden, eine direkte 
asiatische Einwanderung scheint am meisten für sich zu 
haben. Dasselbe dürfte für den orientalischen Stamm 
des zahmen Schweines angenommen werden. 
Wenden wir uns schliefslich zu demjenigen zahmen 
Tier, dessen Zucht für weite Gebiete unserer Erde die 
Grundlage der wirtschaftlichen Existenz schaffen hilft 
— wir meinen das Rind. 
In der Frage der Rinderabstammung und Rinder 
verbreitung gehen gerade in der Gegenwart die Mei 
nungen mehr als je auseinander, die extremsten An 
nahmen werden durch Gründe zu stützen versucht. 
Soweit nicht ein völliger Nihilismus Platz greift und 
die Herkunft des Rindes als gänzlich unsicher hingestellt 
wird, können wir zwei wissenschaftliche Lager unter 
scheiden, dasjenige der Monophyleten, welche für sämt 
liche europäische Rinder eine einzige wilde Stammform 
annehmen, und das andere der Diphyleten, denen zu 
folge zwei Stammquellen existieren. Ich bekenne mich 
mit voller Überzeugung zu der diphyletischen Richtung. 
Um Klarheit zu gewinnen, müssen wir von folgenden 
wichtigen Thatsachen ausgehen : 
1. Sehen wir von den zahllosen Kreuzungsprodukten 
ab, so lassen sich im europäischen Viehstapel neben den 
grofsen Niederungs- und Steppenrindern, deren Ab 
stammung vom Ur (Bos primigenius) eigentlich niemand 
mehr bezweifelt, noch kleinere, kurzhörnige Rinder von 
auffallend zartem Bau und konstanten Körpermerkmalen 
unterscheiden. Erstere sind am wenigsten verändert 
in den Niederungen des nördlichen Europa und beson 
ders in den Steppengebieten von Osteuropa anzutreffen, 
reichen aber auch ins südeuropäische Gebiet hinein. 
Die Brachyceros - Rinder der Gegenwart haben sich am 
reinsten im Gebiete der Alpen erhalten, tauchen dann 
wieder als starkes Kontingent in Polen (polnisches Rot 
vieh), Galizien und in Albanien auf, wie besonders 
L. Adametz nachgewiesen hat. 
2. Das älteste zahme Rind, welches zu Beginn der 
Pfahlbauzeit in Europa erscheint, ist eine auffallend 
gleichförmige Rasse von geringer Gröfse und zierlichem 
Bau, kurzhörnig und vom Primigenius - Rind durch be 
ständige osteologische Kennzeichen unterscheidbar. 
3. Wie das aufserordentlich reichhaltige Material 
aus den westschweizerischen Pfahlbauten ganz unzwei 
deutig ergiebt, tritt die reine Primigenius-Rasse 
als Haustier erst später als das kleinere Torf 
rind auf, anfänglich unvermischt neben demselben, in 
den jüngeren Pfahlbauten erscheinen vielfach Kreuzungs 
produkte, so dafs der ursprüngliche Rassencharakter 
unbestimmter wird. 
4. Die brachyceren Rinder der Gegenwart, wie sie 
uns im Braunvieh der Alpen, im Eringer Rind, im 
Duxer Rind, im polnischen Rotvieh und im Rinde der 
albanesischen Berge entgegentreten, stimmen in den 
wesentlichen osteologischen Merkmalen mit dem alten 
Torfrind überein. 
Mit diesen Thatsachen werden wir zu rechnen haben; 
sie lassen nur die eine Deutung zu, die zuerst mit Glück 
von L. Rütimeyer begründet wurde, dafs neben der 
einen wilden Stammform der Primigenius-Rinder noch 
eine zweite Stammform für sämtliche brachyceren Rinder 
angenommen werden mufs. Der Bison kann hier 
natürlich nicht in Betracht kommen, sonst aber kennen 
wir mit Sicherheit in Europa aufser dem Bos primigenius 
kein diluviales oder postdiluviales Wildrind. 
Man mufste also vor dieser Frage aus Mangel an 
bestimmten Anhaltspunkten einfach Halt machen. 
Seit Jahren schien es mir, dafs man aufserhalb 
Europas auf die Suche zu gehen habe. Eine direkte 
asiatische Einwanderung von zahmen Rindern klingt 
wenig wahrscheinlich. In dem skytisch - mongolischen 
Kulturkreise spielt das Pferd als motorisches Haustier 
die Hauptrolle; Fleisch lieferte das Schaf. In Klein 
asien lagen die Dinge ähnlich und es ist sehr beachtens 
wert, dafs die Altägypter sich nicht nach Kleinasien 
wandten, um ihren Rinderbedarf zu decken, sondern 
nach dem viel entfernteren Äthiopien. Es fehlte offen 
bar an genügendem Material. Der asiatischen Ein 
wanderung der ältesten europäischen Rinder steht noch 
entgegen, dafs das phlegmatische Rind den beweglichen 
Steppen Völkern Innerasiens auf den Wanderungen nur 
schwer zu folgen vermochte. Viel natürlicher erscheint 
es, Afrika als Bezugsquelle der Pfahlbaurinder von 
brachycerem Charakter ins Auge zu fassen. Von dem 
aufserordentlichen Rinderreichtum dieses Erdteils haben 
wir nur unvollkommene Vorstellung, man mufs ihn 
selbst gesehen haben; er war schon im grauesten Alter 
tum im Gebiete der hamitischen Volksstämme vorhanden 
und es liegt die Vermutung sehr nahe, dafs Nordafrika 
frühzeitig von diesem Überschufs an Südeuropa abge 
geben hat, da ja der Kultureinflufs Ägyptens frühzeitig 
auf unseren Boden hinüberspielte. Die auffallende That- 
sache, dafs die fremdartige Torfrasse, d. h. die Stamm 
rasse der europäischen Kurzhornrinder, vor dem grofsen 
Primigeniusrinde auftaucht und zu Anfang die aus- 
schliefsliche Herrschaft besitzt, könnte leicht dadurch
	        
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