Ferdinand Gessert: Der Seewind Deutsch-Südwestafrikas und seine Folgen
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sollen vermutlich die Kleidung darstellen. Die Stellung
der Extremitäten läfst die Figuren in sehr lebhafter Be
wegung, als tanzende oder kämpfende, erscheinen. Wer
ihre Deutung als Menschenfiguren zu kühn findet, der
sei daran erinnert, dafs die doch zweifellosen Menschen
darstellungen auf der Urne von Lahse noch erheblich
weniger detailliert sind, und z. B. bei dem Bogen
schützen blofs in einem Strich mit einem oben ange
setzten Kreise bestehen.
Die Kunst der Naturvölker ist im Laufe der letzten
Jahre wiederholt zum Gegenstand eingehender Betrach
tungen gemacht worden. Eines der wichtigsten Ergeb
nisse ist die von allen Forschern bestätigte Thatsache,
dafs die meisten Ornamente primitiver Völker, trotzdem
sie unserem Auge als rein geometrische, frei erfundene
Muster erscheinen, in Wirklichkeit nichts anderes sind,
als Nachahmungen tierischer und menschlicher Formen.
Die Folgerung, dafs es sich bei unseren prähistorischen
Ornamenten, die jenen bisweilen zum Verwechseln ähn
lich sehen, ebenso verhält, liegt nahe genug. Wenn nun
vollends in einer Reihe von Fällen die Absicht des prä
historischen Zeichners, Menschen und Tiere oder Gegen
stände seiner Umgebung nachzubilden, unverkennbar
hervorgetreten ist, so darf der Versuch nicht mehr als
phantastisch bezeichnet werden, andere, weniger deutliche
Darstellungen auf solche Vorbilder zurück zu führen.
Der Seewind Deutsch-Südwestafrikas und seine Folgen.
Von Ferdinand Gessert. Inakhab.
Eine belangreiche Erscheinung tritt im Namalande
auf, vorwiegend im südwestlichen Teile: Vom Frühjahr
bis zum Herbst bildet sich fast regelmäfsig nachmittags
am südwestlichen Horizont ein Wolkenstreifen, in der
Richtung von Nordwest nach Südost gezogen. Derselbe
steht also senkrecht zum Zuge des südwestlichen See
windes, der, hervorgerufen durch den Temperaturunter
schied der am Lande nordwärts ziehenden kalten Polar
strömung und der heifsen Steppe, an der Küste bereits
vormittags beginnt. Dafs der Wolkenstreifen mit dem
Seewinde in Verbindung steht, wird dadurch zur Ge-
wifsheit, dafs man nach einigen Beobachtungen aus dem
Auftreten des Wolkenstreifens mit ziemlicher Genauig
keit die Zeit ablesen kann, in welcher der im Sommer
vorherrschende nördliche Wind vom Südweststurm ab
gelöst wird. Dieser Wolkenstreifen nimmt schnell an
Dicke zu. Schwere Gewitterwolken ballen sich zusammen
und entladen sich in heftigen Unwettern. Dieselben sind
aber von kürzester Dauer, indem der vielfach orkanartig
auftretende Wind sie in gröfster Hast nordostwärts
führt. Diese Wolkenbildung tritt nur an der vordersten
Grenze des Seewindes auf, während sofort nach Vorbei
flug des Unwetters wieder heiterster Himmel herrscht.
Häufig ist zu beobachten, dafs der Regen, den der
Wolkenstreifen spendet, vom unteren, verhältnismäfsig
trockeneren Luftstrom aufgesogen wird, bevor er den
Boden erreicht, dafs der Regenbogen folglich auch nur
unvollkommen, fufslos, keine Leiter bildet zwischen
Himmel und Erde. Dieser Wolkenstreifen tritt besonders
dann auf, wenn Nordwind herrscht und sich durch den
Ascensionsstrom Gewitterwolken bilden. Einem Ascen
sionsstrom verdankt auch der Wolkenstreifen offenbar
sein Entstehen. So vorübergehend auch die vom See
wind getragenen Gewitter sind, zuweilen sind sie doch
so heftig, dafs die Flüsse laufen. Tritt der Südwest
besonders stark auf, so jagt er die Unwetter weit über
das Land bis in die Kalahari hinein, doch meist sind
diese Regen auf einen breiteren Landstreifen beschränkt,
der an den Wüstengürtel grenzt.
Es liefse sich hier eine besondere Regenprovinz
unterscheiden. Der Übergang zur Zone mit vor
herrschenden , durch gewöhnlichen Ascensionsstrom ge
bildeten Gewittern ist, wie gesagt, sehr allmählich. Es
kommt nicht selten vor, dafs ein Gewitter bei Nordwind
beginnt und durch den Südwestwind zurückgeworfen
wird, wodurch es vielfach verstärkt wird. Wenn man
daraus, dafs es im Ambolande stark regnet, schlielsen
kann, dafs es bald auch im Damaralande und demnächst ;
auch im Namalande gut regnen wird, so gilt dies zwar
auch für die südwestliche Provinz, aber nicht unbedingt.
Umgekehrt kommt es vor, dafs in Jahren, in welchen
in nördlichen Strichen wenig Regen fällt, in dieser
Klimaprovinz verhältnismäfsig ergiebige Niederschläge
erfolgen, indem die heifse Steppe jede Wolkenbildung
rückgängig macht, und erst die energischere Ascensions
wirkung des Seewindes die Kondensation bis zum
Regenfall durchsetzt. Diese Provinz deckt sich etwa
mit der Kapitänschaft Bethanien, soweit dieselbe nicht
dem Wüstengürtel angehört. Im vorigen Jahre war
hier die Dürre nicht so ausgesprochen, wie in östlich
und nördlich gelegenen Landschaften, z. B. im Kreise
Gibeon. Dafs hart an den Wüstengürtel eine Zone mit
verhältnismäfsig gutem Regenfall grenzt, bewirkt aufser
den Seew'inden das schnelle Ansteigen der Wüstenland
schaft zu den die innere Hochebene abschliefsenden
Randgebirgen. In diesen dringen auch die Winterregen
bekanntlich vor. Hier liegt die Berührung mit der
südlichen Regenprovinz. Vorwiegend ist hier jedoch
der Einfiufs des ursprünglichen Seewindes ein ungün
stiger, indem er die Gewitterwolken schnell wegführt
und nunmehr als echter Wüstenwind die geringe Regen
menge rasch aufsaugt. Ein Teil der Feuchtigkeit des
Seewindes schlägt sich nachts als starker Tau im
Wüstengürtel nieder, der aber für die Vegetation nur
überaus wenig in Betracht kommt, da teils eben nur
ein sehr dürftiger Pflanzenwuchs vorhanden ist, der ihn
beschattend und aufsaugend benutzen könnte, teils die
sengende Sonne ihn schon in früher Stunde aufleckt.
Die Wüste nimmt nur nach den seltenen Gewitter- und
Winterregen — der letzteren entbehi-t der nördliche Strich
ganz — ein etwas grüneres, freundlicheres Aussehen an.
Der Seewind erhält hier seine ungewöhnliche Heftigkeit
durch die selten grofse Temperaturdifferenz von Land
und Meer. Es besteht hier also eine Wechselbeziehung,
indem der Seewind die Regenarmut und damit die
Hitze des Landes veranlafst. Wie würden die Verhält
nisse sein, wenn der Seewind weniger stark und an
haltend wehte? Diese Frage soll erst beantwortet
werden, nachdem zunächst bewiesen wurde, dafs sie
keine müfsige ist, dafs die Natur imstande ist, durch
geringe Verschiebung der Verhältnisse weittragende
Folgeerscheinungen hervorzurufen, dafs ferner der
Mensch fähig ist, die Natur bei diesem Vorgang seinen
Zielen entsprechend zu unterstützen. Welch grofsen
Einfiufs Binnenseen auf das Klima haben, ersehen wir
aus dem Werke von Prof. Dr. A. Engler: „Die Pflanzen
welt Ostafrikas“. So lesen wir in Teil A, S. 56: „In
den über diese Höhe (1000 m) hinausgehenden Gebieten
kommt aber auch vielfach noch steppenartiges Grasland
vor, wenn das Land nach Norden oder Westen exponiert
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Globus LXXII. Nr. 19.