Ernst H. L. Krause: Vegetationsskizze des russischen Gouvernements Poltawa.
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Vegetationsskizze des russischen Gouvernements Poltawa.
Von Ernst H. L. Krause. Saarlouis.
Da es für die Erkenntnis der Entwickelung unserer
heutigen deutschen Pflanzenwelt eine wichtige Vorfrage Q
geworden ist, unter welchen Lebensbedingungen die
Vegetation der russischen Steppen steht, so war es für
mich erfreulich, von Gavriil Iwanowitsch Tanfiljew 2 3 ) zu
einem Besuche des Gouvernements Poltawa eingeladen
zu werden. Ehe ich an die speciell fachwissenschaft
liche Ausarbeitung meiner Wahrnehmungen auf dieser
im August 1897 ausgeführten Exkursion gehe, mag
hier ein kurzer Überblick über die gesehenen Land
schaften am Platze sein.
Von Moskau bis zur Oka ändert die Landschaft' 5 ’)
sich nicht wesentlich. Das breite sandige Thal dieses
Flusses bildet eine natürliche Vegetationsgrenze, welche
nach meiner Ansicht ganz gleichartig mit derjenigen ist,
welche von dem Thale der Elbe zwischen Zerbst und
Magdeburg gebildet wird. Hüben viel Sandboden,
Nadelholz und Moor, drüben meist Löfsboden und frucht
bare Äcker.
In Deutschland ist bekanntlich die Nordgrenze der
Löfsablagerungen zugleich die Nordgrenze der paläoli-
thischen Altertümer. Nach der kartographischen Über
sicht, welche im historischen Museum zu Moskau hängt,
trifft dies auch für Rufsland im allgemeinen zu, jedoch
ist abweichend von dieser Regel noch eine Fundstelle
auf halbem Wege zwischen Moskau und der Oka ein
gezeichnet.
Auf dem Wasser der Oka lag in der Morgenfrühe
eine weithin sichtbare dunkle Nebelbank. Jenseits
dieses Flusses herrscht, wie schon angedeutet, im Land
schaftsbilde das Ackerfeld vor.
Die Oberfläche des Bodens ist mäfsig gewellt. Die
Farbe der Ackerkrume wird südwärts allmählich dunkler,
bei Tula ist sie schon schwarz. Die Abhänge zeigen
gelbe Farbe mit einem Stich ins Rote. Es ist alter
Löfsboden, aber schon beträchtlich ausgelaugt und jetzt
eher als Lehm zu bezeichnen. Diese Veränderung
äufsert sich deutlich dadurch, dafs die Abhänge nicht
steil, sondern geneigt sind. Die Thäler der Bäche und
kleinen Flüsse sind terrassiert, man sieht, wie die Betten
der Gewässer zuerst sehr breit und flach gewesen und
allmählich stufenweise schmäler und tiefer geworden sind.
Auf den Rainen, welche überall die schmalen, jetzt
schon abgeernteten Ackerbeete trennen, fällt das massen
hafte Vorkommen des Wermuths auf. Wälder sind an
der Oka bis Tula noch zahlreich genug. Aber im Gegen
satz zu den linksokisclien Gegenden fehlt das Nadelholz.
Birken und Espen sind hüben so häufig wie drüben,
aber tonangebend ist die Eiche. Gleich nördlich von
Tula sind die Eichenwälder besonders ansehnlich, aufser
vielen anderen Laubbäumen sind ihnen zahlreiche Linden
beigemischt. Südlich von Tula dehnt sich ein ehemaliger
Grenzwald aus.
Im Süden des Gouvernements lula bei Lasarjewo
wird weifser Kalkstein gebrochen.
Weiter gegen Süden, zwischen Kursk und Charkow,
erscheint anstehende weifse Kreide an den Abhängen.
Von Kursk bis Marjino zeigt die Oberflächengestalt des
Bodens grofse Ähnlichkeit mit jenen Gegenden der
*) Vergi. Globus, Bd. 64, S. 81; Bd. 65, S. 1 ff. und 365 ff.;
Bd. 66, S. 47.
s ) Vergi. Globus, Bd. 66, S. 320; Bd. 67, S. 68; Bd
S. 232; Bd. 70, S. 227; Bd. 72, S. 34.
3 ) Vergi. Globus, Bd. 72, S. 197.
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deutschen Ostseeländer, in welchen die jüngste Dilu
vialmoräne auf Kreide liegt. Namentlich die kreisrunden
kleinen Wasserlöcher, welche man in Mecklenburg Solle
nennt, sieht man hier in grofser Zahl nahe bei einander.
Weiter südwärts dagegen sind in die weifse Kreide und
den sie deckenden losen Boden so viele, tiefe, steile
Schluchten eingerissen, dafs streckenweise kaum brauch
bares Ackerfeld bleibt. Charakteristisch für diese Zone
sind saubere weifse Bauernhütten, dieselben werden
häufig mit geschlemmter Kreide frisch angestrichen.
Der Hauptort führt den bezeichnenden Namen Bjelgorod,
die weifse Stadt. Zwischen abgeernteten Kornäckern
sieht man jetzt schon mehr Melonenfelder, jedes mit
einer kleinen Strohhütte versehen, in welcher zur Zeit
der Fruchtreife Tag und Nacht ein Wächter bleibt. Die
schlimmsten Felddiebe sollen die Hunde sein.
Nicht viel nördlich von Charkow passieren wir
einen Torfstich, Tanfiljew sagt mir, dafs hier ein noch
lebendiges Torfmoosmoor ausgebeutet wird — ein für die
Beurteilung der Beziehungen zwischen Vegetation und
Klima bemerkenswertes Vorkommnis.
Charkow hatte im Jahre 1892 4640 Häuser und
im Jahre 1888 schon fast 200 000 Einwohner. Es ist
aber durchaus nicht mit Städten wie Magdeburg, Frank
furt a. M. und Hannover zu vergleichen, sondern die
modernen Stadtteile mit steinernen Gebäuden und ge-
pflasterten Strafsen schätze ich ungefähr so grofs wie
Freiburg im Breisgau, Rostock oder Heidelberg. Bemer
kenswert ist, dafs in Charkow neben den kirchlichen
Bauwerken auch weltliche Bildungsanstalten jeden
Ranges einen hervorragenden Platz einnehmen. Die
Vorstädte sind dagegen in jeder Hinsicht dorfartig an
gelegt.
Der durch die Stadt fliefsende Lopan hat an beiden
Seiten hohe Ufer, das rechte liegt sogar etwas weiter
vom Flufsbette ab als das linke. Im allgemeinen gilt
sonst für die südrussischen Wasserläufe als Regel, dafs
das rechte westliche Ufer steil abfällt, das linke östliche
dagegen flach und sandig ist. Gleich südwestlich von
Charkow passieren wir den Udy, welcher hier eine west
liche Richtung hat. Auf seinem rechten, also südlichen
Ufer hat er Thalsand abgesetzt, welcher mit Kiefernwald
bestanden ist. Wo der Boden besser wird, bei der
Station Nowa Bavarija (natürlich eine Bierbrauerei!),
werden die Kiefern durch Laubholz abgelöst, und zwar
Eichenhochwald mit starker Beimischung von Linden
nebst Eschen und Ahorn. An solchen Wäldern ist das
Land nördlich, westlich und südlich um Charkow reich,
der Durchmesser dieses Waldbezirkes beträgt etwa 75 km.
Minder ausgedehnte Wälder, von schwarzen Äckern
unterbrochen, begleiten uns auf der Fahrt bis über die
Grenze des Gouvernements Poltawa hinaus, dann sehen
wir wieder eine Zeitlang nichts als Ackerfeld.
Die Gouvernementshauptstadt Poltawa zählt unge
fähr 3000 Häuser und 45 000 Einwohner. Auf annähernd
je 2000 Russen kommt hier eine Kirche; uns Deutschen
erscheint eine solche Zahl von Kirchen sehr hoch, aber
im Vergleiche mit Moskau sieht man an den Strafsen und
Plätzen Poltawas wirklich wenige Kultstätten. Die Stadt
liegt auf der Höhe des rechten Worsklaufers, dessen
steiler Abfall ungefähr 60 m beträgt. Die Qualität des
Weges findet ihren Ausdruck darin, dafs die Droschken
fahrt von dem im Thale liegenden Bahnhof zur Stadt
hinauf 75, von der Stadt zum Bahnhof aber nur 50 Ko-