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Karl Gander: Volkskundliches aus dem Bereich der Viehzucht.
wollte. In Lübben gab man am ersten Weihnachts-
feiertage jeder Kuh etwas Grünkohl mit den Worten:
„Hier hast du deinen heiligen Christ!“
Entgegengesetzt glaubt der Bauer aber auch, dafs
sein Vieh gegen ihn von Anhänglichkeit beseelt sei.
Wenn der Wirt gestorben ist, so mufs sein Tod den
Haustieren angesagt werden, weil sie sich sonst bangen
und aufserdem brüllen, blöken, wiehern, grunzen würden,
wenn er begraben wird.
Im allgemeinen hält der Bauer seine Haustiere für
geistig höher veranlagt, als sie es wirklich sind. Es ist
etwas ganz Gewöhnliches, dafs er mit ihnen spricht, wie
mit einem guten Freunde, und als ob sie jedes seiner
Worte verstünden. Ja, er legt ihnen — wenigstens zu
gewissen Zeiten — selbst das Vermögen zu sprechen bei.
So glaubt er, dafs die Haustiere in der Christnacht mit
einander reden, und zwar über ihren Wirt, wie er sie
im vergangenen Jahre behandelt habe, und was für
Schicksale ihm für das kommende bevorständen. So
wie die Tiere hier in die Zukunft schauen, die dem
Menschen verborgen ist — ich erinnere hier auch an den
Hund, der durch sein Heulen einen Todesfall ankündigt
— so glaubt der Bauer auch, dafs sie Geister sehen, die
er nicht sieht. Wie oft wird erzählt, dafs Pferde oder
Ochsen an bekannten Spukecken scheinbar ohne Grund
scheu werden und die Flucht ergreifen, immer mit der
Erklärung, dafs die Tiere die Geister, die dort herum
spuken, gesehen haben müfsten.
Das gute Verhältnis, in dem der Bauer der Nieder
lausitz zu seinem Vieh steht, ist aber tief begründet in
der Erkenntnis des grofsen Nutzens, den es ihm gewährt;
denn unser Bauer ist eine materiell veranlagte Natur,
und wenn er sein Vieh hegt und pflegt, so gedenkt er
dabei immer des Sprichworts: „Giebst du der Kuh
nichts ins Krippchen, so giebt sie dir auch nichts ins
Tüppchen!“
Um einen möglichst grofsen Nutzen von seinem Vieh
zu haben, thut er für dasselbe ja, was er kann; aber er
lebt dabei doch in der Überzeugung, dafs es schliefslich
in seiner Macht nicht stehe, ob nun auch alles wohl gerate,
und obwohl er im allgemeinen ein frommer Mann und
niemals mehr mit dem Herzen dabei ist, als wenn in
der Kirche für die Früchte des Feldes und für die Ge
sundheit des Viehstandes gebetet wird, so kann er sich
trotz dessen von einer steten Furcht vor geheimnisvollen
dämonischen Einwirkungen auf sein Vieh nicht frei
machen, und er übt eine Menge von Bräuchen, die als
unchristlich verpönt sind, die er aber sehr wohl mit
seinem Christentum für verträglich hält.
Oft weifs der Bauer nicht einmal mehr, warum er
diesen oder jenen Brauch übt. Er hat von seinen
Eltern oder von erfahrenen Leuten gehört, dafs ein Mittel
für einen bestimmten Zweck gut sein soll, und darum
wendet er es an.
So wird das Brot immer am dicken Ende ange
schnitten, weil man dann stets fettes Vieh zu haben
glaubt. Auch hütet man sich, die Haustiere mit einem
Besen — auf dem ja die Hexen reiten — zu schlagen
oder zu werfen, weil die Tiere dadurch mager werden.
In einer Vorstadt von Guben hielten sich Leute in dem
Fasse, in dem der Trank für die Kuh zurechtgemacht
wurde, eine lebende Sumpfschildkröte (Emys europaea),
damit jene gesund bleiben sollte. Derselbe Brauch wird
mit der gleichen Begründung auch in Pommern und
Ostpreufsen geübt. Im Vorwerk Kückebusch bei Guben
hielt sich ein Besitzer gleichfalls eine Schildkröte und
tränkte mit dem Wasser, in dem sie sich befand, sein
Vieh. In Guben selbst tränkte ein Fleischer mit solchem
Wasser seine Pferde. Die Schildkröte ist hier einfach
als Glückstier zu betrachten, wie weifse Mäuse, Maul
würfe, die auf dem Wasser spielenden Glückskäferchen
(Gyrinus marinus), vierblätteriger Klee, und andere
Dinge, die man selten in seinen Besitz bekommt. Auf
die glückbringende Bedeutung der Schildkröte weist
deutlich die Thatsache hin, dafs sich der erwähnte
Fleischer aus ihrem Panzer eine Geldschwinge anfer
tigen liefs.
Glückbringend, als Symbol der Fruchtbarkeit und
des Segens, ist auch das Wasser. Darum wurde der
Hirt, der die Herde vom ersten Austreiben heimbrachte,
und derjenige, der im Frühjahr von der ersten Acker
arbeit heimkehrte, mit Wasser begossen. Darum wird
auch das Vieh, das gekauft worden ist, bevor es in den
Stall kommt, mit Wasser besprengt, um es gesund zu
erhalten. In Caaso, Kreis Guben, erfolgte die Be-
sprengung einmal am Kopf, ein zweites Mal auf dem
Rücken und das dritte Mal am Kreuz.
Förmlich wunderwirkende Kraft hat aber das Oster
wasser. Es heilt Krankheiten und bewahrt vor solchen.
Darum badeten nicht nur früher die Menschen in der
Osternacht, sondern man ritt bei günstiger Witterung
auch die Pferde in die Schwemme. Allgemeiner wird
jedoch das Vieh mit Osterwasser bespritzt und getränkt.
Um beim Viehverkauf Glück zu haben, legte in
Sachsdorf, Kreis Guben, ein Mann am Morgen eines
Markttages Birkenruten in die Krippe des zum Verkauf
zu stellenden Tieres. Bei Guben pflückte ein Bauer auf
dem Neifsedamme die rosenrot blühenden Grasnelken
(Armeria vulgaris), und als er gefragt wurde, welchem
Zwecke sie dienen sollten, antwortete er: „Das sind ja
Keferchen! Morgen ist Viehmarkt! Dann stecke ich
sie mir in die Tasche! Dann locken sie die Käufer an.“
In Cottbus führten die Wenden früher auf den Vieh
märkten Kuhschwänze in den Taschen, weil sie beim
Ein- und Verkaufe von Nutzen sein sollten. Man geht
wohl nicht fehl, wenn man diese Kuhschwänze als Reste
ehemaliger Tieropfer ansieht und ihre glückbringende
Kraft darauf zurückführt. Hat ein Bauer ein Stück
Vieh verkauft, so behält er den Strick zurück; denn er
bringt auch künftig Glück beim Viehverkauf.
Hat ein Bauer bei seinem Vieh Unglück, so schreibt
er die Schuld in der Regel nicht sich, sondern anderen
bösen Menschen und Einflüssen zu: es ist ihm beschrieen
oder behext worden. Darum zeigt er sein Vieh, nament
lich das junge, nicht gern, und hohe Lattenzäune ent
ziehen seinen Hof den Blicken Anderer. Denn schon
der blofse Anblick böser oder neidischer Nachbaren,
namentlich wenn derselbe mit bewundernden oder
lobenden Aufserungen verbunden ist, kann seinem Vieh
schaden. Solch beschrieenes Vieh wird elend, magert
ab, bringt keinen Nutzen mehr und geht wohl gar ein.
Schon dadurch, dafs man junges Vieh hübsch oder schön
nennt, kann es beschrieen werden. Der Bauer gebraucht
diese Ausdrücke jungem Vieh gegenüber daher niemals,
höchstens bezeichnet er es als schmuck. Entschlüpfen
ihm die genannten Ausdrücke doch einmal, so sucht er
ihre schädliche Wirkung dadurch wieder aufzuheben,
dafs er etwas Tadelnswertes sagt. Ein Bauer, der auf
das Wohl seines Nebenmenschen bedacht ist, spricht
stets, wenn er junges Vieh oder kleine Kinder zum
erstenmal sieht: „Gott bewahr’ dich!“ oder: „Der liebe
Gott hat dich eher gesehen, als ich!“ weil dadurch das
Beschreien verhütet wird. In den ersten drei Tagen wird
junges Vieh aus Furcht, dafs es beschrieen werden
könnte, überhaupt niemandem gezeigt.
Aber auch Tiere, die er gekauft hat, zeigt der Bauer
nicht gern, damit sie nicht, wie man sich im Spreewalde
ausdrückt, das Angesicht bekommen. Als er sie in den