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Full Text: Globus, 72.1897

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Karl Gander: Volkskundliches aus dem Bereich der Viehzucht. 
wollte. In Lübben gab man am ersten Weihnachts- 
feiertage jeder Kuh etwas Grünkohl mit den Worten: 
„Hier hast du deinen heiligen Christ!“ 
Entgegengesetzt glaubt der Bauer aber auch, dafs 
sein Vieh gegen ihn von Anhänglichkeit beseelt sei. 
Wenn der Wirt gestorben ist, so mufs sein Tod den 
Haustieren angesagt werden, weil sie sich sonst bangen 
und aufserdem brüllen, blöken, wiehern, grunzen würden, 
wenn er begraben wird. 
Im allgemeinen hält der Bauer seine Haustiere für 
geistig höher veranlagt, als sie es wirklich sind. Es ist 
etwas ganz Gewöhnliches, dafs er mit ihnen spricht, wie 
mit einem guten Freunde, und als ob sie jedes seiner 
Worte verstünden. Ja, er legt ihnen — wenigstens zu 
gewissen Zeiten — selbst das Vermögen zu sprechen bei. 
So glaubt er, dafs die Haustiere in der Christnacht mit 
einander reden, und zwar über ihren Wirt, wie er sie 
im vergangenen Jahre behandelt habe, und was für 
Schicksale ihm für das kommende bevorständen. So 
wie die Tiere hier in die Zukunft schauen, die dem 
Menschen verborgen ist — ich erinnere hier auch an den 
Hund, der durch sein Heulen einen Todesfall ankündigt 
— so glaubt der Bauer auch, dafs sie Geister sehen, die 
er nicht sieht. Wie oft wird erzählt, dafs Pferde oder 
Ochsen an bekannten Spukecken scheinbar ohne Grund 
scheu werden und die Flucht ergreifen, immer mit der 
Erklärung, dafs die Tiere die Geister, die dort herum 
spuken, gesehen haben müfsten. 
Das gute Verhältnis, in dem der Bauer der Nieder 
lausitz zu seinem Vieh steht, ist aber tief begründet in 
der Erkenntnis des grofsen Nutzens, den es ihm gewährt; 
denn unser Bauer ist eine materiell veranlagte Natur, 
und wenn er sein Vieh hegt und pflegt, so gedenkt er 
dabei immer des Sprichworts: „Giebst du der Kuh 
nichts ins Krippchen, so giebt sie dir auch nichts ins 
Tüppchen!“ 
Um einen möglichst grofsen Nutzen von seinem Vieh 
zu haben, thut er für dasselbe ja, was er kann; aber er 
lebt dabei doch in der Überzeugung, dafs es schliefslich 
in seiner Macht nicht stehe, ob nun auch alles wohl gerate, 
und obwohl er im allgemeinen ein frommer Mann und 
niemals mehr mit dem Herzen dabei ist, als wenn in 
der Kirche für die Früchte des Feldes und für die Ge 
sundheit des Viehstandes gebetet wird, so kann er sich 
trotz dessen von einer steten Furcht vor geheimnisvollen 
dämonischen Einwirkungen auf sein Vieh nicht frei 
machen, und er übt eine Menge von Bräuchen, die als 
unchristlich verpönt sind, die er aber sehr wohl mit 
seinem Christentum für verträglich hält. 
Oft weifs der Bauer nicht einmal mehr, warum er 
diesen oder jenen Brauch übt. Er hat von seinen 
Eltern oder von erfahrenen Leuten gehört, dafs ein Mittel 
für einen bestimmten Zweck gut sein soll, und darum 
wendet er es an. 
So wird das Brot immer am dicken Ende ange 
schnitten, weil man dann stets fettes Vieh zu haben 
glaubt. Auch hütet man sich, die Haustiere mit einem 
Besen — auf dem ja die Hexen reiten — zu schlagen 
oder zu werfen, weil die Tiere dadurch mager werden. 
In einer Vorstadt von Guben hielten sich Leute in dem 
Fasse, in dem der Trank für die Kuh zurechtgemacht 
wurde, eine lebende Sumpfschildkröte (Emys europaea), 
damit jene gesund bleiben sollte. Derselbe Brauch wird 
mit der gleichen Begründung auch in Pommern und 
Ostpreufsen geübt. Im Vorwerk Kückebusch bei Guben 
hielt sich ein Besitzer gleichfalls eine Schildkröte und 
tränkte mit dem Wasser, in dem sie sich befand, sein 
Vieh. In Guben selbst tränkte ein Fleischer mit solchem 
Wasser seine Pferde. Die Schildkröte ist hier einfach 
als Glückstier zu betrachten, wie weifse Mäuse, Maul 
würfe, die auf dem Wasser spielenden Glückskäferchen 
(Gyrinus marinus), vierblätteriger Klee, und andere 
Dinge, die man selten in seinen Besitz bekommt. Auf 
die glückbringende Bedeutung der Schildkröte weist 
deutlich die Thatsache hin, dafs sich der erwähnte 
Fleischer aus ihrem Panzer eine Geldschwinge anfer 
tigen liefs. 
Glückbringend, als Symbol der Fruchtbarkeit und 
des Segens, ist auch das Wasser. Darum wurde der 
Hirt, der die Herde vom ersten Austreiben heimbrachte, 
und derjenige, der im Frühjahr von der ersten Acker 
arbeit heimkehrte, mit Wasser begossen. Darum wird 
auch das Vieh, das gekauft worden ist, bevor es in den 
Stall kommt, mit Wasser besprengt, um es gesund zu 
erhalten. In Caaso, Kreis Guben, erfolgte die Be- 
sprengung einmal am Kopf, ein zweites Mal auf dem 
Rücken und das dritte Mal am Kreuz. 
Förmlich wunderwirkende Kraft hat aber das Oster 
wasser. Es heilt Krankheiten und bewahrt vor solchen. 
Darum badeten nicht nur früher die Menschen in der 
Osternacht, sondern man ritt bei günstiger Witterung 
auch die Pferde in die Schwemme. Allgemeiner wird 
jedoch das Vieh mit Osterwasser bespritzt und getränkt. 
Um beim Viehverkauf Glück zu haben, legte in 
Sachsdorf, Kreis Guben, ein Mann am Morgen eines 
Markttages Birkenruten in die Krippe des zum Verkauf 
zu stellenden Tieres. Bei Guben pflückte ein Bauer auf 
dem Neifsedamme die rosenrot blühenden Grasnelken 
(Armeria vulgaris), und als er gefragt wurde, welchem 
Zwecke sie dienen sollten, antwortete er: „Das sind ja 
Keferchen! Morgen ist Viehmarkt! Dann stecke ich 
sie mir in die Tasche! Dann locken sie die Käufer an.“ 
In Cottbus führten die Wenden früher auf den Vieh 
märkten Kuhschwänze in den Taschen, weil sie beim 
Ein- und Verkaufe von Nutzen sein sollten. Man geht 
wohl nicht fehl, wenn man diese Kuhschwänze als Reste 
ehemaliger Tieropfer ansieht und ihre glückbringende 
Kraft darauf zurückführt. Hat ein Bauer ein Stück 
Vieh verkauft, so behält er den Strick zurück; denn er 
bringt auch künftig Glück beim Viehverkauf. 
Hat ein Bauer bei seinem Vieh Unglück, so schreibt 
er die Schuld in der Regel nicht sich, sondern anderen 
bösen Menschen und Einflüssen zu: es ist ihm beschrieen 
oder behext worden. Darum zeigt er sein Vieh, nament 
lich das junge, nicht gern, und hohe Lattenzäune ent 
ziehen seinen Hof den Blicken Anderer. Denn schon 
der blofse Anblick böser oder neidischer Nachbaren, 
namentlich wenn derselbe mit bewundernden oder 
lobenden Aufserungen verbunden ist, kann seinem Vieh 
schaden. Solch beschrieenes Vieh wird elend, magert 
ab, bringt keinen Nutzen mehr und geht wohl gar ein. 
Schon dadurch, dafs man junges Vieh hübsch oder schön 
nennt, kann es beschrieen werden. Der Bauer gebraucht 
diese Ausdrücke jungem Vieh gegenüber daher niemals, 
höchstens bezeichnet er es als schmuck. Entschlüpfen 
ihm die genannten Ausdrücke doch einmal, so sucht er 
ihre schädliche Wirkung dadurch wieder aufzuheben, 
dafs er etwas Tadelnswertes sagt. Ein Bauer, der auf 
das Wohl seines Nebenmenschen bedacht ist, spricht 
stets, wenn er junges Vieh oder kleine Kinder zum 
erstenmal sieht: „Gott bewahr’ dich!“ oder: „Der liebe 
Gott hat dich eher gesehen, als ich!“ weil dadurch das 
Beschreien verhütet wird. In den ersten drei Tagen wird 
junges Vieh aus Furcht, dafs es beschrieen werden 
könnte, überhaupt niemandem gezeigt. 
Aber auch Tiere, die er gekauft hat, zeigt der Bauer 
nicht gern, damit sie nicht, wie man sich im Spreewalde 
ausdrückt, das Angesicht bekommen. Als er sie in den
	        
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