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Full Text: Anthropos, 16/17.1921/22

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Dr. P. M. Küsters, O. S. B. 
niedrig' abgemessen und beurteilt und nach diesen Gesichtspunkten die Reihe 
der Entwicklung aufgestellt. Die historische Folge bleibt dabei unbeachtet. 
Und doch kann nur die historische Folge uns ein objektives Bild der äußeren 
Entwicklung einer Sitte geben. Von dieser historischen Erkenntnis aus ver 
mögen wir dank der einheitlichen psychischen Veranlagung des Menschen 
geschlechtes den inneren Gang der Entwicklung nachzudenken und nachzu 
konstruieren, so daß wir an Hand der Tatsachen die Ideen gruppieren und 
nicht nach unseren Ideen die Tatsachen modeln. Denn darauf lief letzten 
Endes die Theorie von der Stetigkeit der Entwicklung hinaus. Nach der Arbeit 
von Steinmetz über den Endokannibalismus hatte man eine Theorie für die 
Entwicklung des Begräbnisses aufgestellt, die neuestens Reinhardt in seine 
„Kulturgeschichte des Menschen“ aufgenommen hat. Er schreibt: „Hatte man 
in der Urzeit da, wo der Mensch starb, die Leiche liegen gelassen und war 
man aus Scheu vor dem unheimlichen Leichnam von dannen gegangen, um 
dem Totengeist, der zunächst noch in der Leiche hausend gedacht war, die 
Stätte zu überlassen, so beginnt man mit der Zeit, sich mit ihm zu beschäf 
tigen und dementsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Die ursprünglichste 
derselben ist, daß die Angehörigen die Leiche verzehren, nicht sowohl um 
den stets regen Hunger zu stillen, sondern vielmehr, um damit die Seele des 
Verstorbenen mit dessen erwünschten Kräften in sich aufzunehmen und da 
durch die eigene Zauberkraft zu erhöhen. Scheut man sich später, die eigenen 
Angehörigen zu verzehren, so tauschen die Nachbarn solche Kostbarkeiten 
unter Sich aus. ... Präanimistisch ... scheint die Sitte der Leichenaussetzung 
zu sein ... Eine andere, sehr einfache und dennoch sehr gründliche Methode, 
sich des unheimlichen Leichnams zu entledigen, ist die, ihn ins Wasser zu 
werfen, wo ihn dann die Flut wegspült und die mancherlei fleischfressenden 
Wasserbewohner für seine Beseitigung sorgen... Die Beisetzung im Boden soll 
dem noch mit Vorliebe in der Leiche hausend gedachten Geiste eine Wohnung 
gewähren, die der bisherigen ähnlich ist.“ Mumifizieren und Skelettieren 
führt er auf den Wunsch zurück, den Geist des Toten möglichst lange zu er 
halten. Verbrennen ist ein Unschädlichmachen des Toten (622). Kein Geringerer 
als Heinrich Schurz hat seine Bedenken gegen diese psychologische Reihe 
ausgesprochen. In seiner „Urgeschichte der Kultur“ offenbarte sich ihm bei 
den Kulturparallelen, die er aufstellte, die Disharmonie der verschiedenen 
Kulturgüter bei einem und demselben Volke. Hoher geistiger Kultur, vom 
Standpunkte des Beobachters aus, stand eine materiell wenig entwickelte 
äußere Lebensführung gegenüber, und der glänzenden Technik fehlte wiederum 
eine entsprechende geistige Reife und Fortgeschrittenheit. Gerade beim Be 
gräbnis formuliert er seine Bedenken in folgender Weise: „Ein enger Zu 
sammenhang der Bestattungsgebräuche mit der Kulturhöhe besteht nicht, und 
die verschiedensten Bräuche finden sich oft bei ein und demselben Volke; 
die unserer Empfindung nach niedersten Formen sind zuweilen verhältnis 
mäßig hoch kultivierten Völkern eigen, während wir bei niederen Rassen sehr 
entwickelte Bestattungsweisen antreffen.“ Man denkt hierbei an den Kanniba- ✓ 
lismus der Kongoneger, der Mangbetu und Niam-Niam, deren Technik, speziell 
die Metallbearbeitung, die Bewunderung auch der Europäer erregt. 
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