Das Grab der Afrikaner.
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Psychologisch kann man nicht zu einer objektiven Entwicklung der Be
gräbnissitten Vordringen, nur historisch lassen sich die Daten festlegen; der
Psychologie verbleibt die Aufgabe, die historischen Tatsachen in ihrer Be
dingtheit und Abhängigkeit zu erklären.
Wir haben in Afrika eine vierfache Völkerschichtung festzuhalten. Ich
gruppiere hier die Völker nach der Tabelle, die Prof. Weule in seinem „Leit
faden der Völkerkunde“ aufgestellt hat. Die älteste Volksklasse bilden die
Pygmäen; auf sie folgen zeitlich die hellen Südafrikaner, die Buschmänner
und Hottentotten, dann folgt die Bantufamilie, die in Vermischung mit Hamiten
die Sudanneger gebildet hat, und zuletzt erscheinen die Hamiten, die zeitlich
jüngste Bevölkerung Afrikas.
Es handelt sich also zunächst darum, die Begräbnisarten festzustellen, die
sich bei diesen Völkern finden und dann zu versuchen, sie auch in inneren
Zusammenhang zu bringen. Gelingt es, die historische Reihe auch psycho
logisch verständlich zu machen, so haben wir eine der Wahrheit getreue Ent
wicklungsreihe des Begräbnisses vor uns; der Ausgangspunkt allerdings bleibt
immer auch dann noch in Dunkel gehüllt; denn wir haben keine historischen
Zeugnisse, die bis in die Anfänge der Menschheit zurückreichen und sind
hier auf Kombinationen angewiesen.
Die Bestattungsart der Pygmäen ist nun die Beerdigung, wie Seyffert
in seinen Untersuchungen nachgewiesen hat. Die vereinzelten Beispiele von
Verbrennen und im Fluß-Begraben können nur als Ausnahmen gewertet werden,
soweit sie überhaupt zuverlässigen Zeugnissen entspringen.
Die Buschmänner und Hottentotten haben beide gemeinsam die Aus
setzung, die Bestattungsart der gewöhnlichen Leute, die nicht in der Hütte
sterben, das Steingrab für die Großen des Stammes, die Hockerform und das
Aussetzen der noch lebenden alten Leute. Bei den Hottentotten kommt schon
das Hüttengrab beim Häuptling hinzu.
Das Hüttengrab umfaßt das große Gebiet aller Bantu- und Sudan-Neger.
Hier gesellt sich in weiter Verbreitung die Aussetzung, der Kannibalismus
und das Hockergrab hinzu. Hamitisch scheint das Steingrab zu sein, oder
doch wenigstens in seinem Ursprung aus dem Osthorn zu kommen. Parallel
dem Hüttengrab geht das Nischengrab.
Das sind die großen Begräbnisarten des afrikanischen Kontinentes. Die
anderen Formen sind in ihrem Wesen nach meist jüngere Formen, können
aber auch, wie zum Beispiel das Baumgrab, Kümmerformen sein, deren Ge
schichte wir noch nicht klar zu erkennen vermögen.
Es würde sich demnach die zeitliche Reihenfolge der Begräbnisse in dieser
Weise ergeben: Erdgrab, Hüttengrab, Aussetzung, Hocker, Steingrab, Kanni
balismus. Wann sich das Nischengrab entwickelt hat, ist schwer zu sagen, doch
läßt das Vorkommen bei den Hottentotten auf eine baldige Entstehung schließen.
Läßt sich psychologisch diese Reihe erklären? An die erste Stelle rückt
das Erdgrab. Von vorneherein können wir sagen, daß das Erdgrab nicht die
erste Stufe darstellt, daß es vor ihr noch eine Art gegeben halfen muß, die
Leiche zu behandeln, weil .wir es nicht mehr mit ^einem Urvolk, sondern mit
einem, wenn auch wenig, entwickelten Stamm zu tun haben. Die ■Prähistorik
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