Beiträge zur Kostümkunde des Kaukasus.
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sie mit einer schmalen Wadenbinde. Bei dem jetzigen breiten Tuch ist dieser
Schnitt durchaus nicht sparsam, denn es fallen dabei vier große unbenutzte
Keile ab. Denkt man sich aber die Hose aus halb so breitem Stoff hergestellt,
so erkennt man sogleich die ganze Zweckdienlichkeit des Schnittes. Wahr
scheinlich schnitt man früher, wie Fig. 55 zeigt, und verlor dabei nicht das
kleinste Zeugstreifchen.
Ehe ich schließe, möchte ich noch auf eine Tatsache hinweisen, die von
mir nur bemerkt, aber aus Mangel an Material und Zeit noch nicht unter
sucht worden ist. Bei den kurdischen Hosen sahen wir riesenhafte Zwickel,
es gibt aber auch winzig kleine, so kleine, daß sie allen Sinn verlieren und
nur als Rudimente anzusehen sind. Unter den oben erwähnten sehr weiten rock
artigen Weiberhosen in Südosttranskaukasien findet man solche, deren riesige
Hosenbeine durch winzige Zwickel verbunden sind, Quadrate von 3X3 und
4X4 cm. Sie nützen der ohnedies sehr bequemen Hose gar nicht, und werden
scheinbar nur aus alter Gewohnheit hinzugefügt. Diese Volksstämme trugen
vermutlich früher engere Hosen mit größerem Zwickel und behielten den
eigentlich überflüssig gewordenen Schnitteil trotz der veränderten Mode bei.
Nun stößt man aber auch unter diesen winzigen Zwickeln auf andere als
quadratische Formen (Fig. 56) und erkennt Zwickelschnitte aus ganz anderen
Gegenden wieder. Wäre es nicht der Mühe wert, dieser sonderbaren Erscheinung
weiter nachzugehen?
Überhaupt wäre es sehr zu wünschen, daß mehr auf die Kostümschnitte
geachtet würde. Möglich wäre es doch, daß man dabei auf interessante ethno
graphische Zusammenhänge stieße. Mir ist es 'Vorgekommen, daß weitgereiste
Leute, denen ich meine Schnitte zeigte, bei dem einen: „China!“, bei dem
anderen: „Sahara!“ riefen. Sie urteilten natürlich nur nach der äußeren Ähn
lichkeit. Solche Ähnlichkeiten auf ihre Tatsächlichkeit hin nachzuprüfen, würde
sich, denke ich, doch lohnen.
Abthropos XVI—XVI[. 1921—1922.
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