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Albert Drexel,
treffen, die alle mehr weniger noch von naturhaften Völkern gesprochen werden.
In der Erkennung dieser Idiome ist man im letzten Halbjahrhundert weit vor
angekommen. Mit ungleich mehr Grund und Kenntnis kann darum heute die
große afrikanische Sprachgliederungsfrage aufgeworfen und aufgegriffen werden.
Die solide Lösung dieser Frage bringt zwei große Gewinne: die wesentlich
bessere Erkennungsmöglichkeit der einzelnen Sprachen und die wesentlich
höhere Beziehungsmöglichkeit der größeren Spracheinheiten im Rahmen der
überkontinentalen, allgemeineren und letzten Zusammenhänge. Jede dieser
beiden Rücksichten ist an sich schon so verwertungsreich, daß auch jede für
sich allein schon unser Thema rechtfertigt und eigentlich verlangt. Daß wir
selber bereits in den beiden Rücksichten uns wieder und wieder versuchen
wollen, darf darum um so verständlicher sein. -
Schließlich vermögen wir unserer ganzen Arbeit kein wertvolleres Emp
fehlungstestat mit auf den Weg zu geben, als die Berufung auf den Mann,
dessen Energie und Weitblick sie ihre Entstehung verdankt, und der in mehr
als einer Wissenschaft epochemachend geworden ist, dem wir dauernd und
innig verbunden sind, auf Wilhelm Schmidt.
F. Hestermann, dessen „Kritische Darstellung der neuesten Ansichten
über Gruppierungen und Bewegungen der Sprachen und Völker in Afrika“
das Beste ist, was an methodisch-kritischer Arbeit in der bisherigen Afrika
nistik geleistet worden ist, dessen gelegentlichen positiv-systematischen Äuße
rungen wir in unseren Endresultaten am relativ nächsten kommen, hatte vor
nicht vielen Jahren die neuere Lage der afrikasprachlichen Forschung ebenso
tief als treffend gekennzeichnet: „Für Afrika darf man mit Gewissensruhe be
haupten, daß hier vor allem .... die Rührigkeit der forschenden Männer selbst
einen so schweren Stein ins Rollen brachte, wie es die Erforschung der ge
samten Völkerschichtung eines Weltteiles, und ganz besonders Afrikas, in der
Tat ist. Ich sage Afrikas ganz besonders. Denn tut man einen Blick in ein
modernes Buch über Ethnologie, etwa Buschan’s Illustrierte Völkerkunde, so
zeigt schon die Zurichtung des Stoffes, wie schwierig hier die Probleme gegen
über anderen Kontinenten liegen. Mehr Fragen als Antworten liest man eigent
lich. Und das gilt in gleicher Weise für die Anthropologie, Ethnographie, wie
für die Linguistik, wenn es auch für letztere in allerjüngster Zeit ganz anders
geworden zu sein scheint. Die Linguistik Afrikas hat uns nämlich in den letzten
Jahren so viel Staunenswertes über innerkontinentale Zusammenhänge vorge
tragen, daß man darüber beinahe sogar die großen Schwierigkeiten auf anthro
pologischem und ethnologischem Gebiete zu vergessen beginnt, was wohl er
klärlich wäre, da man leicht bei unzureichender Führung von seiten anderer
Wissenschaften, sich den mehr selbständig dastehenden Linguisten überläßt.
Diese vertrauensvolle Hingabe ist gerade dann am ersten möglich, wenn die
linguistischen Resultate sich der allgemeinen Beurteilung durch andere Wissen
schaften mehr oder weniger entziehen“ (a. a. 0., An. VII, 722). Diesen
klaren Worten haben wir nichts beizusetzen; wir können darum gleich zu
unseren eigenen Darlegungen über die geschichtliche Lage und die metho
dologischen Notwendigkeiten des Problems der Afrikasprachen und der Afrika
völker übergehen.