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Full Text: Globus, 47.1885

214 
Amazonas und Kordilleren. 
Nach kurzem Aufenthalte wurde die Reise nach der 
Mündung des Morona angetreten und, nachdem deren 
geographische Lage bestimmt war, nach Aripari und San 
Antonio fortgesetzt; darauf fuhr Wiener nach dem Rio 
Pastazza. Auf den amerikanischen Karten wird dieser 
Fluß größer als der Morona dargestellt; ja vor feiner Ab 
reise war dem Reisenden selbst eine englische Karte gezeigt 
worden, auf welcher bemerkt war: schiffbar bis 130 Meilen 
von Quito. Er war daher nicht wenig erstaunt, als er an 
der Mündung des Flusses nur 3 1 / 2 Faden lothete (während 
der Napo 12 Faden Tiefe hat) und man nach einer Stunde 
mitten im Fahrwasser ans eine Bank lies, auf der nicht 
einmal ein Faden Wasser stand und dabei noch an dem 
Zustande der Ufer sehen 
konnte, daß dcr Flnß seinen 
höchsten Stand hatte. 
Durch eine Ausnahme des 
Querprofils wurde eine 
eigenthümliche Erscheinung 
nachgewiesen: der Pastazza 
hat kein eigentliches Fahr 
wasser; auf seinem Grunde 
haben sich Höhlungen ge 
bildet, in denen das Wasser- 
Strudel bildet. Es erklärt 
sich dies aus dem Umstande, 
daß er kein eigentliches 
Bett hat, sondern ohne 
durch scharf gezeichnete Ufer 
zurückgehalten zu werden, 
eine große Fläche über- 
fluthet und eine Unzahl 
Arme bildet; außerdem 
besteht das Bett aus Trieb 
sand, welcher der geringsten 
Bewegung des Wassers 
folgt. 
Es blieb nun noch übrig, 
zwei linksseitige Zuflüsse 
des oberen Marañon, den 
Tigre und den Eh am 
bir a, zu untersuchen. 
Von beiden Flüssen kennt 
man nur die Mündungen; 
alles übrige, was auf den 
Karten verzeichnet ist, mag 
man als Phantasiegemälde 
betrachten. Einige Stun 
den, nachdem man den 
Pastazza verlassen hatte, 
kam man an die Mün 
dung des Huallaga, 
deren geographische Lage bestimmt wurde. Am Nachmittage 
des 10. März erreichte man Parinari, wo Wiener so 
heftig erkrankte, daß er kaum noch in das Hans des Herrn 
Reategui gelangen konnte. Es war ein plötzlicher Anfall 
der tabardillo oder trapiche genannten Krankheit; nervöses 
Erbrechen, furchtbare Kolik und starkes Fieber strecken den 
Patienten, der entsetzliche Schmerzen leidet, in unglaublich 
kurzer Zeit hin; Wiener's Anfall dauerte 14 Stunden, 
während welcher Zeit er nur zweimal bei Bewußtsein war. 
Hierauf ließen die Schmerzen nach, das Fieber bekam die 
Oberhand und er. fiel in Schlaf; nach vier Tagen konnte 
er wieder aufstehen und am nächsten Tage wollte er ab 
reisen; ein Zufall leitete zu einer geographischen Entdeckung 
unter Umständen, die Wiener folgendermaßen beschreibt. 
Inneres einer Jndianerhütte am Samiria. 
(Nach einer Photographie.) 
Man hatte einiges Hol; nöthig, und während Herr 
Reategui so freundlich war Wiener zu begleiten, hatte sein 
Mayordomo, Namens Andrade, die Gelegenheit benutzt, 
mit einigen Arbeitern seines Herrn seinen eigenen Inter 
essen nachzugehen. Als der Eigenthümer bei den india 
nischen Frauen Erkundigungen einzog, hieß es, daß Andrade 
nach der Quebrada Samiria gegangen sei (Quebrada 
in dieser Gegend, 9)cicu weiter im Norden, Jgarapé in 
Brasilien bedeuten dasselbe: ein Bach, ein kleiner Wasser- 
lanf ohne merklichen Strom). Wiewohl Wiener sich in 
Jgnito nach allen zum Marañon gehörigen Wasserläufen 
erkundigt hatte, war ihm der Name des Samiria nicht 
genannt worden. Herr Reategui wollte Leute in einem 
Boote ausschicken, um An 
drade zu suchen, Wiener 
beschloß jedoch, dies selbst 
zu thun, um den Samiria 
kennen zu lernen. Diese 
Fahrt, die nur ganz kurze 
Zeit dauern sollte, dehnte 
sich weit aus und führte, 
wie schon erwähnt, zu 
einer unerwarteten Ent 
deckung. Die Mündung 
des von Süden kommenden 
Samiria liegt etwa eine 
Stunde stromab von Pa 
rinari; nran befand sich 
dort am 5. März Nach 
mittags. Der Samiria, 
schwarz wie Tinte, mündet 
von Süden herein. Man 
lothete und fand acht Faden 
Tiefe; als man dies für 
einen Irrthum hielt und 
eine zweite Lothung vor 
nahm, fand man neun 
Faden und eine Stunde 
daraus mit elf Faden Leine 
keinen Grund. Während 
der Nacht wurde geankert, 
am Morgen aber die Reise 
fortgesetzt; gegen 5 Uhr- 
Abends fand man Andrade 
mit seinen Indianern und 
den gefangenen Fischen; 
nach und nach bei weiterem 
Vordringen lothete man 
sechs, dann fünf Faden. 
Am nächsten Morgen 
kam man an ein Wäldchen 
von Kantschukbäumen, un 
ter denen zwei Jndianerhütten standen; in der inter 
essanten Umgebung boten die beiden von sehr gut 
müthigen Eingeborenen bewohnten Hütten durch ihr ein 
faches und malerisches Innere einen Anblick, der durch 
aus nicht an die Wildniß erinnerte. Diesen ganzen Tag 
und auch am folgenden Morgen hatte man etwa 4, am 
Nachmittage 3^ und 3 Faden Tiefe; die Breite des Fahr 
wassers betrug 7 Faden; noch nie hatte ein Weißer oder 
ein Indianer dieses Wäldchen von Kautschukbäumen, von 
den Eocamaß Ungurahni genannt, überschritten, Natür- 
lich belebte die Freude, sich ans noch unbetretenem Pfade zu 
befinden, den Muth Wiener's, dessen Gesundheit übrigens 
viel zu wünschen übrig ließ. Am 11. März kam er zu 
der Ueberzeugung, daß der sonderbare Fluß, auf dem man
	        
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