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Amazonas und Kordilleren.
Nach kurzem Aufenthalte wurde die Reise nach der
Mündung des Morona angetreten und, nachdem deren
geographische Lage bestimmt war, nach Aripari und San
Antonio fortgesetzt; darauf fuhr Wiener nach dem Rio
Pastazza. Auf den amerikanischen Karten wird dieser
Fluß größer als der Morona dargestellt; ja vor feiner Ab
reise war dem Reisenden selbst eine englische Karte gezeigt
worden, auf welcher bemerkt war: schiffbar bis 130 Meilen
von Quito. Er war daher nicht wenig erstaunt, als er an
der Mündung des Flusses nur 3 1 / 2 Faden lothete (während
der Napo 12 Faden Tiefe hat) und man nach einer Stunde
mitten im Fahrwasser ans eine Bank lies, auf der nicht
einmal ein Faden Wasser stand und dabei noch an dem
Zustande der Ufer sehen
konnte, daß dcr Flnß seinen
höchsten Stand hatte.
Durch eine Ausnahme des
Querprofils wurde eine
eigenthümliche Erscheinung
nachgewiesen: der Pastazza
hat kein eigentliches Fahr
wasser; auf seinem Grunde
haben sich Höhlungen ge
bildet, in denen das Wasser-
Strudel bildet. Es erklärt
sich dies aus dem Umstande,
daß er kein eigentliches
Bett hat, sondern ohne
durch scharf gezeichnete Ufer
zurückgehalten zu werden,
eine große Fläche über-
fluthet und eine Unzahl
Arme bildet; außerdem
besteht das Bett aus Trieb
sand, welcher der geringsten
Bewegung des Wassers
folgt.
Es blieb nun noch übrig,
zwei linksseitige Zuflüsse
des oberen Marañon, den
Tigre und den Eh am
bir a, zu untersuchen.
Von beiden Flüssen kennt
man nur die Mündungen;
alles übrige, was auf den
Karten verzeichnet ist, mag
man als Phantasiegemälde
betrachten. Einige Stun
den, nachdem man den
Pastazza verlassen hatte,
kam man an die Mün
dung des Huallaga,
deren geographische Lage bestimmt wurde. Am Nachmittage
des 10. März erreichte man Parinari, wo Wiener so
heftig erkrankte, daß er kaum noch in das Hans des Herrn
Reategui gelangen konnte. Es war ein plötzlicher Anfall
der tabardillo oder trapiche genannten Krankheit; nervöses
Erbrechen, furchtbare Kolik und starkes Fieber strecken den
Patienten, der entsetzliche Schmerzen leidet, in unglaublich
kurzer Zeit hin; Wiener's Anfall dauerte 14 Stunden,
während welcher Zeit er nur zweimal bei Bewußtsein war.
Hierauf ließen die Schmerzen nach, das Fieber bekam die
Oberhand und er. fiel in Schlaf; nach vier Tagen konnte
er wieder aufstehen und am nächsten Tage wollte er ab
reisen; ein Zufall leitete zu einer geographischen Entdeckung
unter Umständen, die Wiener folgendermaßen beschreibt.
Inneres einer Jndianerhütte am Samiria.
(Nach einer Photographie.)
Man hatte einiges Hol; nöthig, und während Herr
Reategui so freundlich war Wiener zu begleiten, hatte sein
Mayordomo, Namens Andrade, die Gelegenheit benutzt,
mit einigen Arbeitern seines Herrn seinen eigenen Inter
essen nachzugehen. Als der Eigenthümer bei den india
nischen Frauen Erkundigungen einzog, hieß es, daß Andrade
nach der Quebrada Samiria gegangen sei (Quebrada
in dieser Gegend, 9)cicu weiter im Norden, Jgarapé in
Brasilien bedeuten dasselbe: ein Bach, ein kleiner Wasser-
lanf ohne merklichen Strom). Wiewohl Wiener sich in
Jgnito nach allen zum Marañon gehörigen Wasserläufen
erkundigt hatte, war ihm der Name des Samiria nicht
genannt worden. Herr Reategui wollte Leute in einem
Boote ausschicken, um An
drade zu suchen, Wiener
beschloß jedoch, dies selbst
zu thun, um den Samiria
kennen zu lernen. Diese
Fahrt, die nur ganz kurze
Zeit dauern sollte, dehnte
sich weit aus und führte,
wie schon erwähnt, zu
einer unerwarteten Ent
deckung. Die Mündung
des von Süden kommenden
Samiria liegt etwa eine
Stunde stromab von Pa
rinari; nran befand sich
dort am 5. März Nach
mittags. Der Samiria,
schwarz wie Tinte, mündet
von Süden herein. Man
lothete und fand acht Faden
Tiefe; als man dies für
einen Irrthum hielt und
eine zweite Lothung vor
nahm, fand man neun
Faden und eine Stunde
daraus mit elf Faden Leine
keinen Grund. Während
der Nacht wurde geankert,
am Morgen aber die Reise
fortgesetzt; gegen 5 Uhr-
Abends fand man Andrade
mit seinen Indianern und
den gefangenen Fischen;
nach und nach bei weiterem
Vordringen lothete man
sechs, dann fünf Faden.
Am nächsten Morgen
kam man an ein Wäldchen
von Kantschukbäumen, un
ter denen zwei Jndianerhütten standen; in der inter
essanten Umgebung boten die beiden von sehr gut
müthigen Eingeborenen bewohnten Hütten durch ihr ein
faches und malerisches Innere einen Anblick, der durch
aus nicht an die Wildniß erinnerte. Diesen ganzen Tag
und auch am folgenden Morgen hatte man etwa 4, am
Nachmittage 3^ und 3 Faden Tiefe; die Breite des Fahr
wassers betrug 7 Faden; noch nie hatte ein Weißer oder
ein Indianer dieses Wäldchen von Kautschukbäumen, von
den Eocamaß Ungurahni genannt, überschritten, Natür-
lich belebte die Freude, sich ans noch unbetretenem Pfade zu
befinden, den Muth Wiener's, dessen Gesundheit übrigens
viel zu wünschen übrig ließ. Am 11. März kam er zu
der Ueberzeugung, daß der sonderbare Fluß, auf dem man