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Full Text: Globus, 47.1885

E. Metzger: Haiti. 
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das Gefühl, welches sich unserer nach Beendigung des Buches 
bemächtigt hatte, beizufügen. Es lag ans uns wie ein 
schwerer Traum; immer und immer wieder riefen wir uns 
alles zurück, was im Stande war, die (übrigens nie ange 
fochtene) Glaubwürdigkeit des Verfassers zu verbürgen; 
wir sagten uns, daß ein noch im Dienst stehender Staats 
mann nicht so furchtbare Anklagen gegen ein Land ans 
sprechen würde, in dem er lange in amtlicher Stellung 
gelebt, wenn dieselben nicht wahr waren, nicht jeden Augen 
blick bewiesen werden könnten. Die „Schwarze Republik" 
lautet der zweite Titel des Buches, Passender hatte der Ver 
fasser es die „Kannibalenrepnblik" nennen können, denn 
der brutalste, roheste Kannibalismus spielt unter den Be 
wohnern Haitis eine blutige Rolle. Gegenüber dieser 
Beschuldigung, welche, wie wir sehen werden, nur zn gut 
bewiesen ist, tritt alles andere, was der Verfasser anführt, 
um die herrschende Anarchie zu brandmarken, um das Nach 
äffen europäischer Zustünde dem Fluche der Lächerlichkeit zn 
übergeben, in den Hintergrund; man vergißt die Revolu 
tionen im Stil Robespierre's und die monarchischen Inter 
mezzos ä la Großhcrzogin von Gerolstein, mit ihren Grafen 
und Marquis, wenn auch manchmal ein Herzog Schnaps 
verkaufte und eine hochadclige Dame an der Waschbütte 
stand; man vergißt, daß der Militarismus in der lächer 
lichsten Gestalt sich breit macht und ähnlich wie in Vene 
zuela die eine Halste der Armee ans Generalen besteht, 
welche an Revuetagen in ihren strahlenden Uniformen mit 
glänzenden Epauletten ans bunt aufgeputzten Pferden para- 
dircn, während die Röcke ihrer Mannschaften kaum hin 
reichen, ihre Blöße zu bedecken, und die Beinkleider sich in 
einem Zustande befinden, der hier zu Lande zu einer gericht 
lichen Verfolgung der Träger führen würde. Alles dies 
aber, und noch viel mehr, muß vor dem entsetzlichen Bilde 
zurücktreten, welches der Verfasser uns von dem auf Haiti 
herrschenden Kannibalismus entwirft. Wir wollen hier 
vorläufig nur die schauerliche Thatsache anführen, daß noch 
1878 zwei Frauen auf frischer That ertappt wurden, welche 
im Begriff waren, die blutlose Leiche eines Kindes roh zn 
verzehren, nachdem sic vorher aus dem noch zuckenden 
Körper das warme Blut ausgesangt hatten, und daneben 
die zweite, daß eine Mutter, die ihre eigenen Kinder ver 
zehrt hatte, dies ruhig eingestand und hinzufügte: „Wer 
hätte denn mehr Recht gehabt, dies zu thun, als ich? Habe 
ich sie doch geboren." — Das Buch Spenser St. Johns 
bildet ein furchtbares Dokument gegen die Ncgerrasse im 
allgemeinen, aber unserer Ansicht nach auch einen wichtigen 
Beweis gegen diejenigen, welche die Gleichheit aller Menschen 
rassen verkündigen. Dasselbe berührt düstere Seiten der 
menschlichen Natur, doch wie schauerlich Manches, was in 
demselben vorkommt, auch sein möge, für den Philosophen 
wie für den Anthropologen findet sich, um mit A. H. Keane I 
zu sprechen, auch in den Schattenseiten der menschlichen 
Natur so viel Wichtiges und Belehrendes, daß wir nicht 
zögern, im Folgenden den Versuch zu machen, demselben 
eine möglichst vollständige Charakteristik der Leute aus Haiti 
und der dort herrschenden Zustände zu entnehmen. 
II. Die Bevölkerung. (Erste Hälfte.) 
Die Bevölkerung von Haiti wird in dem Gothaer 
Almanach aus 550 000 Seelen angegeben, wesentlich 
höher schätzt sie Spenser St. John. Er begründet 
seine Ansicht etwa folgendermaßen: Am Ende des vorigen 
Jahrhunderts bestand die Bevölkerung ans 46 000 Weißen, 
etwa 57 000 freien Farbigen und Schwarzen und gegen 
510 000 Sklaven von beiden Farben. Madion, dem 
diese Angaben entnommen sind, erwähnt ausdrücklich, daß 
es eine Gewohnheit der Pflanzer sei, alle Kinder und alle 
über fünfundvierzig Jahre alten Sklaven nicht in ihre 
Listen aufzunehmen, um sich der Bezahlung des für Sklaven 
festgestellten Kopfgeldes zn entziehen; demnach würde nach 
Abzug der Weißen die Zahl der Bevölkerung damals auf 
circa 750 000 Seelen angenommen werden müssen. Der 
selbe Autor ist der Ansicht, daß bis 1847 die Bevölke- 
rungszisfer keine nennenswerthe Veränderung erlitten habe. 
1863 schätzte der damalige Präsident General Gesfrard 
die schwarze Bevölkerung nach den besten Quellen ans 
900 000 Seelen; Spenser St. John meint, daß dieselbe 
seit 1825 sich verdoppelt habe. Selbst wenn man diese 
Angabe annehmen will, wäre die Bevölkerung schwach zu 
nennen (Oberfläche beinahe 24 000 qkm); jedenfalls ist 
sie viel schwächer, als sie sein könnte, denn mit Rücksicht 
auf die Fruchtbarkeit der Negerinnen darf man wohl an 
nehmen, daß selbst die inneren Streitigkeiten der Zunahme 
nur geringen Abbruch gethan haben. Wenn man einen 
Haitier nach der Ursache fragt, meint er, daß die Nege 
rinnen schlechte Mütter seien. Ob der Kannibalismus 
Einfluß hierauf hat, dürste wohl kaum nachzuweisen sein; 
dagegen scheint eine andere Erscheinung (die große Ucber- 
zahl der Frauen) anzudeuten, daß die Sterblichkeit bei dem 
männlichen Geschlecht abnorm hoch ist. Wenn es nämlich 
nach dem eben Erwähnten auch nicht gerade leicht sein dürfte, 
die Gesammtzahl der Bewohner mit einiger Sicherheit anzu 
geben, so stinnncn doch alle Quellen darin überein, daß die 
Zahl der Frauen viel größer als die der Männer ist; 
manche behaupten, daß letztere nur den vierten Theil der 
Bevölkerung ausmachen, andere schätzen ihre Zahl auf ein 
Drittel derselben. Allerdings ist auch eine ähnliche Er 
scheinung aus der Guineaküste beobachtet worden. Doch 
sind die Vorbedingungen nicht gleich. Während nämlich 
ans der Küste eine starke Auswanderung, zum großen Theil 
von Männern, stattgefunden hat, muß man für Haiti eine 
Einwanderung aus der Union und ein Einströmen von 
freigelassenen Sklaven berücksichtigen, was hauptsächlich der 
männlichen Bevölkerung zn Gute kam, so daß man eher 
denken sollte, daß das männliche Geschlecht hier in der 
Mehrzahl sein müsse. Ob wir zur Erklärung an die 
inneren Kämpfe allein zn denken haben, oder aber an 
nehmen müssen, daß eine erhöhte Sterblichkeit der Männer — 
zu erklären durch die Excesse, denen sich dieselben in höhe 
rem Maße hingeben — stattfindet, ist eine offene Frage; 
von europäischem Standpunkte aus möchte man sie vielleicht, 
wie wir sehen werden, in letztgenanntem Sinne zn beant 
worten geneigt sein. 
Daß etwa der zehnte Theil der Bevölkerung aus Far 
bigen besteht, ist oben schon erwähnt worden; dieselben 
nähern sich mehr und mehr dem Negertypus, wie dies aus 
der großen Uebcrzahl der Vollblutneger leicht erklärlich ist; 
dieser Theil der Bewohner lebt meistens in Städten und 
Dörfern. 
Mackenzie hat von einer Art Bnschncger gesprochen, die 
im östlichen Theile des Landes sich aufhalten und sehr ver 
schlagen sein sollen. Man hat dabei aller Wahrscheinlich 
keit nach an die Nachkommen geflüchteter Sklaven zu denken; 
unser Autor hat sie nicht aus eigener Anschauung kennen 
gelernt, sondern von ihnen nur bei einem gelegentlichen 
Besuch, den er den Bergen abstattete, unter dem Namen 
Vien-vienncnt sprechen hören; doch schien ihre Existenz 
mehr traditionell als durch Thatsachen erwiesen zu sein. 
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i) „Nature" vom 4. Dec. 1884. 
Globus XI.VII. Nr. 14.
	        
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