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Das Feuerland und seine Bewohner.
Seehunde, Ottern, Meerschweine, Walfische, Eier und eine
große Zahl verschiedener Baumschwämme und Beeren,
sowie einige Wurzeln und Löwenzahn (taraxacum) be
reichert.
In diesem Centraldistrikt — er schließt beide Ufer des
Beaglekanals, von der Moatbai bis zur Boundarybai, ein,
ferner beide Ufer des Ponsonbysunds, dann die Packseadle-
insel, die ganze Navarininsel und die A§ollastoneinsel —
herrscht während vier Monaten ein scharfer Frost. Die
niedrigste Temperatur, die beobachtet wurde, ist —12° d.
Der Regenfall ist reichlich, aber nicht übermäßig; große
Flüchen Landes sind mit ausgezeichnetem Grase bedeckt.
Ileberall sind die Anhöhen mit Wald bewachsen, der ans
zwei Arten der das Laub erneuernden Buche und der selte
ner auftretenden immergrünen Buche besteht, welch letztere
indessen vollständig auswächst und in großen Exemplaren
angetroffen wird.
Der dritte Distrikt ist unstreitig patagonisch, in Klima,
Pflanzenwuchs und thierischem Leben. Die Eingeborenen
sind auch wirkliche Patagonier, wie es ihre Sprache un
zweifelhaft beweist. Dieser Stamm wird Wua genannt
und nach ihm nennen die Nahgans den Beaglekanal „Wu'-
ashaga", d. h. den Wuakanal; die Hauptinsel wird „Wn'-
isin" genannt, d. h. Wualand, und die Küste vom Kap
Good Succeß bis zur Brecknockhalbinsel nennen sie ,Wu'-
iyoosha", d. h. Wuaküste.
Die Zahl der Wuas mag vielleicht 800 Seelen betra
gen; sie sind eine feine athletische Rasse. Ihre Waffen
sind Pfeil und Bogen, auch Schleuder und Speere. Sie
ernähren sich reichlich mit Guanacos, Ctenomys, Ratten,
Füchsen, Seehunden, Ottern und Fischen. Ihr Land ist
so gut, als das der besten Theile Patagoniens. Das Klima
ist verhältnißmäßig trocken und die Gegend meistens un
bewaldet; in einigen Theilen findet sich nicht einmal ein
Gebüsch vor, so daß das einzige Brennmaterial Guanaco-
mist und trockenes Gras ist. Von den Wuas wissen wir
wenig, aber wir sind sicher, daß man sich von dieser Nation
etwas versprechen darf.
Die östlichen Nahgans haben von den Wuas einige
Worte entlehnt, die westlichen Nahgans noch mehr von den
Alacnloof. Aus den Namen der Plätze erhellt vollkommen,
wo die verschiedenen Stämme sich abgrenzen, und es kann
ferner aus den geographischen Benennungen der sichere
Schluß gezogen werden, daß die gegenwärtigen Bewohner
die einzigen Besitznehmer des Landes gewesen sind, da keine
Spur von einer anderen Sprache in den Benennungen der
verschiedenen Plätze oder Punkte wahrzunehmen ist. Auf
der anderen Seite weisen die mächtigen Haufen von Küchen
abfall ans den langen Aufenthalt einer zahlreichen Bevöl
kerung hin. Es ist eine sichere Thatsache, daß die Ein-
geborncn gegen früher bedeutend abgenommen haben; in
den letzten dreißig Jahren ohne den mindesten Zweifel um
zwei Drittel! Eine im Juni 1884 vorgenommene Zäh
lung der Nahgans ergicbt 273 Männer, 314 Weiber und
358 Erwachsene (d. h. Jünglinge und Jungfrauen). Neh
men wir 55, namentlich Kinder, als bei der Zählung über
sehen an, so irren wir nicht, wenn wir sagen, daß der
Nahganstamm 1000 Seelen stark ist. Die Nahgans essen
kein rohes Fleisch, weder Geflügel noch Fische, sondern
kochen all ihr Fleisch auf dein Feuer. Den Kannibalis
mus verabscheuen sie und haben ihn immer verabscheut;
ebenso die Blutschande, die gar nicht vorkonimt, ungeachtet
der Herrschaft jeder anderen Sittenlosigkeit. Die Bigamie
war des damit verbundenen großen Vortheils wegen sehr
im Schwünge. Die Heirath war ebenso gut als alle an
deren Verwandtschaftsgrade anerkannt, für welch alle sie
ihre bestimmten Ausdrücke haben. Gewöhnlich beerdigten
sie ihre Todten, aber häufig verbrannten sie dieselben. Die
Trauer wurde streng beobachtet; ihre äußeren Zeichen waren
ein knapp abgestutzter Pfahl und das mit Kohle geschwärzte
Gesicht. Weiß war die in Flecken und Streifen ansgetra
gene Farbe der Rache für Mord und Roth war das Em
blem der Freundschaft und Freude. Die Pflichten der
Rache wurden streng durchgeführt. Die Theilung der
Arbeit war billig und vernünftig, und die Weiber wurden
in keiner Weise unterdrückt, sondern führten ein behaglicheres
und glücklicheres Leben als die Männer, und erreichten wie
überall ein größeres Alter. Alte und hoffnungslos kranke
Personen wurden selten vor ihrem wirklichen natürlichen
Ende beseitigt; wenn alles Gefühl von Sprache, Gesicht
und Bewegung verloren war, dann, wenn der Fall ein lang
dauernder war, wurde die sterbende Person erdrosselt und
so ihr Ende für sic und ihre Angehörigen ans barmherzige
Weise beschleunigt. Was die Religion anbelangt, so können
wir sagen, daß sie keine hatten. Sie hatten keine Vorstel
lung von einer zukünftigen guten oder schlechten Existenz,
noch von dem Vorhandensein eines Geistes im Menschen,
der den Körper überlebt; durch keine gottesdienstliche Hand
lung gaben sie zu erkennen, daß der Begriff von einem
höheren Wesen, sei es gut oder böse, in ihnen aufgestiegen
war. Sie hatten keine Kenntniß von der Vergangenheit,
da sie keine Hoffnung auf die Zukunft hatten. Ihr kleines
Land war ihnen die Welt, deren Rest eine völlige Oede
war. In ihrer eigenen Schätzung waren sie stärker und
weiser als die Bleichgesichter. Die Bezeichnung, die sie
für Fremde gebrauchen, ist „Patalsala", was die „Ge
schickten" oder das „unverständliche Volk" besagen will, ein
Ausdruck, der sich auf die Geheimnisse unserer mechanischen
Arbeiten jeder Art bezieht.
Obwohl die Nahgans keine Religion hatten, so hatten
sie doch manchen Aberglauben. Sie glaubten an Geister,
welche die Form von Menschen, aber nicht deren Wesen
hatten. Diese lebten, wie sie sich einbildeten, in Höhlen
in den Wäldern und haßten und tödteten ihrer Meinung
nach jeden, der ihnen zu nahe kam. Sie nannten dieselben
„Cashpick", ein Name, den sie auch Leuten gaben, die
lächerlich waren oder einen schlimmen Charakter hatten,
und war dies eine große Schmähung. Sie glaubten ferner
an das Vorhandensein von Wahnsinnigen in den Wäldern,
welchen sie überirdische Kräfte und die größte Feindschaft
gegen das menschliche Geschlecht zuschrieben. Vor diesen
hegten sie eine sehr große Furcht und nie wagten sie sich
allein auf große Entfernungen in die Wälder. Sie stellten
auch halb dramatische, halb religiöse Verkörperungen ver
schiedener schlimmer Mächte dar; diese Aufführungen aber,
die für sie eine Quelle von Aufregung und Vergnügen
waren, fanden nur statt, wenn eine große Zahl von ihnen
versammelt war. Die Verkleidung der Vorsteller ging in
besonderen Baulichkeiten vor sich, welchen sich die Weiber
und Kinder nicht nähern dursten, und rúan erwartete von
ihnen, daß sie eine große Furcht vor jenen Dingen an den
Tag legen würden, welche der Dämon vor ihnen aufführte,
indem er sie mit allen möglichen Arten von Gewaltthätig
keiten bedrohte. Beinahe jeder ältere Mann war ein Zau
berer, und diese machten sich den Kopf jeden Morgen mit
Kreide weiß und stimmten viele und lange Zaubcrgesänge
an, wenn sinnloses itnb einförmiges Geräusch und andauern
des Hin- und Herwiegen des Körpers so genannt werden
kann. Die Zauberer besaßen, wie man glaubte, eine un
beschränkte Zauberkraft, waren deshalb sehr gefürchtet und
übten über andere Gewalt aus, was allen Menschen so
begehrlich erscheint. — Die Weiber wurden zur Heirath