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Full Text: Globus, 47.1885

Dr. Wilhelm Breitenbach: Italienische Kolonisation in Rio Grande do Sul. 
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Im Jahre 1883 wurde geerntet: Roggen 1 444 800 kg, 
Hafer 1 384 000 kg, Bohnen 1 736 400 kg, Mais 
3 011 000 kg, Reis 44 000 kg, Wein 4 986 000 1. 
Unter den Bewohnern der Kolonie sind zwei Franzosen, 
aber kein Deutscher. 
Die Kolonie Silveira Martins zählt 991 Kolonieplätze, 
welche sämmtlich besetzt sind. Auf der Kolonie giebt es 
750 Wohnungen. Der Viehbestand ist folgender: Maul 
esel 500, Pferde 1500, Kühe 1000, Schweine 10 000. 
Die Ernte belief sich im Jahre 1883 auf: Roggen 
1 200 000 kg, Hafer 600 000 kg, Bohnen 1600 000 kg, 
Mais 3 200 000 kg, Reis 200 000 kg, Wein 2 900 0001. 
Unter der Bevölkerung befinden sich keine Deutsche, 
dagegen 56 Russen. 
Für dieses Jahr werden etwa 12 000 weitere Italiener 
in Rio Grande do Sul erwartet, so daß nach kaum zehn 
Jahren ungefähr 50 000 Italiener eingewandert sind. Die 
deutsche Kolonisation in Rio Grande do Snl besteht seit 
60 Jahren, und nach Karl von Koseritz sind in diesem 
ganzen Zeitraume nur etwa 25 000 (vielleicht auch etwas 
mehr) aus Deutschland eingewandert. Diese Zahlen be 
weisen wohl deutlich genug, wie energisch und schnell die 
Italiener vorgehen, um sich in Rio Grande do Sul festzu 
setzen. Die Italiener und ihre Regierung haben eingesehen, 
daß eine ausgedehnte Kolonisation in Süd-Brasilien ihnen 
wirthschaftlich nur von Nutzen sein kann. Bis jetzt ist der 
Handel Rio Grande do Suls zum größten Theile in deut 
schen Händen, Dank dem Umstande, daß das kaufkräftige 
Hinterland von deutschen Kolonisten besetzt ist. Wie aber 
wird das werden, wenn (was wir nicht hoffen wollen) 
dereinst die Italiener die Deutschen überflügelt haben? Es 
ist das leicht möglich; denn wenn die italienische Ein 
wanderung in dem jetzigen Maße weitergeht und wenn die 
deutsche, die sich jährlich nur auf wenige hundert Köpfe 
beläuft, nicht stärker wird, so müssen die Italiener in vcr- 
hältnißmäßig kurzer Zeit die Deutschen an Zahl übertreffen. 
Und wenn das der Fall ist, so wird auch der jetzt vor 
wiegend in deutschen Händen liegende Großhandel nach und 
nach an die Italiener übergehen, und an Stelle der deutschen 
Waaren treten vielfach italienische, oder der Deutsche be 
kommt doch seine Waaren erst durch die Vermittelung des 
italienischen Kaufmannes. 
Angesichts der starken italienischen Einwanderung in 
Rio Grande do Sul sollte man doch endlich auch in deut 
schen Regierungskreisen zu der Einsicht kommen, daß es für 
das Fortbestehen und die Weiterentwickelnng der deutschen 
Niederlassungen daselbst unumgänglich nothwendig ist, die 
Schwierigkeiten, welche der Auswanderung nach Brasilien 
im Wege stehen, baldigst zu beseitigen. Denn wenn die 
deutschen Kolonien nicht größeren Zuschuß ans dem Stamm 
lande erhalten, so ist es unausbleiblich, daß ihnen die rüh 
rigen und fleißigen Italiener den Rang ablausen, und damit 
wird dann schließlich die ganze schöne Schöpfung der deut 
schen Kolonien in Frage gestellt. Es wäre doch traurig, 
wenn wir auch dieses herrliche Kolonisationsgebiet, ans dein 
ein so hoffnungsvoller und vielversprechender Anfang gemacht 
ist, schließlich wieder verlieren sollten. Ich möchte daher 
die allgemeine Aufmerksamkeit auf die italienische Koloni 
sation in Rio Grande do Sul lenken; es erwächst uns da 
eine nicht ungefährliche Konkurrenz, der wir aufs Ent 
schiedenste begegnen müssen. 
Die italienischen Kolonien haben sich auffallend schnell 
entwickelt und sind schon jetzt fast durchgängig in recht 
blühendem Zustande. Die Bewohner, Norditaliener und 
Welschtyroler, sind sehr fleißige, strebsame, dabei äußerst 
solide und genügsame Leute, die sich wohl alle in verhältniß- 
mäßig kurzer Zeit ein sorgenfreies Dasein verschaffen werden. 
Industrielle Etablissements aller Art, Mühlen, Brauereien, 
Holzschneidereien rc. sind bereits in stattlicher Zahl ent 
standen. Während auf den deutschen Kolonien zum Theil 
noch importirtes Mehl verbacken wird, bauen sich die Ita 
liener ihren Roggen und Weizen selbst, und sie würden 
ohne Zweifel den Import von amerikanischem oder Triester 
Weizenmehl schon vernichtet haben, wenn die Abfuhrwege 
von den Kolonien nach Porto Alegre nicht so unbequem 
nnd schlecht wären. Die Weinproduktion ist, wie aus den 
oben mitgetheilten Zahlen hervorgeht, schon eine sehr be 
trächtliche, und sicher hat in den geübten Händen der Ita 
liener der Weinbau in Süd-Brasilien noch eine große Zu 
kunft. Auch Seidenzucht wird aus den italienischen Kolonien 
schon vielfach mit recht gutem Erfolge getrieben. Tabak 
und viele andere Nutzpflanzen werden ebenfalls gebaut, kurz, 
die Italiener erweisen sich als äußerst rührige Leute, die 
viel zum Fortschritt und zur Knltivirnng des Landes bei 
tragen werden. 
Viele Italiener haben sich schon natnralisiren lassen und 
cs wird wohl nicht mehr lange dauern, dann senden sie 
auch ihren eigenen Vertreter in den Provinzial-Landtag 
nnd emancipiren sich dadurch von den deutschen Dcputirten 
des Kolonie-Distriktes, der bis jetzt ihre Interessen, die ja 
denen der deutschen Kolonisten völlig gleich sind, vertreten 
hat. Seit einiger Zeit erscheint auch in Porto Alegre eine 
italienische Zeitung, die sich die Vertretung der italienischen 
Interessen zur Aufgabe gemacht hat. Zu dieser eigenen 
Rührigkeit der italienischen Bevölkerung kommt dann noch 
das rege Interesse, welches die italienische Regierung an 
den Kolonien nimmt, wie besonders die Entsendung des 
Dr. Corte als Konsul nach Rio Grande do Sul und dessen 
neuestes Buch über die Kolonien beweist. Eine so ein 
gehende, officielle Arbeit wie die Dr. Corte's über die 
italienischen Kolonien besitzen wir über die deutschen Kolo 
nien nicht. Leider hat sich ja die deutsche Reichsregicrung 
den deutschen Niederlassungen in Süd-Brasilien gegenüber 
bisher völlig passiv verhalten — ganz unerklärlicher Weise, 
seitdem von allen Reisenden und Kennern des Landes ein 
stimmig Süd-Brasilien als ein äußerst geeignetes Feld für 
deutsche Ackerbau-Kolonien bezeichnet worden ist. Es sollte 
meiner Meinung nach eine der vornehmsten Ausgaben 
unserer Kolonial-Vereine sein, sich eingehend mit der 
Frage der deutschen Kolonisation in Süd-Brasilien zu 
befassen, damit endlich dem viel verleumdeten Lande Ge 
rechtigkeit widerführe und der deutschen Auswanderung 
ein Land erschlossen würde, wie es ihr nicht wieder geboten 
wird.
	        
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