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Dssirs Charnay's jüngste Expedition nach Jucatan.
in Gestalt einer Grotte, liefern den Bewohnern Wasser in
reichlicher FUlle.
Früher, ehe noch der Anbau des Henequen seine große
Verbreitung gewann, baute diese Hacienda, wie viele andere,
nur Mais für die Indianer und züchtete Vieh; daher
stammen ihre geräumigen oorrales, ummauerte und mit
Bäumen bepflanzte Höfe, in denen lange Tröge aufgestellt
sind, die durch Norias stets mit Wasser gefüllt erhalten
werden und durstigen Thieren zu jeder Zeit einen
frischen Trunk bieten. Unser zweites, nach einer Augenblicks
photographie gefertigtes Bild giebt eine gute Vorstellung
von solchem Corral mit seinen friedlich wiederkäuenden
Rindern, den schattenspendendcn Bäumen und den um
gebenden Jndianerhütten. Schlimmer ist es mit dem
Futter bestellt; da das Land keine Weiden besitzt, müssen
Maulthiere, Pferde und Rinder sich selbst dasselbe im
Walde suchen, und der Ueberfluß, welcher in der Regen
zeit herrscht, verwandelt sich in der Trockenzeit und nament
lich, wenn, wie in den letzten Jahren, die Heuschrecken
erscheinen, oft in Mangel, so daß zahlreiche Thiere zu
Grunde gehen. Die Beaufsichtigung der Rinder ist leicht;
ein Manu genügt, um etwa neugeborene Kälber im Walde
aufzusuchen oder die jungen Thiere gegen die Nachstellungen
des Jaguars zu schützen. Die ausgewachsenen kehren stets
von selbst wieder zu ihrer Hacienda zurück, mögen sie sich
auch noch so weit von derselben entfernt haben. Früher
hielt man in den Wasserbehältern Ochsenfrösche, weil man
glaubte, daß deren weithin hörbares Geschrei verirrte Rin
der zurückriefe, während dieselben doch nur ihrem Durste
folgten. Diese Sitte ist jetzt abgekommen; denn auch
Aucatan schreitet vorwärts: an Stelle der brüllenden
Ochsenfrösche hört man schon das Pfeifen der Lokomotive,
in das träge Dahinleben der Indianer hat die Henequen-
Fabrik Rührigkeit gebracht, und statt der langsamen Ochsen-
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Die Hacienda Mucuiche.
karren, welche die Pflanzen von den Feldern hereinführten,
verwendet man jetzt leichte, von Maulthieren gezogene
Wagen, die auf Schienen rasch dahinrollen.
Der nächste Tag brachte den Reisenden nach Tic ul,
wo er seine alten Freunde Fajardo und Dr. Palma wieder
begrüßte; letzterer hatte für ihn einige kostbare Vasen ge
sammelt, darunter eine sehr seltene, welche mit Reliefs und
Inschriften bedeckt war, und jener schenkte ihm die Bild
säule eines unbekannten Gottes, die aus den Ruinen von
Nohpat stammte. Es ist ein scheußliches und dabei
wunderliches Idol, wie alle amerikanischen Götzenbilder,
hat aber den Vorzug, daß es ganz erhalten und mit einem
Zapfen versehen ist, woraus man die Art und Weise ersieht,
wie die indianischen Baumeister die Fahnden ihrer Gebäude
mit Figuren bedeckten. Es erinnert übrigens etwas an
den Gott Besä der alten Aegypter, der gleichfalls in zwerg-
hafter, verkrüppelter und grotesker Gestalt abgebildet wurde.
Außerdem fand Charnay bei einem Liebhaber eine prächtige
Sammlung yncatekischer Steinbeile, die zum größten Theile
von der Insel Co zumel (östlich von der Halbinsel
Nucatan) stammten. Es waren im Ganzen 80 Stück, für
welche der Besitzer einen hohen Preis forderte, den Charnay
in Anbetracht sowohl des archäologischen als auch des
mineralogischen Werthes der Beile zu zahlen keinen An
stand nahm. Die Insel Cozumel war zur Zeit der
Conquista sehr bewohnt, sehr civilisirt und mit Denkmälern
bedeckt; denn sie war einer der berühmtesten Wallfahrtsorte,
und die Leute kamen von weit her, um in den dortigen
Heiligthümern Geschenke und Opfer darzubringen. Ob die
Beile Weihgeschenke der gläubigen Pilger sind, wofür die
Verschiedenheit ihrer Formen und des verwendeten Materials
spräche, oder ob sie den Bewohnern der Insel als Werk
zeuge und Waffen gedient haben, ist schwer zu entscheiden.
Jedenfalls aber kamen sie von weit her, da die ganz aus
reinem Kalkstein bestehende Insel ihren Bewohnern kein zu
Werkzeugen passendes Gestein geliefert haben kann; sie