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Dr. Emil Deckert: Die nordamerikanischen Höhlen.
bemerken wir indessen, daß die Höhe und Stattlichkeit der
unterirdischen Hallen bei den nordamerikanischen Höhlen im
allgemeinen nur wenig der sonstigen Ausdehnung entspricht.
Es fällt einem dies besonders auf, wenn man an die Haupt
höhlen Europas zurück denkt. Eine bemerkenswerthe Er
scheinung ist es hierbei, daß große Weitungen mit aus
gesprochener Vorliebe an den Enden der Höhlengänge liegen,
oder daß sie als Anhängsel und Auswüchse derselben —
also als etwas Accidentielles — erscheinen (vergl. das
Labyrinth der Mam-
muth-Höhle sowie die
anderen Pläne).
An zierlichen und
vielgestaltigenTropf-
steingebilden, so wie
man sie in der Adels
berger Höhle, in der
Baumanns- und
Biels-Höhle, in der
Dechen-Höhle rc. zu
sehen bekommt, sind
die amerikanischen
Höhlen in: Allgemei
nen nicht reich, was
uns wieder auf die
gewaltige Zerstö
rungsarbeit der un
terirdischen Gewässer
hinzudeuten scheint.
Kaum ist der Sta
lagmit oder Stalaktit
entstanden, so wird
er von derHochfluth
wieder abgebrochen
und mit fortgerissen.
Außerdem setzt die
Eutstehung schöner
Tropfsteinbildungen
wohl auch ein ruhi
geres und gleichmäßi
geres Fallen der
Tropfen voraus, als
es in Nordamerika
in der Regel der
Fall ist. Die Deko
ration der Höhlen-
rüume dürfte also
nach dieser Richtung
hin durch das heftige
meteorologische Re
gime, das über Ame
rika waltet, nach
zweifacher Richtung
hin beeinträchtigt
sein. Die zahlreich
sten und hübschesten
Stalaktiten finden Thron und Kathedrale
sich in der relativ
sehr trockenen Luray-Höhle und in der Wyandotte - Höhle
sowie in den Höhlen Mexikos. In den Räumen, in
welchen einnial Tropfsteinbildungen vorhanden find, kann
man übrigens eine eigenthümliche Tendenz derselben, ins
Kolossale zu wachsen, beobachten (vergl. die Abbildungen
ans S. 230 u. 232). Steht dies nicht wieder in einer merk
würdigen Uebereinstimmung mit der Energie, durch die sich
die meteorologischen Erscheinungen in Amerika auszeich
nen ! Die Dekoration der Höhlen ist natürlich jünger als
die Bildung derselben, und aus diesem Grunde darf man
bei ihr die Art und Weise, in der die Atmosphärilien gegen
wärtig wirken, noch weit weniger aus dem Auge lassen.
An Ornamenten, die nicht in einem so hohen Grade
wie Tropfsteine langsam wachsende Dauerbildungen sind,
sondern die sich — geologisch gesprochen — von Tag zu
Tag erneuern, so wie sie von Tag zu Tag zerfallen, an
solchen Ornamenten ist den amerikanischen Höhlen kein
Mangel, und darin liegt für das Auge des Beschauers, der
sie lediglich §aus
natur-ästhetischem
Interesse besucht, ein
gewisser Ersatz für
jene. Wir weisen
da namentlich auf
die zahllosen Sal
peter - und Gyps-
krystalle hin, die die
Decken und Wände
an vielen Orten be
kleiden, und die im
Scheine der Fackeln
oder des elektrischen
Lichtes die wunder
barsten Effekte geben.
Die „Sternenkam-
mer" und das
„ Cleveland-Kabi-
net" der kentucky-
schen Mammuth-
Höhle, die „Schön
heitskammer", das
„Purgatorium" und
das „Weiße Wolken-
zimmer" der großen
Wyandotte-Höhle
danken diesen Kry
stallen ihre Be
rühmtheit. In geo
logischer Beziehung
könnte man daraus
vielleicht entnehmen,
daß die Gesteine in
Amerika auch in den
unterirdischen Hohl
räumen im Allge
meinen viel rasch
lebiger sind und viel
stärkeren Umwand
lungen unterliegen
als in Europa. Daß
an der starken Ni-
trifieation des Kalk
steins außer dem
darin enthaltenen
Bituuien auch die
Schaaren von Fleder
mäusen, die in den
Höhlen hausen, erheblichen Antheil haben, bedarf keiner
weiteren Auseinandersetzung, ebensowenig auch, daß die Bil
dung von schönen Gypsrosetten durch die Trockenheit der
Luft, die dem unterirdischen Nordamerika ebenso charakte
ristisch ist wie dem oberirdischen, sehr begünstigt ist. In
früheren Zeiten lohnten die Ablagerungen von Salpetererde
auf dem Boden der Höhlen vielfach den wirthschaftlichen
Abbau, und ebenso auch die Ablagerungen von Alaun, von
Epsom-Salz rc., heute ist dies aber nicht mehr der Fall.
in der Luray-Höhle.