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Dr. W. Sie Vers: Die „Floresta“ des Nicolas de la Rosa.
Recht versteckt zu nennen, weil man einerseits die Grab
hügel nicht ausbeuten kann, da die Indianer von ihren
Weissagern mit dem Tode bedroht werden, wenn sie sie ver
rathen, andererseits aber die Erzadern in Folge Mangels
an Mitteln nicht in Angriff genommen werden können.
Diese Indianer sind es, welche zuerst vor anderen das Glück
hatten, von dem heiligen Luis Beltran das Evangelium
.zu hören, und welche nach der Ueberlieferung des Segens
theilhaftig wurden, von dem Apostel Sankt Thomas besucht
zu werden; und in der That giebt es dafür, daß ihre Vor
fahren ihn gesehen und mit ihm verkehrt haben müssen, ein
starkes Anzeichen in ihrer Tracht, welche sie nämlich wie
die Apostel tragen. Ferner tragen sie auch ein Diadem
und zwar die Reichen von Muscheln, die Armen von Palm
geflecht, in Form eines Halbmondes an der Stirn, welches
an den Schläfen befestigt wird, um die Augen gegen die
Gluth der Sonne zu schützen und das Haar zu befestigen.
Ihre Sprechweise ist demüthig ernst und sic machen wenig
Worte. Von Natur sind sie friedlich und führen weder
Bogen und Pfeil, noch irgend eine andere Angriffs- oder
Vertheidigungswaffe. Ihre Streitfälle und Zweikampfe sind
lächerlich, denn niemals verwunden oder verletzen sic sich.
Ihre Art, Streitigkeiten unter einander auszumachen, ist die,
daß sic an einem vorher bestimmten Orte zusammen kommen,
wo ein Stein oder großer Baumstumpf liegt. Jeder schlägt
dann mit seinem Säbel ans schwarzem, starkem und glänzen
dem Holze, unter Ausstoßung zornig gemurmelter Ver
wünschungen, auf den Gegenstand los, bis einer der Säbel
zersplittert oder zerbricht. Dieser trägt dann den Sieg
davon, und unter lebhafter Umarmung kehren sie dann nach
der Wohnung zurück, um durch Trinkgelage Versöhnung zu
feiern.
Die gewöhnliche Nahrung der Anrohnaeos ist Fisch oder
Muscheln und Schnecken, welche sie aus dem Meere sammeln,
selten aber Rindfleisch. Die Jagd üben sie nicht ans, weil
es in dem Gebirge überhaupt kein vicrfüßigcs Thier giebt,
indem alle den vielen Reif und die viele Kälte fliehen, welche
auf jenen hohen, hervorragenden Felseninassen herrschen.
Das Maisbrot niischcn sie mit Anca, Bataten oder Arra-
cache und nennen es „Naiboa“; cs ist von anderem Geschuiack,
als das gewöhnliche, aber nicht so nahrhaft, weil es weniger
Körnerfrucht als Wurzelmehl enthält. Diese Früchte säen
und bearbeiten die Indianerinnen, weil die Männer sich
damit beschäftigen, Hängematten und Mäntel von Baum
wolle, Säcke, Taschen, Gürtel und andere Hängematten aus
Fäden zu weben. Den Faden fiir diese Gewebe ziehen die
dazu eingeschulten Kinder, und die kleinsten reinigen und
wirren die Baumwolle aus einander. Mag die Indianerin
zu ihrer Pflanzung gehen oder von derselben kommen, immer
strickt sie an Netzen von größeren und kleineren Maschen,
obnwhl sie in ihrem Gange durch die kleinen Kinder oder
durch die Lasten von Mais, Gemüsen, Früchten, Holz oder
Wasser, welche sie alle in einem Netze auf dem Rücken
tragen, behindert wird: und das Netz ist obendrein noch
an der Stirn befestigt, damit die Hände frei bleiben.
Die Schmucksachen, welche die Aurohuacos an ihren
Festen, Tänzen und Feierlichkeiten tragen, als da sind Ohr-
und Nasenringe, Arm- und Halsbänder, sind von feinstem
Golde, doch giebt es auch manche von geringerem Werthe,
welche von den Armen getragen werden. Die Indianerinnen
haben bei der Geburt dieselben Gewohnheiten, nehmen auch
Bäder, und nennen die Kinder mit denselben Namen von
Vögeln wie die anderen Stämme; wenn aber eine Un-
verheirathete niederkommt, so wird das Kind für das eines
Hirsches gehalten und auch so genannt, woraus man schließen
muß, daß sic glauben, daß sich kein Indianer mit ihr ab
gegeben haben könne.
In einer der großen Thalschluchten, in welchen der Rio
Rancheria das Gebirge durchschneidet, besitzen sie ein Gottes
haus, welches sie „Canzamaria“ nennen. Darin haben sie
einen Götzen aus Federn, die sehr verschieden gefärbt und
mit großer Kunst ausgewählt sind. Zn seiner Bewachung
wohnt an jenem Orte eine von den Familien, welche immer
entfernt von den Dörfern wohnen, und jeden Neumond
kommen sie dort zusammen, um ihre Feste und Tänze abzu
halten, wobei sie der Unmüßigkeit im Trinken die Zügel
schießen lassen, lind wenn sie dann die Anbetung zu voll
ziehen haben, so ruft der Mohan mit einer kleinen Flöte
den Dämon, welcher unsichtbar herbeikommt. Er begiebt
sich dann in das Idol, spricht zu ihm, unterrichtet die Leute
in teuflischen Gebeten und giebt ihnen den Ton, in welchem
sie in ihrer Sprache singen. Diese Verehrungen und Fest
lichkeiten geschehen auf Einladung des Großen, welchem die
Canzamaria gehört, denn jeder Große hat seine eigene, und
so gehen sie jeden Monat von einer Hütte zur anderen und
besuchen an den drei oder vier Neumondstagen nach und
nach im Laufe des Jahres sämmtliche Gotteshäuser. Darauf
kehren sie nach ihren Dörfern zurück, beladen mit Puca,
Arracache, Aepfcln und anderen Wurzeln und Früchten,
deren Einbringung der Hauptgrund ihres Ausfluges war.
Diese Schluchten nennen die Aurohuacos „Mamaronhuy“,
was etwa „tiefes Land" bedeutet, und die Gipfel der Sierra
„Chivironhuy“, was „Land mit hohen Gipfeln“ heißen soll.
Dieses Thal oder diese Schlucht war das Pantheon, wo
sie ihre Würdenträger begruben und man sieht daher dort
mehr als 80 Grabdenkmäler von Stein, auf dem ebenen
Thalgrunde aber verschiedene Hütten, wo diejenigen sich cin-
qnartieren, welche zu diesen Wallfahrten gehen. Der Weg,
welcher nach diesem Thalgrunde führt, durchzieht die höchsten
Theile der Sierra, und ans dem Gipfel giebt cs einige
Büschel, welche die Aurohuacos „lluichos“ nennen. Diese
füllen sich mit jenem Reif, welcher dort fortwährend füllt,
und bewahren im Inneren ihrer Blätter ein klares, süßes
und sehr frisches Wasser, welches denjenigen, die den schweren
Weg ziehen, den Durst stillt; denn da die Entfernung nach
dem Flusse groß und der Weg holprig ist, so wäre es ganz
unmöglich, sich mit Wasser zu versorgen, wenn nicht die
Natur dort jene Vorkehrung getroffen hätte.
Eine andere, größere und entferntere „Canzamaria“ be
suchen die Indianer alle Jahre im Neumond des Januar,
welcher der klarste und hellste des Jahres ist, daher den
Neumonden der übrigen Monate vorgezogen und „Zacamero
Mayor“ genannt wird. Sic halten es für so nothwendig,
dahin zu wallfahrten, daß sie alle Alten und Kranken in
einer Hängematte dorthin schleppen, damit sie dieser von
chnen für sehr groß gehaltenen Wohlthat theilhaftig werden.
Diese Götzendienerei haben unsere Geistlichen nicht unter
drücken können, theils wegen der Wildheit des Gebirges
und der beschwerlichen Wege und der Unwirthlichkeit des
Sturmes und Schnees, dann aber auch, weil es vergeb
lich ist , die Hütten zu zerstören, indem die Indianer aus
der Nähe wieder zusammenkommen und dieselben wieder
aufbauen, diejenigen aus den Dörfern aber sich entschuldigen,
es sei kein Kultus, sondern nur Sitte bei ihren Festlich
keiten.
Denn obwohl einige Geistliche zu verschiedenen Jahren
versuchten, zur Ehre Gottes ihre zarte Natur zu besiegen
und mit heiligem Eifer ausgezogen waren, die Canza-
marias verbrannt und den Indianern nochmals das Un-
würdlge ihres Aberglaubens vorgestellt, manche auch ge
züchtigt hatten, kamen die Aurohuacos doch wieder im Ge
heimen zu ihren Opfern und Götzen zurück, während sic in
den Dörfern ans Furcht vor Strafe sich zu dein wahren
Gott bekennen.
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