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Full Text: Globus, 53.1888

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Dr. W. Sie Vers: Die „Floresta“ des Nicolas de la Rosa. 
Recht versteckt zu nennen, weil man einerseits die Grab 
hügel nicht ausbeuten kann, da die Indianer von ihren 
Weissagern mit dem Tode bedroht werden, wenn sie sie ver 
rathen, andererseits aber die Erzadern in Folge Mangels 
an Mitteln nicht in Angriff genommen werden können. 
Diese Indianer sind es, welche zuerst vor anderen das Glück 
hatten, von dem heiligen Luis Beltran das Evangelium 
.zu hören, und welche nach der Ueberlieferung des Segens 
theilhaftig wurden, von dem Apostel Sankt Thomas besucht 
zu werden; und in der That giebt es dafür, daß ihre Vor 
fahren ihn gesehen und mit ihm verkehrt haben müssen, ein 
starkes Anzeichen in ihrer Tracht, welche sie nämlich wie 
die Apostel tragen. Ferner tragen sie auch ein Diadem 
und zwar die Reichen von Muscheln, die Armen von Palm 
geflecht, in Form eines Halbmondes an der Stirn, welches 
an den Schläfen befestigt wird, um die Augen gegen die 
Gluth der Sonne zu schützen und das Haar zu befestigen. 
Ihre Sprechweise ist demüthig ernst und sic machen wenig 
Worte. Von Natur sind sie friedlich und führen weder 
Bogen und Pfeil, noch irgend eine andere Angriffs- oder 
Vertheidigungswaffe. Ihre Streitfälle und Zweikampfe sind 
lächerlich, denn niemals verwunden oder verletzen sic sich. 
Ihre Art, Streitigkeiten unter einander auszumachen, ist die, 
daß sic an einem vorher bestimmten Orte zusammen kommen, 
wo ein Stein oder großer Baumstumpf liegt. Jeder schlägt 
dann mit seinem Säbel ans schwarzem, starkem und glänzen 
dem Holze, unter Ausstoßung zornig gemurmelter Ver 
wünschungen, auf den Gegenstand los, bis einer der Säbel 
zersplittert oder zerbricht. Dieser trägt dann den Sieg 
davon, und unter lebhafter Umarmung kehren sie dann nach 
der Wohnung zurück, um durch Trinkgelage Versöhnung zu 
feiern. 
Die gewöhnliche Nahrung der Anrohnaeos ist Fisch oder 
Muscheln und Schnecken, welche sie aus dem Meere sammeln, 
selten aber Rindfleisch. Die Jagd üben sie nicht ans, weil 
es in dem Gebirge überhaupt kein vicrfüßigcs Thier giebt, 
indem alle den vielen Reif und die viele Kälte fliehen, welche 
auf jenen hohen, hervorragenden Felseninassen herrschen. 
Das Maisbrot niischcn sie mit Anca, Bataten oder Arra- 
cache und nennen es „Naiboa“; cs ist von anderem Geschuiack, 
als das gewöhnliche, aber nicht so nahrhaft, weil es weniger 
Körnerfrucht als Wurzelmehl enthält. Diese Früchte säen 
und bearbeiten die Indianerinnen, weil die Männer sich 
damit beschäftigen, Hängematten und Mäntel von Baum 
wolle, Säcke, Taschen, Gürtel und andere Hängematten aus 
Fäden zu weben. Den Faden fiir diese Gewebe ziehen die 
dazu eingeschulten Kinder, und die kleinsten reinigen und 
wirren die Baumwolle aus einander. Mag die Indianerin 
zu ihrer Pflanzung gehen oder von derselben kommen, immer 
strickt sie an Netzen von größeren und kleineren Maschen, 
obnwhl sie in ihrem Gange durch die kleinen Kinder oder 
durch die Lasten von Mais, Gemüsen, Früchten, Holz oder 
Wasser, welche sie alle in einem Netze auf dem Rücken 
tragen, behindert wird: und das Netz ist obendrein noch 
an der Stirn befestigt, damit die Hände frei bleiben. 
Die Schmucksachen, welche die Aurohuacos an ihren 
Festen, Tänzen und Feierlichkeiten tragen, als da sind Ohr- 
und Nasenringe, Arm- und Halsbänder, sind von feinstem 
Golde, doch giebt es auch manche von geringerem Werthe, 
welche von den Armen getragen werden. Die Indianerinnen 
haben bei der Geburt dieselben Gewohnheiten, nehmen auch 
Bäder, und nennen die Kinder mit denselben Namen von 
Vögeln wie die anderen Stämme; wenn aber eine Un- 
verheirathete niederkommt, so wird das Kind für das eines 
Hirsches gehalten und auch so genannt, woraus man schließen 
muß, daß sic glauben, daß sich kein Indianer mit ihr ab 
gegeben haben könne. 
In einer der großen Thalschluchten, in welchen der Rio 
Rancheria das Gebirge durchschneidet, besitzen sie ein Gottes 
haus, welches sie „Canzamaria“ nennen. Darin haben sie 
einen Götzen aus Federn, die sehr verschieden gefärbt und 
mit großer Kunst ausgewählt sind. Zn seiner Bewachung 
wohnt an jenem Orte eine von den Familien, welche immer 
entfernt von den Dörfern wohnen, und jeden Neumond 
kommen sie dort zusammen, um ihre Feste und Tänze abzu 
halten, wobei sie der Unmüßigkeit im Trinken die Zügel 
schießen lassen, lind wenn sie dann die Anbetung zu voll 
ziehen haben, so ruft der Mohan mit einer kleinen Flöte 
den Dämon, welcher unsichtbar herbeikommt. Er begiebt 
sich dann in das Idol, spricht zu ihm, unterrichtet die Leute 
in teuflischen Gebeten und giebt ihnen den Ton, in welchem 
sie in ihrer Sprache singen. Diese Verehrungen und Fest 
lichkeiten geschehen auf Einladung des Großen, welchem die 
Canzamaria gehört, denn jeder Große hat seine eigene, und 
so gehen sie jeden Monat von einer Hütte zur anderen und 
besuchen an den drei oder vier Neumondstagen nach und 
nach im Laufe des Jahres sämmtliche Gotteshäuser. Darauf 
kehren sie nach ihren Dörfern zurück, beladen mit Puca, 
Arracache, Aepfcln und anderen Wurzeln und Früchten, 
deren Einbringung der Hauptgrund ihres Ausfluges war. 
Diese Schluchten nennen die Aurohuacos „Mamaronhuy“, 
was etwa „tiefes Land" bedeutet, und die Gipfel der Sierra 
„Chivironhuy“, was „Land mit hohen Gipfeln“ heißen soll. 
Dieses Thal oder diese Schlucht war das Pantheon, wo 
sie ihre Würdenträger begruben und man sieht daher dort 
mehr als 80 Grabdenkmäler von Stein, auf dem ebenen 
Thalgrunde aber verschiedene Hütten, wo diejenigen sich cin- 
qnartieren, welche zu diesen Wallfahrten gehen. Der Weg, 
welcher nach diesem Thalgrunde führt, durchzieht die höchsten 
Theile der Sierra, und ans dem Gipfel giebt cs einige 
Büschel, welche die Aurohuacos „lluichos“ nennen. Diese 
füllen sich mit jenem Reif, welcher dort fortwährend füllt, 
und bewahren im Inneren ihrer Blätter ein klares, süßes 
und sehr frisches Wasser, welches denjenigen, die den schweren 
Weg ziehen, den Durst stillt; denn da die Entfernung nach 
dem Flusse groß und der Weg holprig ist, so wäre es ganz 
unmöglich, sich mit Wasser zu versorgen, wenn nicht die 
Natur dort jene Vorkehrung getroffen hätte. 
Eine andere, größere und entferntere „Canzamaria“ be 
suchen die Indianer alle Jahre im Neumond des Januar, 
welcher der klarste und hellste des Jahres ist, daher den 
Neumonden der übrigen Monate vorgezogen und „Zacamero 
Mayor“ genannt wird. Sic halten es für so nothwendig, 
dahin zu wallfahrten, daß sie alle Alten und Kranken in 
einer Hängematte dorthin schleppen, damit sie dieser von 
chnen für sehr groß gehaltenen Wohlthat theilhaftig werden. 
Diese Götzendienerei haben unsere Geistlichen nicht unter 
drücken können, theils wegen der Wildheit des Gebirges 
und der beschwerlichen Wege und der Unwirthlichkeit des 
Sturmes und Schnees, dann aber auch, weil es vergeb 
lich ist , die Hütten zu zerstören, indem die Indianer aus 
der Nähe wieder zusammenkommen und dieselben wieder 
aufbauen, diejenigen aus den Dörfern aber sich entschuldigen, 
es sei kein Kultus, sondern nur Sitte bei ihren Festlich 
keiten. 
Denn obwohl einige Geistliche zu verschiedenen Jahren 
versuchten, zur Ehre Gottes ihre zarte Natur zu besiegen 
und mit heiligem Eifer ausgezogen waren, die Canza- 
marias verbrannt und den Indianern nochmals das Un- 
würdlge ihres Aberglaubens vorgestellt, manche auch ge 
züchtigt hatten, kamen die Aurohuacos doch wieder im Ge 
heimen zu ihren Opfern und Götzen zurück, während sic in 
den Dörfern ans Furcht vor Strafe sich zu dein wahren 
Gott bekennen. 
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