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Full Text: Globus, 53.1888

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E. Schröder: Land und Leute des Theedchtriktes von Kumaon. 
Diese Bewohner der höheren Regionen, Bhntia ge 
nannt, unterscheiden sich durch Rasse, Religion und Lebens 
weise deutlich von den Dörflern der niederen Berge. Sie 
sind betriebsamer und sparsamer als die letzteren und durch 
Wuchergeschäfte zu einer gewissen Herrschaft sowie zum Land 
besitz in den niederen Dörfern gelangt. Diese Bhntia 
leben vor allem von Schaf-, Ziegen- und Pferdezucht, 
daneben treiben sie aber auch einen schwunghaften Handel 
mit Salz und Borax, welche Artikel sie in kleinen ledernen 
Säcken auf dem Rücken ihrer Schafe und Ziegen in der 
kalten Jahreszeit aus Tibet herabbringen und gegen bunte 
Zeuge und andere Waaren der Ebene umtauschen. Schwere 
Lasten, die nicht getheilt werden können, transportieren sie 
auf zahmen Paks (hier Dschabu genannt), von denen die 
Reicheren stets eine Heerde mit sich führen. Das strengere 
Klima in der Nähe der Schneegrenze zwingt sie natürlich, 
wärmere Kleider zu tragen, als man sonst in Indien zu 
sehen gewohnt ist. Die Männer haben lange, dicke, wollene 
Röcke und ebensolche Beinkleider. Um die Hüften ist als 
Gürtel ein langes Stück baumwollenes Zeug gewickelt, in 
welches sie nicht etwa ihre Waffen, sondern die „Huka" (die 
Tabakspfeife der Eingeborenen) stecken. Um den Kopf ist 
ein anderes Stück Zeug, ein sogenanntes »Paggri", ge 
wunden. Die Kleidung der Frauen unterscheidet sich von 
der der Männer nur in der Form, nicht in den Stoffen. 
Die Bhutia zeigen schon stark die Merkmale der mon 
golischen Nasse und ihrer Religion nach sind sie Buddhisten, 
also ohne Kasteneintheilung. 
Die niederen Berge, etwa von 8000 Fuß an bis zur 
Ebene, werden von einem von den Bhutia vollständig ver 
schiedenen Stamme bewohnt, der sich selbst Pahari, d. h. 
Bergbewohner, nennt. Die Angehörigen dieses Stammes 
stehen den Bhutia an Erwerbsfleiß, Jntellect und Muth 
weit nach, es sind wahrhafte „sanfte Hindu", die auch die 
Kasteneintheilung streng beobachten. 
Die vier Kasten der alten Inder haben sich bekanntlich 
in eine große Menge verschiedener Abtheilungen geschieden, 
die alle genau aus eiuander gehalten werden. Die Brah 
minen sind aber noch immer die herrschende Kaste, und fast 
alle Beamten der Regierung gehören, wenn sie nicht Moham 
medaner sind, dieser Kaste an. Die Brahminen bebauen 
ihre Felder nicht selbst, sondern lassen sie durch Leute aus 
niederen Kasten bebauen. Sie essen auch niemals Fleisch, 
während die den übrigen hohen Kasten Angehörenden (die 
Radschput) zwar Ziegenfleisch, aber kein Schaf- oder 
Schweinefleisch genießen. Da die Rinder als heilige Thiere 
betrachtet werden, so wird das Tödten derselben natürlich 
als eine Todsünde angesehen. In den größeren Orten, wo 
Europäer zusammenwohnen, werden allerdings auch Rinder 
geschlachtet, jedoch nur von Mohammedanern, unb in den 
von größeren Orten entfernten Gegenden, ist es selbst für 
Europäer gefährlich, Rinder zu tödten. Es ist hier vor 
nicht langer Zeit vorgekommen, daß die Arbeiter auf einer 
Theepflanzung, als der Besitzer durch seinen mohammeda 
nischen Koch einen Ochsen tödten ließ, einen förmlichen 
Aufstand unternahmen und nur durch den vorgehaltenen 
Revolver von Thätlichkeiten abgehalten wurden. Als sie 
sahen, daß ein Angriff mit Lebensgefahr verbunden war, 
zogen sie freilich ab, stellten aber für längere Zeit die 
Arbeit ein. Die den niederen Kasten angehörenden Hindu 
essen alles, selbst Hühner und Eier, die für einen Mann 
aus hoher Kaste ein Gräuel sind. 
Einem vorurtheilsfreien Europäer muß es wunderbar 
erscheinen, in welchem Maße dieser Kastenunterschicd alle 
Berkehrsverhältnisse der Eingeborenen beeinflußt. Einer 
aus höherer Kaste wird nie in die Wohnung eines aus 
niederer Kaste eintreten und nie Nahrung aus dessen Hand 
nehmen, ja, wenn einer aus niederer Kaste ein Gefäß 
eines höheren berührt — vielleicht aus Unachtsamkeit —, 
wird der Besitzer des Gefäßes dasselbe augenblicklich fort 
stoßen und nie wieder gebrauchen. Erst kürzlich geschah es 
hier, daß Brahminen ihre Nahrung, die sie eben gekocht 
hatten, wegschütteten, nur weil einer aus der niedrigsten 
Kaste — ein Feger, der die schmutzigsten Arbeiten zu versehen 
hat — einen Blick auf die Speisen geworfen hatte. 
Trotzdem die Kasten sich so schroff aus einander halten 
und niemals unter einander heirathen, so ist es keine Un 
ehre für einen aus hoher Kaste, mit einer weiblichen Person 
aus niederer Kaste im Concubinat zu leben. Und wenn 
ein Individuum gegen die Vorschriften seiner Kaste gefehlt 
hat, so ist es ihm auch in den meisten Fällen möglich, sich zu 
rehabilitiren. Das gewöhnliche Mittel ist eine große Mahl 
zeit, die der Sünder den Mitgliedern seiner Kaste giebt. 
Kinder der höheren Kasten werden erst durch eine be 
sondere Ceremonie in dieselben aufgenommen. Diese letztere 
besteht darin, daß dem Kinde im Atter von etwa neun 
Jahren ein Stück Bindfaden, über welches ein alter Brah- 
mine einige Gebete gemurmelt hat, um den Hals gehängt 
wird. Bei dieser Gelegenheit hat der Vater des Kindes 
natürlich ebenfalls alle zu seiner Kaste gehörenden Nachbarn 
zu regaliren. Vor der Aufnahme des Kindes in die Kaste 
des Vaters ist dasselbe an keine Vorschriften derselben ge 
bunden. 
Die höheren Kasten Angehörenden bezeichnen sich selbst 
als Hindu. Einen eigentlichen Gottesdienst jedoch haben 
nur die Brahminen. Dieselben haben auch ihre festgesetzten 
heiligen Zeiten, an denen alltäglich in den Tempeln mehr 
mals gebetet wird. Jeder Brahmine hat namentlich gewisse 
Tage im Jahre, an denen er für die verstorbenen Eltern 
betet. An den Poojah- (Gebets-) Tagen wird bis auch spät in 
die Nacht in der Nähe der Tempel mit Hörnern und Tom 
tom konzertirt. Sogenannte Tempel giebt es sehr viele, 
jedoch sind darunter nur wenige, die dem Europäer gleich 
als solche in die Augen fallen. Die meisten sind vielmehr 
elende Hiitten, die so niedrig sind, daß man nur kriechend 
hineingelangen kann. Im Inneren befinden sich ein paar 
Steine, an denen man mit Mühe ausgehauene Götzenbilder 
erkennen kann, zuweilen auch ein Gefäß, in welchem bei 
feierlichen Gelegenheiten Weihrauch gebrannt wird. Der 
gewöhnliche Tribut der Gläubigen für ihre Götter sind 
Blumen, Reis oder dergleichen. Ist jemand krank, so 
wird auch wohl ein größerer Tribut dargebracht in der 
Form eines Zickleins, das außerhalb des Tempels an 
gebunden und in der Nacht vom Leoparden verzehrt wird. 
Reiche Grundbesitzer weihen den Göttern sogar zuweilen 
einen Büffel, der mittels eines eingebrannten Zeichens als 
heilig kenntlich gemacht wird, und dann frei im Laude umher 
läuft um den Kornfeldern großen Schaden zuzufügen, aber von 
Niemandem angetastet werden darf. — An Scheidewegen 
sieht man öfters Götzenbilder in Stein gehauen. Vor 
.diesen findet man dann von Zeit zu Zeit Blumen oder ein 
wenig Reis liegen, welch letzterer natürlich den Vögeln sehr 
willkounueil ist. Außerdem sieht man allgemein in und an 
den Häusern von Brahminen kleine, aus Thon geformte Götzen. 
Zuweilen trifft man auch Fakire, die von Ort zu Ort ziehen 
und sich durch Betteln ernähren. Hier in den Bergen fär 
ben sich dieselben den ganzen Körper mit Asche oder Talk 
schmutzigweiß, das Haar aber roth, und sie finden sich bei 
allen Gelegenheiten ein, wo eilte Ansammlung von Einge 
borenen zu erwarten ist. Sie verschmähen auch nicht die 
Almosen von ungläubigen Europäern. Unter diesen Fakiren 
giebt es viele, die sich wirklich schwere Büßungen auferlegen 
(z. B. eine Hand so lange geschlossen halten, bis die Nägel 
ins Fleisch gewachsen sind), überhaupt durch ein entsagungs-
	        
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