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E. Schröder: Land und Leute des Theedchtriktes von Kumaon.
Diese Bewohner der höheren Regionen, Bhntia ge
nannt, unterscheiden sich durch Rasse, Religion und Lebens
weise deutlich von den Dörflern der niederen Berge. Sie
sind betriebsamer und sparsamer als die letzteren und durch
Wuchergeschäfte zu einer gewissen Herrschaft sowie zum Land
besitz in den niederen Dörfern gelangt. Diese Bhntia
leben vor allem von Schaf-, Ziegen- und Pferdezucht,
daneben treiben sie aber auch einen schwunghaften Handel
mit Salz und Borax, welche Artikel sie in kleinen ledernen
Säcken auf dem Rücken ihrer Schafe und Ziegen in der
kalten Jahreszeit aus Tibet herabbringen und gegen bunte
Zeuge und andere Waaren der Ebene umtauschen. Schwere
Lasten, die nicht getheilt werden können, transportieren sie
auf zahmen Paks (hier Dschabu genannt), von denen die
Reicheren stets eine Heerde mit sich führen. Das strengere
Klima in der Nähe der Schneegrenze zwingt sie natürlich,
wärmere Kleider zu tragen, als man sonst in Indien zu
sehen gewohnt ist. Die Männer haben lange, dicke, wollene
Röcke und ebensolche Beinkleider. Um die Hüften ist als
Gürtel ein langes Stück baumwollenes Zeug gewickelt, in
welches sie nicht etwa ihre Waffen, sondern die „Huka" (die
Tabakspfeife der Eingeborenen) stecken. Um den Kopf ist
ein anderes Stück Zeug, ein sogenanntes »Paggri", ge
wunden. Die Kleidung der Frauen unterscheidet sich von
der der Männer nur in der Form, nicht in den Stoffen.
Die Bhutia zeigen schon stark die Merkmale der mon
golischen Nasse und ihrer Religion nach sind sie Buddhisten,
also ohne Kasteneintheilung.
Die niederen Berge, etwa von 8000 Fuß an bis zur
Ebene, werden von einem von den Bhutia vollständig ver
schiedenen Stamme bewohnt, der sich selbst Pahari, d. h.
Bergbewohner, nennt. Die Angehörigen dieses Stammes
stehen den Bhutia an Erwerbsfleiß, Jntellect und Muth
weit nach, es sind wahrhafte „sanfte Hindu", die auch die
Kasteneintheilung streng beobachten.
Die vier Kasten der alten Inder haben sich bekanntlich
in eine große Menge verschiedener Abtheilungen geschieden,
die alle genau aus eiuander gehalten werden. Die Brah
minen sind aber noch immer die herrschende Kaste, und fast
alle Beamten der Regierung gehören, wenn sie nicht Moham
medaner sind, dieser Kaste an. Die Brahminen bebauen
ihre Felder nicht selbst, sondern lassen sie durch Leute aus
niederen Kasten bebauen. Sie essen auch niemals Fleisch,
während die den übrigen hohen Kasten Angehörenden (die
Radschput) zwar Ziegenfleisch, aber kein Schaf- oder
Schweinefleisch genießen. Da die Rinder als heilige Thiere
betrachtet werden, so wird das Tödten derselben natürlich
als eine Todsünde angesehen. In den größeren Orten, wo
Europäer zusammenwohnen, werden allerdings auch Rinder
geschlachtet, jedoch nur von Mohammedanern, unb in den
von größeren Orten entfernten Gegenden, ist es selbst für
Europäer gefährlich, Rinder zu tödten. Es ist hier vor
nicht langer Zeit vorgekommen, daß die Arbeiter auf einer
Theepflanzung, als der Besitzer durch seinen mohammeda
nischen Koch einen Ochsen tödten ließ, einen förmlichen
Aufstand unternahmen und nur durch den vorgehaltenen
Revolver von Thätlichkeiten abgehalten wurden. Als sie
sahen, daß ein Angriff mit Lebensgefahr verbunden war,
zogen sie freilich ab, stellten aber für längere Zeit die
Arbeit ein. Die den niederen Kasten angehörenden Hindu
essen alles, selbst Hühner und Eier, die für einen Mann
aus hoher Kaste ein Gräuel sind.
Einem vorurtheilsfreien Europäer muß es wunderbar
erscheinen, in welchem Maße dieser Kastenunterschicd alle
Berkehrsverhältnisse der Eingeborenen beeinflußt. Einer
aus höherer Kaste wird nie in die Wohnung eines aus
niederer Kaste eintreten und nie Nahrung aus dessen Hand
nehmen, ja, wenn einer aus niederer Kaste ein Gefäß
eines höheren berührt — vielleicht aus Unachtsamkeit —,
wird der Besitzer des Gefäßes dasselbe augenblicklich fort
stoßen und nie wieder gebrauchen. Erst kürzlich geschah es
hier, daß Brahminen ihre Nahrung, die sie eben gekocht
hatten, wegschütteten, nur weil einer aus der niedrigsten
Kaste — ein Feger, der die schmutzigsten Arbeiten zu versehen
hat — einen Blick auf die Speisen geworfen hatte.
Trotzdem die Kasten sich so schroff aus einander halten
und niemals unter einander heirathen, so ist es keine Un
ehre für einen aus hoher Kaste, mit einer weiblichen Person
aus niederer Kaste im Concubinat zu leben. Und wenn
ein Individuum gegen die Vorschriften seiner Kaste gefehlt
hat, so ist es ihm auch in den meisten Fällen möglich, sich zu
rehabilitiren. Das gewöhnliche Mittel ist eine große Mahl
zeit, die der Sünder den Mitgliedern seiner Kaste giebt.
Kinder der höheren Kasten werden erst durch eine be
sondere Ceremonie in dieselben aufgenommen. Diese letztere
besteht darin, daß dem Kinde im Atter von etwa neun
Jahren ein Stück Bindfaden, über welches ein alter Brah-
mine einige Gebete gemurmelt hat, um den Hals gehängt
wird. Bei dieser Gelegenheit hat der Vater des Kindes
natürlich ebenfalls alle zu seiner Kaste gehörenden Nachbarn
zu regaliren. Vor der Aufnahme des Kindes in die Kaste
des Vaters ist dasselbe an keine Vorschriften derselben ge
bunden.
Die höheren Kasten Angehörenden bezeichnen sich selbst
als Hindu. Einen eigentlichen Gottesdienst jedoch haben
nur die Brahminen. Dieselben haben auch ihre festgesetzten
heiligen Zeiten, an denen alltäglich in den Tempeln mehr
mals gebetet wird. Jeder Brahmine hat namentlich gewisse
Tage im Jahre, an denen er für die verstorbenen Eltern
betet. An den Poojah- (Gebets-) Tagen wird bis auch spät in
die Nacht in der Nähe der Tempel mit Hörnern und Tom
tom konzertirt. Sogenannte Tempel giebt es sehr viele,
jedoch sind darunter nur wenige, die dem Europäer gleich
als solche in die Augen fallen. Die meisten sind vielmehr
elende Hiitten, die so niedrig sind, daß man nur kriechend
hineingelangen kann. Im Inneren befinden sich ein paar
Steine, an denen man mit Mühe ausgehauene Götzenbilder
erkennen kann, zuweilen auch ein Gefäß, in welchem bei
feierlichen Gelegenheiten Weihrauch gebrannt wird. Der
gewöhnliche Tribut der Gläubigen für ihre Götter sind
Blumen, Reis oder dergleichen. Ist jemand krank, so
wird auch wohl ein größerer Tribut dargebracht in der
Form eines Zickleins, das außerhalb des Tempels an
gebunden und in der Nacht vom Leoparden verzehrt wird.
Reiche Grundbesitzer weihen den Göttern sogar zuweilen
einen Büffel, der mittels eines eingebrannten Zeichens als
heilig kenntlich gemacht wird, und dann frei im Laude umher
läuft um den Kornfeldern großen Schaden zuzufügen, aber von
Niemandem angetastet werden darf. — An Scheidewegen
sieht man öfters Götzenbilder in Stein gehauen. Vor
.diesen findet man dann von Zeit zu Zeit Blumen oder ein
wenig Reis liegen, welch letzterer natürlich den Vögeln sehr
willkounueil ist. Außerdem sieht man allgemein in und an
den Häusern von Brahminen kleine, aus Thon geformte Götzen.
Zuweilen trifft man auch Fakire, die von Ort zu Ort ziehen
und sich durch Betteln ernähren. Hier in den Bergen fär
ben sich dieselben den ganzen Körper mit Asche oder Talk
schmutzigweiß, das Haar aber roth, und sie finden sich bei
allen Gelegenheiten ein, wo eilte Ansammlung von Einge
borenen zu erwarten ist. Sie verschmähen auch nicht die
Almosen von ungläubigen Europäern. Unter diesen Fakiren
giebt es viele, die sich wirklich schwere Büßungen auferlegen
(z. B. eine Hand so lange geschlossen halten, bis die Nägel
ins Fleisch gewachsen sind), überhaupt durch ein entsagungs-