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Full Text: Globus, 53.1888

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E. Schröder: Land und Leute des Theedistriktes von Kumaon. 
volles Leben den Göttern einen Dienst zn erweisen glauben, 
die meisten sind jedoch offenbare Betrüger. 
Außer den Rindern gelten als heilige Thiere Affen und 
Schlangen. Jedoch legen die Eingeborenen der Tödtung 
derselben kein besonderes Hinderniß in den Weg; und 
namentlich Leute aus niederer Kaste dürfen sie umbringen, 
ohne sich etwas zn vergeben. Daß es bei solchen Religions- 
Verhältnissen auch nicht an dem unsinnigsten Aberglauben 
fehlt, ist selbstverständlich. Alten Frauen werden zuweilen 
Zauberkräfte zugeschrieben, und Krankheiten von Menschen 
und Vieh werden als die Wirkungen böser Geister, die in 
den Kranken gefahren sind, angesehen. Solche Geister be 
zeichnen sie mit demselben Namen, wie die „Jeziden den 
gefallenen Engel Scheitan". Einer ans niederer Kaste, 
dessen Großmutter wahrscheinlich an Altersschwäche litt, 
glaubte sein Unwohlsein sogar einem „belati Scheitan“ 
(ausländischem Teufel) zuschreiben zu müssen. Dieser Aber 
glaube ist natürlich in den abgelegenen Bergen viel mehr 
heimisch als in der civilisirteren Ebene. Derselbe nimmt 
jedoch mit der Zeit unter dem Einflüsse der Europäer eben 
falls immer mehr ab, denn die meisten sind doch schon da 
hintergekommen, daß ausländische Medicinen besser sind, um 
ausländische Teufel auszutreiben, als alle inländischen Be 
schwörungsformeln. 
Mit der Religion stehen gewisse Sitten und Satzungen 
in enger Verbindung. Einen Todten dürfen nur die An 
gehörigen desselben berühren. Alle anderen würden dadurch 
sofort ihre Kaste verlieren. Die Familie wird nach dem 
Todesfälle auf eine bestimmte Zeit für unrein erklärt. Die 
Zeit ist je nach der Kaste verschieden, am längsten bei den 
Brahminen, nämlich 40 Tage. 
Während dieser Zeit dürfen die Angehörigen des Ver 
storbenen nicht an dem gewöhnlichen Platze baden, nicht aus 
dem gewöhnlichen Brunnen Wasser holen u. s. w. Durch 
das Gebot, daß nur Angehörige einen Todten berühren 
dürfen, wären hier auf einer Theepflanzung vor 1V 2 Jahren 
fast zwei Menschenleben verloren gegangen. Vier Leute, die 
sich in einer besonders kalten Nacht in ihrer Hütte nicht wohl 
genug fühlten, schlugen nämlich ohne Wissen des Besitzers ihr 
Nachtlager auf dem Boden eines Gebäudes aus, in dessen 
unterem Theil Thee über Holzkohlenfeuer getrocknet wurde. 
Am Morgen wurden alle vier, von Kohlendnnst betäubt, 
anscheinend leblos aufgefunden. Alle vier wurden von den 
Eingeborenen für todt gehalten und folglich wollte sie Nie 
mand anrühren. Da nur ein Europäer gegenwärtig war, 
so hatte derselbe die größte Noth, mit Hilfe eines dazu 
gepreßten Eingeborenen aus einer der niedrigsten Kasten die 
anscheinend Todten eine Leiter herunter aus dem Kohlen 
dunst ins Freie zu schaffen. Bei zweien waren die Wieder 
belebungsversuche noch von Erfolg. 
Die Todtenbestattung ist noch dieselbe, wie sie wahr 
scheinlich vor 3000 Jahren war. Der Leichnam wird in 
einer Sänfte, oder auch nur an einen Stock gebunden, nach 
einem bestimmten Flusse getragen und dort am User auf einem 
Scheiterhaufen zur Hälfte verbräunt, während der Rest in 
den Fluß geworfen wird. Am genauesten nehmen es mit 
dem Bestattungsplatzc die höheren Kasten, und dieselben tra 
gen ihre Todten oft mehrere Tagereisen weit nach besonders 
heiligen Flüssen. Eingeborene aus niederer Kaste bringen 
die Leichen einfach nach dem nächsten Bache. Da fast alle 
Flüsse auf diese Weise durch Leichen verunreinigt werden, 
so essen Europäer hier selten Fische, die an Ort und Stelle 
gefangen sind. 
Die Hindu haben im Laufe der Jahrhunderte auch 
Sitten angenommen, von denen die alten Inder nichts 
wußten. Dahin gehören die Abschließung der Frauen bei 
den Brahminen und die Kinderheirath. Töchter zu haben, 
ist für den Vater ein Glück, da sie einen werthvollen 
Handelsartikel bilden. Hier in den Bergen ist es noch 
allgemein Sitte, die Kinder im zartesten Alter zu ver- 
heirathen, und es ist nichts Seltenes, daß dies mit Mädchen 
im Alter von zwei Jahren geschieht. Die Eltern des Bräuti 
gams bezahlen dabei an die der Braut eine gewisse Summe, 
die je nach dem Besitzstände der Parteien und nach der Anzahl 
der innerhalb der Kaste zur Verfügung stehenden Mädchen 
bedeutend variirt. Hochzeiten bestehen hauptsächlich in 
großen, mehrere Tage währenden Gelagen, bei denen das 
Brautpaar die geringste Rolle spielt. An einem bestimmten 
Tage wird die Braut in ein rothes Tuch vollständig ein 
gewickelt, in eine Art Sänfte gelegt und in langer Prozession, 
oft auf den größten Umwegen, aus dem Hause ihrer Eltern 
in das der Schwiegereltern getragen. Der Bräutigam, 
gewöhnlich ein Knabe von 9 bis 11 Jahren, begleitet die 
Prozession, mit einer Krone aus Papier und Flittergold 
auf deni Haupte, ebenfalls in einer Sänfte. Außer diesen 
beiden nehmen an dem Zuge eine Menge von Freunden 
und Nachbarn, jedoch nur männlichen Geschlechts, Theil. 
An der Spitze tanzen Tomtomschläger und Trompeten 
bläser. Nachdem auch in dem Hause der Eltern des 
Bräutigams tüchtig gegessen worden ist — getrunken wird 
sehr wenig — wird die Braut wieder in das Haus der 
Eltern zurückgetragen. Sie beginnt erst mit ihrem Manne 
zu leben, wenn sie 13 bis 14 Jahre alt geworden ist. Da 
nun die Sterblichkeit unter Kindern männlichen Geschlechts 
— wie in Europa — größer ist als unter den Mädchen, 
so kommt es sehr häufig vor, daß Mädchen im zartesten 
Alter schon Witwen sind. Diese dürfen sich dann in den 
meisten Kasten nicht wieder verheirathen, sondern leben 
bis an ihr Lebensende in dem Hause der Schwiegereltern, 
wo sie wie Sklavinnen behandelt werden. Oft folgen 
schlimme, moralische Zustände aus solchen Verhältnissen, und 
deswegen ist namentlich in neuester Zeit von Europäern, und 
aufgeklärten Eingeborenen der Kampf gegen die Kinder 
heirath, die in den heiligen Schriften der Hindu keineswegs 
geboten ist, energisch aufgenommen worden. 
Auch sonst werden die Frauen von den Schwiegereltern 
und Ehegatten fast allgemein als Sklavinnen betrachtet. 
Diese Stellung der Frau ändert sich nur, wenn sie das 
Glück hat, ihren Mann zu überleben, da erwachsene Söhne 
ihren Müttern mit der größten Liebe entgegenkommen. 
Noch einfacher als die Erwerbung einer Frau ist es für 
den Hindu hier, eine Frau, die ihm nicht paßt, wieder los 
zn werden. Ist dieselbe durch anhaltende Krankheit ver 
hindert zu arbeiten oder ihm sonst zur Last, so braucht er 
ste nur zu verstoßen, und dann kann er sich augenblicklich 
eine neue Frau kaufen. 
Trotzdem Vielweiberei gestattet ist, ist dieselbe hier äußerst 
selten. 
Wahrscheinlich unter dem Einfluß des Mohammedanis- 
mus ist unter den Brahminen die Sitte entstanden, die 
Frauen vor den Blicken männlicher Personen zu ver 
schließen. Merkwürdiger Weise thun dies die hier ansässigen 
Mohammedaner aber nur mit verheiratheten Frauen bis zu 
einem gewissen Alter. Alte Frauen dürfen sich ungestraft mit 
Männern irgend welcher Religion unterhalten. Auch wird 
die Vorschrift von gewissen Mohammedanern, die einem 
niederen Stande, z. B. dem der Dhobi (Wäscher), ange 
hören, nicht so streng beobachtet. In Indien wird dieses 
System allgemein mit dem Namen „Pardah" (Vorhang) 
bezeichnet. Neuerdings hat man angefangen, den unglück 
lichen Geschöpfen das Leben hinter dem Pardah etwas 
erträglicher zu machen. Weibliche Missionäre lehren sie 
schreiben und lesen, weibliche europäische Aerzte behandeln 
sie in vorkommenden Fällen, Zeitungen werden für sie
	        
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