244
E. Schröder: Land und Leute des Theedistriktes von Kumaon.
volles Leben den Göttern einen Dienst zn erweisen glauben,
die meisten sind jedoch offenbare Betrüger.
Außer den Rindern gelten als heilige Thiere Affen und
Schlangen. Jedoch legen die Eingeborenen der Tödtung
derselben kein besonderes Hinderniß in den Weg; und
namentlich Leute aus niederer Kaste dürfen sie umbringen,
ohne sich etwas zn vergeben. Daß es bei solchen Religions-
Verhältnissen auch nicht an dem unsinnigsten Aberglauben
fehlt, ist selbstverständlich. Alten Frauen werden zuweilen
Zauberkräfte zugeschrieben, und Krankheiten von Menschen
und Vieh werden als die Wirkungen böser Geister, die in
den Kranken gefahren sind, angesehen. Solche Geister be
zeichnen sie mit demselben Namen, wie die „Jeziden den
gefallenen Engel Scheitan". Einer ans niederer Kaste,
dessen Großmutter wahrscheinlich an Altersschwäche litt,
glaubte sein Unwohlsein sogar einem „belati Scheitan“
(ausländischem Teufel) zuschreiben zu müssen. Dieser Aber
glaube ist natürlich in den abgelegenen Bergen viel mehr
heimisch als in der civilisirteren Ebene. Derselbe nimmt
jedoch mit der Zeit unter dem Einflüsse der Europäer eben
falls immer mehr ab, denn die meisten sind doch schon da
hintergekommen, daß ausländische Medicinen besser sind, um
ausländische Teufel auszutreiben, als alle inländischen Be
schwörungsformeln.
Mit der Religion stehen gewisse Sitten und Satzungen
in enger Verbindung. Einen Todten dürfen nur die An
gehörigen desselben berühren. Alle anderen würden dadurch
sofort ihre Kaste verlieren. Die Familie wird nach dem
Todesfälle auf eine bestimmte Zeit für unrein erklärt. Die
Zeit ist je nach der Kaste verschieden, am längsten bei den
Brahminen, nämlich 40 Tage.
Während dieser Zeit dürfen die Angehörigen des Ver
storbenen nicht an dem gewöhnlichen Platze baden, nicht aus
dem gewöhnlichen Brunnen Wasser holen u. s. w. Durch
das Gebot, daß nur Angehörige einen Todten berühren
dürfen, wären hier auf einer Theepflanzung vor 1V 2 Jahren
fast zwei Menschenleben verloren gegangen. Vier Leute, die
sich in einer besonders kalten Nacht in ihrer Hütte nicht wohl
genug fühlten, schlugen nämlich ohne Wissen des Besitzers ihr
Nachtlager auf dem Boden eines Gebäudes aus, in dessen
unterem Theil Thee über Holzkohlenfeuer getrocknet wurde.
Am Morgen wurden alle vier, von Kohlendnnst betäubt,
anscheinend leblos aufgefunden. Alle vier wurden von den
Eingeborenen für todt gehalten und folglich wollte sie Nie
mand anrühren. Da nur ein Europäer gegenwärtig war,
so hatte derselbe die größte Noth, mit Hilfe eines dazu
gepreßten Eingeborenen aus einer der niedrigsten Kasten die
anscheinend Todten eine Leiter herunter aus dem Kohlen
dunst ins Freie zu schaffen. Bei zweien waren die Wieder
belebungsversuche noch von Erfolg.
Die Todtenbestattung ist noch dieselbe, wie sie wahr
scheinlich vor 3000 Jahren war. Der Leichnam wird in
einer Sänfte, oder auch nur an einen Stock gebunden, nach
einem bestimmten Flusse getragen und dort am User auf einem
Scheiterhaufen zur Hälfte verbräunt, während der Rest in
den Fluß geworfen wird. Am genauesten nehmen es mit
dem Bestattungsplatzc die höheren Kasten, und dieselben tra
gen ihre Todten oft mehrere Tagereisen weit nach besonders
heiligen Flüssen. Eingeborene aus niederer Kaste bringen
die Leichen einfach nach dem nächsten Bache. Da fast alle
Flüsse auf diese Weise durch Leichen verunreinigt werden,
so essen Europäer hier selten Fische, die an Ort und Stelle
gefangen sind.
Die Hindu haben im Laufe der Jahrhunderte auch
Sitten angenommen, von denen die alten Inder nichts
wußten. Dahin gehören die Abschließung der Frauen bei
den Brahminen und die Kinderheirath. Töchter zu haben,
ist für den Vater ein Glück, da sie einen werthvollen
Handelsartikel bilden. Hier in den Bergen ist es noch
allgemein Sitte, die Kinder im zartesten Alter zu ver-
heirathen, und es ist nichts Seltenes, daß dies mit Mädchen
im Alter von zwei Jahren geschieht. Die Eltern des Bräuti
gams bezahlen dabei an die der Braut eine gewisse Summe,
die je nach dem Besitzstände der Parteien und nach der Anzahl
der innerhalb der Kaste zur Verfügung stehenden Mädchen
bedeutend variirt. Hochzeiten bestehen hauptsächlich in
großen, mehrere Tage währenden Gelagen, bei denen das
Brautpaar die geringste Rolle spielt. An einem bestimmten
Tage wird die Braut in ein rothes Tuch vollständig ein
gewickelt, in eine Art Sänfte gelegt und in langer Prozession,
oft auf den größten Umwegen, aus dem Hause ihrer Eltern
in das der Schwiegereltern getragen. Der Bräutigam,
gewöhnlich ein Knabe von 9 bis 11 Jahren, begleitet die
Prozession, mit einer Krone aus Papier und Flittergold
auf deni Haupte, ebenfalls in einer Sänfte. Außer diesen
beiden nehmen an dem Zuge eine Menge von Freunden
und Nachbarn, jedoch nur männlichen Geschlechts, Theil.
An der Spitze tanzen Tomtomschläger und Trompeten
bläser. Nachdem auch in dem Hause der Eltern des
Bräutigams tüchtig gegessen worden ist — getrunken wird
sehr wenig — wird die Braut wieder in das Haus der
Eltern zurückgetragen. Sie beginnt erst mit ihrem Manne
zu leben, wenn sie 13 bis 14 Jahre alt geworden ist. Da
nun die Sterblichkeit unter Kindern männlichen Geschlechts
— wie in Europa — größer ist als unter den Mädchen,
so kommt es sehr häufig vor, daß Mädchen im zartesten
Alter schon Witwen sind. Diese dürfen sich dann in den
meisten Kasten nicht wieder verheirathen, sondern leben
bis an ihr Lebensende in dem Hause der Schwiegereltern,
wo sie wie Sklavinnen behandelt werden. Oft folgen
schlimme, moralische Zustände aus solchen Verhältnissen, und
deswegen ist namentlich in neuester Zeit von Europäern, und
aufgeklärten Eingeborenen der Kampf gegen die Kinder
heirath, die in den heiligen Schriften der Hindu keineswegs
geboten ist, energisch aufgenommen worden.
Auch sonst werden die Frauen von den Schwiegereltern
und Ehegatten fast allgemein als Sklavinnen betrachtet.
Diese Stellung der Frau ändert sich nur, wenn sie das
Glück hat, ihren Mann zu überleben, da erwachsene Söhne
ihren Müttern mit der größten Liebe entgegenkommen.
Noch einfacher als die Erwerbung einer Frau ist es für
den Hindu hier, eine Frau, die ihm nicht paßt, wieder los
zn werden. Ist dieselbe durch anhaltende Krankheit ver
hindert zu arbeiten oder ihm sonst zur Last, so braucht er
ste nur zu verstoßen, und dann kann er sich augenblicklich
eine neue Frau kaufen.
Trotzdem Vielweiberei gestattet ist, ist dieselbe hier äußerst
selten.
Wahrscheinlich unter dem Einfluß des Mohammedanis-
mus ist unter den Brahminen die Sitte entstanden, die
Frauen vor den Blicken männlicher Personen zu ver
schließen. Merkwürdiger Weise thun dies die hier ansässigen
Mohammedaner aber nur mit verheiratheten Frauen bis zu
einem gewissen Alter. Alte Frauen dürfen sich ungestraft mit
Männern irgend welcher Religion unterhalten. Auch wird
die Vorschrift von gewissen Mohammedanern, die einem
niederen Stande, z. B. dem der Dhobi (Wäscher), ange
hören, nicht so streng beobachtet. In Indien wird dieses
System allgemein mit dem Namen „Pardah" (Vorhang)
bezeichnet. Neuerdings hat man angefangen, den unglück
lichen Geschöpfen das Leben hinter dem Pardah etwas
erträglicher zu machen. Weibliche Missionäre lehren sie
schreiben und lesen, weibliche europäische Aerzte behandeln
sie in vorkommenden Fällen, Zeitungen werden für sie