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R. v. Lendenfeld: Der Charakter der Neuseeländischen Alpen.
aber breit und flach, und enge, tiefe Schluchten finden sich
nirgends. In den unteren Partien find diese Thäler 5 bis
7 km und mehr breit und von Geröll ganz ausgefüllt; sie
werden von einem Netze ewig wechselnder Wildströme durch
zogen, welche immer nene Geröllmassen in denselben auf
schütten. An den Rändern tauchen die steilen seitlichen
Berghänge plötzlich unter die Geröllmassen hinab, und es
haben diese Thäler im allgemeinen denselben Charakter, wie
die größeren Flnßthüler in den europäischen Alpen, nur
sind sie viel breiter, und die Torrenten in denselben viel
weiter ausgebreitet. Ausfallend ist es, daß diese breiten,
flachen Thäler bis in das Herz des Gebirges reichen, ohne
ihren Charakter zu ändern. Die oberen Partien der Thäler
sind von großen Gletschern erfüllt, aber die Konfiguration
dieser Eisströme zeigt deutlich, daß sich die Thäler mit gleich
bleibender Breite und Neigung bis zu den steilen Berg
hängen, welche sie schließen, erstrecken. Die durchschnittliche
Neigung dieser Thäler, sowohl der unteren, wie auch der
oberen, vergletscherten Partien, beträgt etwa 3°.
Der Südostabhang des Centraltheiles der Neuseeländi
schen Alpen besteht aus stark metamorphosirten und über
aus versteinerungsarmen Sedimentgesteinen, welche nach
Hector, Haast u. A. dem Silur, dem Devon und dem unteren
Carbon angehören. Der Nordwcstabhang hingegen ist aus
Granit und krystallinischen Schiefern zusammengesetzt.
Diese beiden Formationsgruppen stoßen nur auf eine kurze
Strecke nördlich vom Mount Cook zusammen, und zwar
nach Hector im Hauptkamme selbst, nach Haast weiter-
westlich. Bon Norden und Süden her schieben sich gefaltete
Schiefer, welche jüngeren Alters sind als der Granit und
Am Ende des verlängerten Tasmangletschers.
die krystallinischen Schiefer, älter jedoch als das Silur des
Ostabhanges, zwischen die beiden ermähnten Formations-
grnppen ein. Außerhalb des Gebirges stoßen im Osten
mesozoische Formationen an die paläozoischen des Ostabhanges,
während im Westen Plioccn und jüngere Gebilde direct auf
den Granit folgen. Nur im Norden finden sich unbedeutende
Inseln paläozoischer und mesozoischer Gesteine an der Grenze
zwischen dem Granit und dem Pliocen.
Die Grenzlinien zwischen den Formationen laufen dem
Hauptkamme und den Küstenlinien parallel.
Alle geschichteten Gesteine, welche an der Gebirgsbildung
theilnehinen, sind stark gefaltet und stehen theilweise recht
steil. Hector stellt sogar lauter auf dem Kopfe stehende
Schichten dar. (Ilandbook of New Zealand 1883 —
1886.) Dies ist jedoch unrichtig. Ich habe Winkel von
53 bis 75" an sehr vielen Orten gemessen, und ich finde —
in Uebereinstimmung mit Haast —, daß das ganze Gebirge,
oder mindestens der Hauptkamm und die östlichen Neben-
kämme, ans großen Falten bestehen, und zwar liegen die
Kämme in der Regel in Synklinalen und die Thäler in
geborstenen Antiklinalen.
Die jüngeren Formationen lagern sich discordant und
ohne bedeutendere Faltcnbildung den paläozoischen auf —
auch hier stimme ich mit Hector nicht überein —, und ich
halte es für höchst wahrscheinlich, daß die Neuseeländischen
Alpen während der Devon-Periode, gewiß aber vor der Jura
zeit, durch eine mächtige Faltung aufgebaut worden sind.
Das hohe Alter der Neuseeländischen den europäischen Alpen
gegenüber findet in der Configuration der Thäler seinen
Ausdruck, indem diese in ihren obersten Partien und bis
ins Herz des Gebirges hinein bereits jenen Grad der
Ausbildung erreicht haben, der in den europäischen Alpen