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Full Text: Globus, 53.1888

R. v. Lendenfeld: Der Charakter der Nenseeländischen Alpen. 
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Ueber die Zeit, wann diese Vergletscherung stattgefunden 
hat, läßt sich nur soviel sagen, daß sie wahrscheinlich mit 
der australischen Eiszeit synchron war (Vergl. Lendenseld, Die 
australische Eiszeit, Globus 1888, S. 1 ff.). 
Da die Gletscher der Neuseeländischen Alpen um 1000 
bis 1500 m weiter herabreichen als jene der europäischen, 
und auch die Schneegrenze entsprechend tiefer liegt, so trägt 
das neuseeländische Gebirge einen viel alpineren Charakter, 
als ihm seiner Höhe und geographischen klage nach zukommen 
sollte. Wenn wir nun aber den oberen Tasmanfirn mit 
dein oberen Gorner-Gletscher oder dem Fuße des Mont 
Blanc, welche entsprechend höher liegen, vergleichen, so 
finden wir doch einen beträchtlichen Unterschied im Detail, 
welcher im allgemeinen aus eine mächtigere Entwickelung 
des Firns in den Neuseeländer Alpen zurückzuführen ist. 
Der Schnee ist weißer und an der Oberfläche weniger in 
Firneis übergeführt, die Spalten sind größer, und die Ge 
stalt der Schollen zerklüfteter Firnpartien regelmäßiger 
tafelförmig. Die Contouren sind weicher und die Uneben 
heiten des Bodens mehr eliminirt. Viele der Gipfel bestehen 
aus Firnmassen, und Felsen treten nur an verhältnißmüßig 
wenig Orten zu Tage. Mehrere der Gipfel werden von 
einer transversalen Spalte durchzogen, ein Fall, der in den 
europäischen Alpen viel seltener und überhaupt nie in 
einem solchen Maßstabe vorkommt. Kurz, die Neuseeländi 
schen Alpen tragen einen glacialen Charakter an sich. 
Auch im Unterlaufe unterscheiden sich die neuseeländi 
schen Gletscher von den europäischen. Abgesehen von der 
oben erwähnten, ganz kolossalen Ausdehnung der Moränen 
müssen besonders die wohlansgesprochencn, seitlichen Längs- 
thäler erwähnt werden, welche die Gletscher von den Berg- 
hängen trennen. Diese continuirlichen Längsthüler reichen 
zu beiden Seiten des Tasmangletschers etwa 17 1cm weit 
vom Znngenende hinauf. Ihre Anwesenheit zeigt deutlich, 
daß die laterale Ausbreitung des Gletschers langsamer vor 
sich gehen muß, als die Abschuielzung von den Seiten her. 
Die Vegetationsgrenzc für phancrogame Pflanzen liegt in 
einer Höhe von etwa 1800 m. Wald giebt es am Ostab- 
hange überhaupt nicht, so daß von einer Waldgrenze nicht 
gesprochen werden kann. In den Tiefen, in der Umgebung 
der Gletscherzungen und an den Berghängcn zu den Seiten 
der Thäler, trifft man bis zu einer Höhe von etwa 1200 m 
hinauf ein dichtes Gestrüpp von äußerst dornigen Pflanzen 
an, welches fast undurchdringlich ist. Die interessantesten 
Arten, welche hier massenhaft vorkommen, sind die „wilden 
Irländer" (Discaria toumatoo) und die „Schwertgräser", 
(Aciphylla). Die schönen, regelmäßigen, lichtgrünen 
Aciphylla-Rosetten von äußerst scharfspitzigen, schwertför 
migen Blättern, aus denen mannshohe, strahlige Blüthen- 
schüfte aufragen, charakterisiren diese Zone. 
Nach oben hin macht das Dorngestrüpp niedrigen Wach- 
holdcrbüschen Platz, welche fast bis zur Vegetationsgrenze 
hinaufreichen. 
Die zahlreichen alpinen Blumen zeichnen sich dadurch 
aus, daß sic fast alle weiß sind, so daß angenommen werden 
muß, daß Weiß die Lieblingsfarbe der Neuseeländischen 
Alpen-Jnsekten ist. Ich möchte bemerken, daß Edelweiß — 
eilte unserem Gnaphalium leontopodium überaus ähnliche 
Form (Gnaphalium grandiceus) —in den Neuseeländischen 
Alpen sehr häufig ist. Ueber die Art herrscht einiger Zweifel, 
und nachdem ich am Britischen Museum in London die alpinen 
Gnaphalium-Arten durchgesehen habe, bin ich zu der Ansicht 
gelangt, daß das neuseeländische Edelweiß eigentlich nur eine 
locale Varietät des europäischen ist. 
Die auffallende Stachligkeit der subalpinen Pflanzen in 
den Neuseeländischen Alpen scheint um so paradoxer, da 
es gegenwärtig gar kein Thier in Neuseeland giebt, welches 
denselben etwa nachstellen möchte oder könnte. Es ist 
höchst wahrscheinlich, daß diese Pflanzen ihre Dornen und 
Stacheln seiner Zeit zur Abwehr gegen die Riesenvögel — 
Moas — angelegt haben, welche zur Glacialzeit und auch 
wohl noch später in Neuseeland hausten. Die Riesenvögel 
sind nun vor dem vordringenden Maori verschwunden, 
allein die Wehr, welche die Pflanzen gegen die pflanzen 
fressenden Moavögel im Laufe der Zeit durch Zuchtwahl 
angelegt hatten, ist geblieben. 
Die Fauna der Neuseeländischen Alpen ist sehr arm. 
Größere Vierfüßler giebt es in Neuseeland überhaupt nicht, 
und auch die Vögel gehen nicht hoch ins Gebirge hinauf. 
Große Papageien (Xostor notahilm), einige Entenarten 
und ein flügelloser Sumpfvogel (0cydromn8 aimtralm) 
sind in der Region der stachligen Gesträuche recht häufig. 
Obwohl nun das neuseeländische Gebirge an sich recht 
großartig ist, so verliert es doch sehr an Schönheit dadurch, 
daß das Vorland so öde und waldlos ist. 
In den europäischen Alpen entzückt uns die Wildheit 
der Gletscher und Felswände, weil sie zu der weichlichen 
Kultur der nächsten Umgebung einen so scharfen Gegensatz 
bietet. Der gewaltige Kontrast erhöht sowohl die Schönheit 
der wilden Gebirge, als auch diejenige der fruchtbaren, 
wohl kultivirten Thäler. In Neuseeland fehlt dieser 
Kontrast ganz: alles ist gleich wild und öde, von Kultur 
ist nirgends eine Spur, und die wenigen Hirten-Hütten, 
welche in der Umgebung des Gebirges angetroffen werden, 
zeigen am deutlichsten den Mangel an Civilisation. Ich 
muß also jedenfalls den europäischen, gegenüber den Neusee 
ländischen Alpen, den Preis der Schönheit zuerkennen. — 
Nach dieser allgemeinen Beschreibung will ich drei An 
sichten in den Neuseeländischen Alpen näher beschreiben, 
welche sich bieten, wenn man durch das Tasmanthal zum 
Hauptkamme vordringt I. 
Wenn man etwa 12 km unterhalb des Tasmangletscher- 
Endes am Fuße des östlichen Thalhauges etwa 650 m 
hoch steht (wir kampirten an dieser Stelle eine Woche), so 
ist man von Rundhöckern — durch den vorhistorischen, viel 
größeren Tasmangletscher der Eiszeit polirte Felsen — 
umgeben, zwischen denen die schmalen Blätter der Schwert 
gräser (Aciphylla) und die lederartigen kelchförmigen 
Blätter des Ranunculus Lyelli hcrvorwachsen. Der Berges 
hang taucht plötzlich in das weite, flache und ebene Thal 
hinab, das von dem vielfach verzweigten und netzbildenden 
Abfluß des Tasmangletschers durchzogen wird. 
Im Thalhintergrund sieht man die Endmoräne des 
Tasmangletschers (etwa 700 m). Links davon liegt der 
Hauptkamm. Der vorgeschobene, scharfspitzige Mount Cook 
(3768 m) sieht sehr imposant aus. Nach rechts hin 
können wir den Hauptkamm über die breite Haidinger-Spitze 
(3084 m) und die scharfe Kant-Spitze (2908 in) bis zur 
Kronprinz-Rudolph-Spitze (2924 m) verfolgen. Die vom 
Hauptkamme nach Osten zum Tasmangletscher herab 
ziehenden Nebenkümme liegen coulissenartig hinter einander. 
Wenn man einen dieser Kämme ersteigt, etwa jenen, wel 
cher die vom Hauptkamme zum Tasmangletscher herabziehenden 
sekundären Linda- und Hochstetter-Gletscher trennt, so gewinnt 
man von einer kleinen 2098 m hohen Spitze in demselben 
einen prächtigen Anblick der Umrandung des oberen Tasman 
gletschers. Wir brachten aus diesem Grate zwei Nächte 
zu. (S. Abbildung 2.) Zu den Füßen des Beschauers 
zieht der mächtige 3^ hm breite Tasmangletscher zu Thal 
und wir bemerken auf demselben mehrere Moränen, unter * 1 
i) Die Abbildungen 1 und 2 sind sehr genau von meinen 
photographischen Ausnahmen kvpirt. Die Lage der wichtigsten 
Punkte ist durch Berechnung nach meinen Theodolitmessungen 
1 bestimmt.
	        
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