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Richard Andrec: Die Flutsagen.
Seil gefesselt wird. Zn der Bibel fehlt er. Laßt man ein
solches einzelnes Argument als kräftig genug gelten, um
Entlehnung festzustellen, so ist ein Zusammenhang bei den
Flutsagen der Inder, der Kamtschadalcn, der Wogulen, der
Pelauinsulaner, der Twana und Arawaken vorhanden, bei
denen allen das fesselnde Seil von Wichtigkeit. Es ist so
natürlich wie eine auf Kundschaft entsendete Taube oder das
Stranden des Rettungsschiffes aus hohem Berge.
Gewiß ist es auch ein schwer wiegender Grund gegen
die vermeintliche Universalität der Flutsagen und gegen einen
gemeinsamen Ursprung der letzteren, daß die den Hebräern
benachbarten Völker ohne Kenntnis derselben waren. Bei
den Arabern findet sich nichts, was aus eine Flutsage hin
deutet, trotzdeni sie Semiten und die nächsten Nachbaren der
Babylonier und Hebräer sind. Sie weichen in mytholo
gischer Beziehung überhaupt stark von den Nordsemiten ab,
und ihre Götterwelt, vor dem Auftreten Mohammeds, ist
eine durchaus andre, als jene der übrigen Semiten.
Das gewöhnlich nach Regen lechzende und nichts weniger
als zu Überschwemmungen geneigte Eran macht von vorn
herein die Übertragung der Flutsage vom vorderasiatischen
Boden dorthin unwahrscheinlich. Trotzdem wollen ver
schiedene Gelehrte gefunden haben, daß die große Flutkata
strophe der Genesis im Avesta wiederzufinden sei, eine An
sicht, welcher Friedrich Spiegel nicht beipflichtet. In
einer Erzählung des Bnndchesch kommt allerdings eine Flut
sage vor, die jedoch keinerlei Analogie mit dem biblischen
Bericht bietet.
Auch die südwestlichen Nachbaren der Hebräer, die Ägypter,
besitzen keine Flutsage. Ihr fast regenloses Land weist
dieses schon ab. Lauth will allerdings eine ägyptische Flut-
sage gesunden haben; es ist dieses eine hieroglyphische In
schrift „Die neue Weltordnung nach Vernichtung des sündigen
Menschengeschlechts", welche sich in einer kleinen Kammer
beim Königsgrabe des Pharao Scti I. (um 1350 vor Chr.)
in Theben befindet und die H. Brugsch unter diesem Titel
herausgegeben hat. Gerade aber diese Sage von der Ver
nichtung des Menschengeschlechts infolge seiner Sündhaftigkeit
giebt dem Texte eine besondere Bedeutung, da sie unwillkür
lich an die biblische Überlieferung von der Vertilgung des
sündhaften Menschengeschlechts erinnert. Hier wie da die
Vorstellung von einem göttlichen Strafgerichte, das nur die
Auserwählten dem allgemeinen Untergange entzog. Sonst
bewegt sich die ägyptische Überlieferung nur in dem cng-
bcgrenzten Nahmen mythologischer Vorstellungen, und es ist
auch, außer den angeführten Übereinstimmungen, nicht ein
einziger weiterer Zug in ihr vorhanden, welcher eine Ver
gleichung mit der biblischen Überlieferung gestattet. Nament
lich ist von einer Wasserflut in ihr durchaus nicht die Rede.
Bei den nächsten Nachbaren der Hebräer und Babylonier
ist also die Flutsage nicht vorhanden.
Der Einfluß der chaldäisch-hebräischen Flutsage auf die
Völker der Erde ist aber ein gewaltiger gewesen, und er ist
da um so stärker geworden, wo er an ursprünglich Vor
handenes sich anlehnen konnte. Es zeigt sich dieses so recht
in Amerika. In diesem weit ausgedehnten Gebiete dürfen
wir das Vorhandensein echter und ursprünglicher Flutsagen
annehmen; doch diese haben sich nur teilweise rein erhalten,
andre zeigen die originalen Formen bloß bruchstückweise, bei
sehr vielen zeigt sich eine Vermischung mit Elementen der
vorderasiatischen Sage, ja diese tritt hier und da ganz in
den Vordergrund, nur mit einem heimischen Mäntelchen ver
sehen. Es ist ein weiter und langer Weg, den die vorder
asiatische Sage durch die Jahrtausende, die Geschlechter und
Völker zurückgelegt hat, bei denen sie mit zäher Lebenskraft
sich stets wieder verjüngte, ein Weg, wie er kaum noch cin-
mal bei einem menschlichen Geisteserzeugnisse sich verfolgen
läßt. Viertausend Jahre liegen zwischen den in Sardana-
pals Palastbibliothek einst aufbewahrten Keilinschrifttafeln
und den von ihnen beeinflußten Erzählungen, wie sic heute
noch im Wigwam des Indianers widerhallen.
Betrachten wir nun unter dem Gesichtspunkte der chal
däisch-hebräischen Beeinflussung die oben mitgeteilten Flut-
sagen, so lassen dieselben sich in echte und beeinflußte scheiden.
Das letztere ist in sehr verschiedenem Grade, der Fall ge
wesen; oft sind in die ursprünglich vorhandene, echte heimische
Überlieferung nur wenige Züge des vorderasiatischen Be
richtes aufgenommen worden, oft auch mehren sich diese und
der heimische Urquell versiegt, so daß schließlich manchmal
nur die biblische Sage in einem fremden Gewände vor uns
steht und es schwer zu entscheiden ist, ob überhaupt eine
ursprünglich echte Fassung der Flutsagen vorhanden war.
Eine Aussonderung habe ich in meiner Schrift versucht.
Namentlich machen sich die Einflüsse des biblischen Berichtes,
getragen von Missionaren, unter den amerikanischen In
dianern geltend, so daß eine Aussonderung schwer wird.
Ich gebe hier, als ein Beispiel, die Flutsage der Algonquins
wieder, in welcher die Zerstörung der Welt durch Wasser
fluten einem bösen Geiste (der Schlange) zugeschrieben wird.
Er steht im Gegensatze zu Manabozho (Mcnaboschn), einem
mächtigen Halbgotte. Die Bilderschrift dieser Erzählung
mit indianischer Erklärung und wörtlicher englischer Über
setzung wiederhole ich hier nach Squicr ans der beigefügten
Tafel. Danach ergiebt sich folgende Umschreibung:
1. „Es ist lange her, da kam die mächtige Schlange
(Maskanako), als die Menschen schlecht geworden waren.
2. Die starke Schlange war der Feind der Geschöpfe
und sie wurden verwirrt und haßten sich untereinander.
3. Dann kämpften sie und vernichteten sich untereinander
und hielten keinen Frieden. 4. Und die kleinen Menschen
(Mattapewi) kämpften mit dem Hüter der Toten (Nihanlowit).
5. Da beschloß die starke Schlange, sogleich alle Menschen
und Geschöpfe zu zerstören. 6. Sie brachte die schwarze
Schlange und Ungeheuer und rauschende Gewässer. 7. Die
rauschenden Gewässer breiteten sich aus über die Berge,
überall hin, alles zerstörend. 8. Ans dem Schildkröten
eiland (Tula) war Manabozho, der Großvater von Menschen
und Geschöpfen. 9. Kriechend geboren, kann er auf
Schildkröteneiland sich bewegen und wohnen. 10. Die
Menschen und Geschöpfe fluten auf den Wassern umher und
suchen überall nach dem Rücken der Schildkröte (Tulapin).
11. Der Seeungcheuer waren viele und sie zerstörten viele
(der Menschen). 12. Dann half ihnen die Tochter eincs
Geistes in ein Boot und alle vereinigt riefen: Kommt,
helft! 13. Manabozho, der Großvater aller Geschöpfe,
der Menschen und Schildkröten. 14. Alle zusammen, ans
der Schildkröte dort, die Menschen dort, waren alle zu
sammen. 15. Sehr erschreckt bat Manabozho die Schild
kröte, daß er alle wieder herstellen wolle. 16. Dann
verliefen sich die Wasser, cs ward trocken ans Berg und
Ebene und der große Böse ging anderswo hin auf dem
Höhlenpfade."
Mit der biblischen Flutgeschichte stimmt höchstens das
Boot (Fig. 12), das ganz unvermittelt hier erscheint und
aus Missionseinslüsse. zurückgehen kann.
Die Ursachen großer Fluten, welche verheerend weite
Landstrecken überschwemmen, sind sehr mannigfacher Art,
doch spielt dabei der Regen eine untergeordnete Rolle, da er
nie ein gewisses Maß überschreitet und, dem Gefälle der
Thäler folgend, mehr oder weniger schnell abfließt; ebenso
verlieren sich die oft gewaltigen Fluten verheerender Ströme
nach kurzer Zeit und bleiben meist räumlich beschränkt.
Diese ^Naturereignisse sind klein im Verhältnis zu den
mächtigen Fluten, die durch Wirbelstürme oder in noch