Aus allen Erdleileu
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höherem Maße durch Erdbeben veranlaßt werden, worüber
wir Zusammenstellungen von Eduard Süs besitzen.
Die Erdbebenfluten sind es, welche die größten zer
störenden Überschwemmungen hervorrufen, und zwar durch
das in Aufregung versetzte Meer, welches flache Küsten
striche und Inseln verheert. Daß sie ganz entschieden in
der Überlieferung der von ihnen betroffenen Böller haften
und fagenbildend wirken, ergiebt sich ans mehreren der
gesammelten Flutsagen. Es ist gerade die an Erdbeben
sinten reiche Westküste des amerikanischen Festlandes, wo
ich sie nachweisen kann. Sie beginnen im Norden mit der
Sage der Eskimo der Prinz Wales-Halbinsel, sind deutlich
erkennbar in den Überlieferungen der Makah und Washo,
wiederholen sieh in Peru und endigen im Süden bei den
Araukanern.
Treffen wir Flutsagen im Inneren eines Landes, in
hohen bergigen Gegenden, so ist zu prüfen, welche Ursachen
hier zu Grunde liegen oder ob sie eingewandert sind. Es
kann nämlich ein örtliches Ereignis, wie eine unter besondern
Umständen stattfindende Flußüberschwemmung, zu Flut-
traditionen Anlaß bieten, während regelmäßig wiederkehrende
Überflutungen, die als bekannt zu bestimmten Jahreszeiten
erwartet werden, keine Ursache werden, daß daraus sich eine
Überlieferung bildet. Die periodische Nilschwelle oder das
gewaltige Anschwellen der abessinischen Ströme hat zu keinen
Flutsagen Anlaß gegeben. Aber der Durchbruch des Rio
Funza ans der Hochebene von Santa Fü de Bogota, der in
der Erinnerung hastete, oder dem die Eingeborenen die
natürlichen Verhältnisse absahen, wirkte mythenbildend und
gab einer echten Flutsage das Dasein. Aus Durchbrüche
von Seen deuten auch die in Tibet und Kaschmir umlaufenden
Flulsagen. Ganz Ungarn, so lautet eine Sage, war einst
von einem weiten Süßwassersee bedeckt, der erst später durch
das eiserne Thor seinen Abfluß fand. Die Geologen be
streiten nicht die Möglichkeit solchen Ereignisses und daher
kann die Sage von der einstigen Überschwemmung des Landes
auch hier angeknüpft sein.
Es gehören weiter hierher die bekannten Überflutungen
des Hoangho in Ehina, die Bildung des Thales Tempe,
durch eine von Poseidon bewirkte Erderschütterung, wodurch
die Thessalien bedeckenden Gewässer ihren Abfluß erhielten.
Fernere Veranlassung zu Sagen, daß einst das Meer
bis zu den höchsten Berggipfeln das Land überschwemmt
und alles darauf Befindliche zerstört habe, gaben die Ver
steinerungen, welche selbst dem Auge der Naturvölker
nicht entgingen. Aus Samoa wurde allgemein geglaubt,
daß einst da, wo jetzt sich Land erhebt, die Fische schwammen;
als die Wasser sich verliefen, blieben viele Fische zurück und
wurden in Stein verwandelt. Franz Boas fand dieselbe
Anschauung bei den Zentral-Eskimo, was der alte Cranz
schon von den Grönländern berichtete. Die Flntsage der
Gesellschaftsinsulaner beruft sich auch aus die Farero, die
versteinerten Korallen und Muscheln ans den hohen Bergen,
welche nur bei der großen Flut dorthin gelangt sein konnten.
Noch sind die Cyklone oder Wirbelstürme mit ihren
hohen Wasserfluten und verheerenden Wirkungen, wie sie
namentlich in Ost- und Westindien auftreten, als Ursachen
von Finten zu betrachten, welche in der Erinnerung hasten
und zu Flutsagen Anlaß geben. Aut ihren ungeheuren
Flutsolgen sind sie wohl dazu geeignet, daß daraus die Sage
eine Sündslut gestaltete, zumal wenn ein solches Ereignis
über ein dünnbevölkertes Land hereinbricht, aus dem nur'
wenige Menschen sich retteten. Diese konnten dann leicht
im Wahne sein, die einzig Überlebenden zu sein, welche nun
„die Erde" wieder bevölkerten, das örtliche Ereignis als ein
allgemeines betrachteten und die Überlieferung davon kommen
den Geschlechtern mitteilten.
Die Erdbebensinten mit ihren verheerenden Wirkungen,
örtliche Ereignisse, wie der beobachtete Durchbruch von Flüssen,
die Betrachtung der aus dem Festlande gefundenen Ver
steinerungen von Meerestieren, die Wirbelstürme mit den
sie begleitenden Finten, diese also sind Ursachen, welche zu
den Flutsagen Anlaß geben konnten und gegeben haben, so
weit solche nicht kosmogonischer Art sind. Die weite Ver
breitung solcher wirkenden Ursachen über die Erde läßt aber
bereits den Schluß zu, daß es sich bei den Traditionen von
Finten nicht um eine einzige handelt, sondern daß ganz
naturgemäß bei vielen Völkern Flutsagen entstehen mußten.
Aus allen
— Über die angebliche Leichtigkeit des Gebärens j
bei den Naturvölkern hielt in der Sitzung des Anthro
pologischen Vereins München am 20. Februar Geheimrat
Winckel, Direktor des Gebürhanses, einen Vortrag. Er
Zeigte, daß die Beobachtungen einzelner Reisenden nur durch
falsche Generalisierung der Ansnahmefälle diesen Schluß
ermöglichen. Der regelmäßige Verlauf sei in allen Kultur
stufen der gleiche. Auch in Deutschland oder Frankreich sei
ärztliche Hilfe nur in sehr wenigen Fällen (etwa 1 von 100)
wirklich nötig, sonst nur Mißbrauch. Ebenso sei die angeb
liche Verengerung des Beckens bei Kulturvölkern, wie sie
auch von den Japanerinnen der oberen Stände behauptet
worden, überaus selten. Andrerseits sei auch bei den soge
nannten Natllrvölkern die Hilfeleistung andrer Frauen Regel.
Auch die vielfach festgestellte Gewohnheit der Abtreibung
oder erstrebten Fehlgeburt gehöre dazu. Leichte, rasche und
anscheinend schmerzlose Geburten, ja solche, die ganz uner
wartet in voller Öffentlichkeit, in Pferdebahnwagen, auf der
Straße n. s. w. vor sich gegangen wären, worüber eine Liste
vorgelegt wurde, könnten von fremden Beobachtern ebenso
irrtümlich verallgemeinert werden, als ob in Deutschland
die Geburt ungeschent im Freien vor sich ginge. Über den
Erdteile n.
Punkt der Kraftleistung in und nach der Geburt, die der
Vortragende durch mehrere Fälle als gleich bei sogenannten
Kulturvölkern und Naturvölkern erwies, konnte der anwesende
Dr. Hösler von Tölz die merkwürdige Thatsache beibringen,
daß in der Jachenan, einem einsamen Thale östlich des
Walchensees, nach seinen Forschungen bis 1847 die Geburt
in kauernder Stellung — außerhalb des Bettes — die Regel
war. Der Bortrag wird bei seiner Veröffentlichung sicher
beachtet werden. Sch.
— Lesbos und Thasos. Der französische Geologe
de Launay, Professor an der Pariser Bergschule, hat die
Inseln Thasos icud Lesbos besucht und geologische Karten
derselben entworfen. Eine besondere Aufmerksamkeit widmete
er dem Vorkommen von Metallen, den schon im Altertum
bekannten heißen Quellen und den Erdbeben. Die Marmor
brüche von Thasos wurden im Altertum stark abgebaut. De
Launay hat auf Thasos viele alte Schutt- und Schlackeu-
halden nachgewiesen, die jenen gleichen, die man jetzt bei
Laurinm (Attika) wieder ansbentet. Herodot spricht von
Goldminen anf Thasos. Aber weder Parrot, der 1862 da
nach forschte, noch de Launay konnten Spuren davon auffinden.