Skip to main content
Page Banner

Full Text: Globus, 59/60.1891

Aus allen Erdleileu 
191 
höherem Maße durch Erdbeben veranlaßt werden, worüber 
wir Zusammenstellungen von Eduard Süs besitzen. 
Die Erdbebenfluten sind es, welche die größten zer 
störenden Überschwemmungen hervorrufen, und zwar durch 
das in Aufregung versetzte Meer, welches flache Küsten 
striche und Inseln verheert. Daß sie ganz entschieden in 
der Überlieferung der von ihnen betroffenen Böller haften 
und fagenbildend wirken, ergiebt sich ans mehreren der 
gesammelten Flutsagen. Es ist gerade die an Erdbeben 
sinten reiche Westküste des amerikanischen Festlandes, wo 
ich sie nachweisen kann. Sie beginnen im Norden mit der 
Sage der Eskimo der Prinz Wales-Halbinsel, sind deutlich 
erkennbar in den Überlieferungen der Makah und Washo, 
wiederholen sieh in Peru und endigen im Süden bei den 
Araukanern. 
Treffen wir Flutsagen im Inneren eines Landes, in 
hohen bergigen Gegenden, so ist zu prüfen, welche Ursachen 
hier zu Grunde liegen oder ob sie eingewandert sind. Es 
kann nämlich ein örtliches Ereignis, wie eine unter besondern 
Umständen stattfindende Flußüberschwemmung, zu Flut- 
traditionen Anlaß bieten, während regelmäßig wiederkehrende 
Überflutungen, die als bekannt zu bestimmten Jahreszeiten 
erwartet werden, keine Ursache werden, daß daraus sich eine 
Überlieferung bildet. Die periodische Nilschwelle oder das 
gewaltige Anschwellen der abessinischen Ströme hat zu keinen 
Flutsagen Anlaß gegeben. Aber der Durchbruch des Rio 
Funza ans der Hochebene von Santa Fü de Bogota, der in 
der Erinnerung hastete, oder dem die Eingeborenen die 
natürlichen Verhältnisse absahen, wirkte mythenbildend und 
gab einer echten Flutsage das Dasein. Aus Durchbrüche 
von Seen deuten auch die in Tibet und Kaschmir umlaufenden 
Flulsagen. Ganz Ungarn, so lautet eine Sage, war einst 
von einem weiten Süßwassersee bedeckt, der erst später durch 
das eiserne Thor seinen Abfluß fand. Die Geologen be 
streiten nicht die Möglichkeit solchen Ereignisses und daher 
kann die Sage von der einstigen Überschwemmung des Landes 
auch hier angeknüpft sein. 
Es gehören weiter hierher die bekannten Überflutungen 
des Hoangho in Ehina, die Bildung des Thales Tempe, 
durch eine von Poseidon bewirkte Erderschütterung, wodurch 
die Thessalien bedeckenden Gewässer ihren Abfluß erhielten. 
Fernere Veranlassung zu Sagen, daß einst das Meer 
bis zu den höchsten Berggipfeln das Land überschwemmt 
und alles darauf Befindliche zerstört habe, gaben die Ver 
steinerungen, welche selbst dem Auge der Naturvölker 
nicht entgingen. Aus Samoa wurde allgemein geglaubt, 
daß einst da, wo jetzt sich Land erhebt, die Fische schwammen; 
als die Wasser sich verliefen, blieben viele Fische zurück und 
wurden in Stein verwandelt. Franz Boas fand dieselbe 
Anschauung bei den Zentral-Eskimo, was der alte Cranz 
schon von den Grönländern berichtete. Die Flntsage der 
Gesellschaftsinsulaner beruft sich auch aus die Farero, die 
versteinerten Korallen und Muscheln ans den hohen Bergen, 
welche nur bei der großen Flut dorthin gelangt sein konnten. 
Noch sind die Cyklone oder Wirbelstürme mit ihren 
hohen Wasserfluten und verheerenden Wirkungen, wie sie 
namentlich in Ost- und Westindien auftreten, als Ursachen 
von Finten zu betrachten, welche in der Erinnerung hasten 
und zu Flutsagen Anlaß geben. Aut ihren ungeheuren 
Flutsolgen sind sie wohl dazu geeignet, daß daraus die Sage 
eine Sündslut gestaltete, zumal wenn ein solches Ereignis 
über ein dünnbevölkertes Land hereinbricht, aus dem nur' 
wenige Menschen sich retteten. Diese konnten dann leicht 
im Wahne sein, die einzig Überlebenden zu sein, welche nun 
„die Erde" wieder bevölkerten, das örtliche Ereignis als ein 
allgemeines betrachteten und die Überlieferung davon kommen 
den Geschlechtern mitteilten. 
Die Erdbebensinten mit ihren verheerenden Wirkungen, 
örtliche Ereignisse, wie der beobachtete Durchbruch von Flüssen, 
die Betrachtung der aus dem Festlande gefundenen Ver 
steinerungen von Meerestieren, die Wirbelstürme mit den 
sie begleitenden Finten, diese also sind Ursachen, welche zu 
den Flutsagen Anlaß geben konnten und gegeben haben, so 
weit solche nicht kosmogonischer Art sind. Die weite Ver 
breitung solcher wirkenden Ursachen über die Erde läßt aber 
bereits den Schluß zu, daß es sich bei den Traditionen von 
Finten nicht um eine einzige handelt, sondern daß ganz 
naturgemäß bei vielen Völkern Flutsagen entstehen mußten. 
Aus allen 
— Über die angebliche Leichtigkeit des Gebärens j 
bei den Naturvölkern hielt in der Sitzung des Anthro 
pologischen Vereins München am 20. Februar Geheimrat 
Winckel, Direktor des Gebürhanses, einen Vortrag. Er 
Zeigte, daß die Beobachtungen einzelner Reisenden nur durch 
falsche Generalisierung der Ansnahmefälle diesen Schluß 
ermöglichen. Der regelmäßige Verlauf sei in allen Kultur 
stufen der gleiche. Auch in Deutschland oder Frankreich sei 
ärztliche Hilfe nur in sehr wenigen Fällen (etwa 1 von 100) 
wirklich nötig, sonst nur Mißbrauch. Ebenso sei die angeb 
liche Verengerung des Beckens bei Kulturvölkern, wie sie 
auch von den Japanerinnen der oberen Stände behauptet 
worden, überaus selten. Andrerseits sei auch bei den soge 
nannten Natllrvölkern die Hilfeleistung andrer Frauen Regel. 
Auch die vielfach festgestellte Gewohnheit der Abtreibung 
oder erstrebten Fehlgeburt gehöre dazu. Leichte, rasche und 
anscheinend schmerzlose Geburten, ja solche, die ganz uner 
wartet in voller Öffentlichkeit, in Pferdebahnwagen, auf der 
Straße n. s. w. vor sich gegangen wären, worüber eine Liste 
vorgelegt wurde, könnten von fremden Beobachtern ebenso 
irrtümlich verallgemeinert werden, als ob in Deutschland 
die Geburt ungeschent im Freien vor sich ginge. Über den 
Erdteile n. 
Punkt der Kraftleistung in und nach der Geburt, die der 
Vortragende durch mehrere Fälle als gleich bei sogenannten 
Kulturvölkern und Naturvölkern erwies, konnte der anwesende 
Dr. Hösler von Tölz die merkwürdige Thatsache beibringen, 
daß in der Jachenan, einem einsamen Thale östlich des 
Walchensees, nach seinen Forschungen bis 1847 die Geburt 
in kauernder Stellung — außerhalb des Bettes — die Regel 
war. Der Bortrag wird bei seiner Veröffentlichung sicher 
beachtet werden. Sch. 
— Lesbos und Thasos. Der französische Geologe 
de Launay, Professor an der Pariser Bergschule, hat die 
Inseln Thasos icud Lesbos besucht und geologische Karten 
derselben entworfen. Eine besondere Aufmerksamkeit widmete 
er dem Vorkommen von Metallen, den schon im Altertum 
bekannten heißen Quellen und den Erdbeben. Die Marmor 
brüche von Thasos wurden im Altertum stark abgebaut. De 
Launay hat auf Thasos viele alte Schutt- und Schlackeu- 
halden nachgewiesen, die jenen gleichen, die man jetzt bei 
Laurinm (Attika) wieder ansbentet. Herodot spricht von 
Goldminen anf Thasos. Aber weder Parrot, der 1862 da 
nach forschte, noch de Launay konnten Spuren davon auffinden.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.