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Aus allen Erdteilen.
Herausgeber: Dr. R. Andrer in Heidelberg. Leopoldstraße 27.
Druck von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig.
— Die B es erm i a n e r im russischen Gouvernement Wjatka
wurden bisher bald zu den Tataren, bald zu den Wotjaken
gezählt. Prof. I. N. Smirnow, der ihre ethnographische
Stellung untersuchte und darüber auf dem russischen Archäo
logenkongresse zu Moskau 1890 Bericht erstattete, kommt in
dessen zu einer abweichenden Ansicht. Die Besermianer
sprechen wotjakisch, ihr Äußeres ist aber türkisch. Die
Wotjaken sind klein, blond, ihre Augen grau, die Hautfarbe
rötlich, die Besermianer dagegen sind schwarzhaarig und
schwarzäugig, von mittelgroßem Wüchse und gelblicher Gesichts
farbe. Ihre Frauen tragen andre Kopftracht und ihre
Stickereien ans Hemden und Röcken sind ganz andre als
bei den Wotjaken. Auch in der Sprache finden sich viele
nicht wotjakische Wörter; so besonders die Bezeichnungen für
Vater, Bruder, Schwager. Der bei den Wotjaken unbekannte
Ahnenkultns findet sich bei den Besermianer«. Daß dieses
Volk auch nicht zu den Tataren gehört, ersieht man daraus,
daß es da, wo es mit diesen gemischt lebt, nicht tatarisch,
sondern wotjakisch redet. Smirnow neigt sich ans diesen
Gründen zu der Ansicht, die Besermianer seien ein türkisches,
wotjakisirtes Volk.
— Schlangenplage ans den Liukiuinseln. Die
Habns (Trimeresurus Riukianus) sind Giftschlangen von
beinahe zwei Meter Länge, die auf den Liukiuinseln viel Un
heil stiften. Sie klettern auf Bäume und leben von Vögeln,
Ratten und Fröschen, werden aber, wie Dr. Marburg auf
der Insel Oschima zu beobachten Gelegenheit fand, den
Menschen sehr gefährlich. Gewöhnlich ist der Biß nach
wenigen Stunden oder höchstens zwei Tagen tödlich; manch
mal soll Lähmung erfolgen. Kleinere Glieder werden meist
nach dem Bisse abgenommen. Jährlich sterben auf jener
Insel etwa 40 Menschen daran, 80 wurden gebissen. Am
Tage der Ankunft Dr. Marburgs starb ein Mann durch
diese Schlange, der tags zuvor von derselben gebissen worden
war. Wie ein Fluch lastet die Plage auf dem Lande, selbst
Dörfer werden verlassen, wo die Habil zil sehr zunimmt. Es
steht eine Belohnung von 10 Sen (= 80 Pfennigen) auf
der Tötung jeder Schlange, aber man merkt kaum eine Ver
minderung. Es giebt zwei Spielarten, die Gold- und
Silbcrhabu, je nachdem die Zeichnung mehr gelb oder weiß
ist. Die Schlange kommt auf allen Liukin vor, fehlt aber
in Japan.
— Die große sibirische Eisenbahn. Nach dreijähriger
Arbeit ist der von der russischen Regierung ernannte Aus-
schuß für den Bau der sibirischen interozeanischen Bahn zu
einem Entschlüsse gelangt. Das zuerst empfohlene System
die großen Wasserlüufe der Kama, des Tobol, Jrtisch, Ob,
Tom, des Amur und Ussuri zu benutzen und dieselben mir
durch einzelne Eisenbahnstrecken miteinander zu verknüpfen,
hat man fallen lassen, wiewohl es das billigste gewesen wäre
>lnd zwar aus dem einfachen Grunde, weil infolge klimatischer
Verhältnisse die Verbindung nur 4 1 / 2 Monate im Jahre
benutzbar gewesen wäre. Auch wären mit diesem kombinierten
Systeme vorzugsweise traurige und öde Gegenden erschlossen,
reiche, znkunftbringende aber vernachlässigt worden. Man
hat sich daher für eine ununterbrochene Eisenbahnlinie ent
schieden und unter verschiedenen Projekten dem nachstehenden
den Vorzug gegeben.
Ausgangspunkt ist Samara an der Wolga, das nach
Westen hin in unnnterbrochencr Verbindung mit Moskau
und Petersburg steht. Nach Osten hin reicht von hier aus
die Bahn über Ufa bis Slatoust am westlichen Abhänge des
Ural. Hier also beginnt der neue Bahnbau mit der kurzen
Uralstrecke bis Miask (32 km), worauf dieselbe über Tsche-
labinsk, Tjukalinsk, Omsk, Kainsk, Tomsk, Mariinsk, Kras
nojarsk nach Nischni-Udinsk geführt wird, im allgemeinen
der bekannten großen Straße folgend. Das ist eine Länge
von 2912 km, durch den bevölkertsten Teil Sibiriens führend
und in Rußland an die fruchtbare Region des Tschcrnosem
anschließend. Die Kosten dieses Teils der Bahn sind auf
236 Millionen Mark veranschlagt.
Nischni-Udinsk an der Uda, nordwestlich von Irkutsk, ist
der Mittelpunkt der ganzen großen Bahn. Die Weiterfüh-
rnng von hier nach dem Osten, nach dem Kriegshafen Wladi
wostok am Stillen Weltmeere, soll folgendermaßen erfolgen:
Nach Irkutsk, von hier nach dem Mweesowsky-Hafen am
Baikalsee, dann nordöstlich über Tschita, Nertschinsk nach
Strjetensk an der Schilka, dem großen Quellflusse des Amur.
Im Thale der Schilka und des Amur geht es abwärs bis
Chabarowka an der Ussurimündung, alsdann in südlicher
Richtung den Ussuri aufwärts und nach Wladiwostok. Diese
zweite große Abteilung der Bahn, von Nischni-Udinsk bis
Wladiwostok wird 7656 km lang, die ganze Bahn von
Minsk bis Wladiwostok danach 10 568km. Die Gesamt
kosten betragen nach dem Anschlage gegen 740 Millionen
Mark. Eine Bahn wie diese, die doppelt so lang wie die
kanadische Pacificbahn ist, kann natürlich nicht in wenigen
Jahren erbaut werden; man rechnet 10 bis 12 Jahre bis zur
Vollendung.
— Agua di Dios in Colombia ist nach einem eng
lischen Konsulatsberichte aus Bogota das Dorf der Aus
sätzigen in jener südamerikanischen Republik. Es liegt
etwa 460 m hoch und gilt als ungewöhnlich gesund. Die
Zahl der Aussätzigen, die hierher gebracht sind, beträgt 520;
sic machen den dritten Teil der Ortsbevölkerung ans und
verkehren mit den Gesunden ungehindert, ja heiraten vielfach
mit denselben, wie der englische Konsul Wheeler hervorhebt,
ohne daß dabei eine Ansteckung erfolgt. Dagegen sind die
aus solchen Ehen stammenden Kinder fast durchweg leprös.
— Russische Ansiedelnng an der Anadyrmündnng
(Sibirien). Vor einiger Zeit sind in St. Petersburg Nach
richten über den Dr. L. F. Grinewetzki eingelaufen. Dr.
Grinewetzki hat sich im Sommer 1889 als Jspravnik
(eigentlich Chef der Landpolizei) in den Anadyr-Bezirk an
das nordöstliche Ufer des Eismeeres begeben. In Begleitung
eines Gehilfen und mit 10 Kosaken hat er glücklich die Anadyr-
mündung erreicht und daselbst in einer völlig unbewohnten
Gegend eine Niederlassung Neu-Mariinsk gegründet. Im
Jahre 1890 ist ein Missionar mit einigen russischen An
siedlern aus Makarjewsk zu Grinewetzki gekommen. Den
Winter 1890—91 beabsichtigten die Erforscher jener Gegend
in der Ansiedelung zu verbringen, im Sommer 1891 aber
soll mit der Untersuchung des Gebietes begonnen werden.
(Nvwoje Wrjemä.)
— Der Hafen von Saloniki steht in Gefahr zu ver
sanden. Seine Bucht wird durch die immer mehr sich vor
schiebenden Alluvionen des Wardar allmählich vom Meere
abgeschlossen und damit das Dasein Salonikis als Hafenort
bedroht. Schon jetzt ist die Spitze des Wardardeltas nur
noch 6 km von dem gegenüberliegenden Kap Kara-Burun
entfernt und die Einfahrt durch Sandbänke sehr erschwert;
denn Wardar und Wistritza schütten große Massen von Ab
lagerungen in den Golf. Wegen der Verbindung Salonikis
mit dem österreichischen Bahnnetze ist diese Versandung von
praktischer Bedeutung. (Mitt. Wiener Geogr. Ges.)