Skip to main content
Page Banner

Full Text: Globus, 59/60.1891

Bd. TJX. 
Nr. 13 
Braunschwei g. 
Jährlich 2 Bände in 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten 
zum Preise von 12 Mark sür den Band zu beziehen. 
1891 . 
Anthropologie und Geschichte. 
Dem Dr. F. Guntrain Schultheiß. 
I. 
Im berechtigten Stolz unantastbarer Selbständigkeit blickt 
die heutige deutsche Geschichtswissenschaft auf die Zeiten 
zurück, da nacheinander Theologie, Reichs- und Staatsrecht, 
Philosophie die Bornumdschaft über die Geschichte in Anspruch 
nehmen durften. Nur mit der Philologie hat die kritische 
Geschichtsforschung engere Fühlung hinsichtlich der Behand 
lung der Onellenüberliefernng behalten. Zwar das an 
fängliche Programm der Beschränkung, nur zu erzählen, wie 
die Kriege geschehen feien, und dafür ausschließlich ans die 
Berichte Mithandelnder zurückzugehen, blieb seinem Urheber 
keine Fessel der Reflexion; es galt auch zunächst für die 
neueren Zeiten und für die rein politische Geschichte. Ein 
gefeierter Geschichtschreiber nennt diese die Königin der 
historischen Wissenschaften, denn der Staat sei schließlich der 
Bestimmende, mehr als Entdeckungen oder Erfindungen. 
Immerhin dürfte somit andern historischen Wissens 
zweigen nicht die Daseinsberechtigung, nur die Ranggleichheit 
bestritten fein; und wenn die kritische Geschichtsforschung sich 
auf die Feststellung der Ereignisse und Zustände beschränken 
will, so scheint sie die Erklärung, die Antwort auf Wie? 
und Warum? jenen zu überlassen, da nun doch einmal die 
exakte und objektive Erzählung nicht alle geistigen Bedürf 
nisse befriedigt. 
Zwar die Philosophie der Geschichte, die gern mit einem 
Endzweck derselben oder mit einem Erziehungsplan der 
Menschheit anhob, ist der Mißachtung verfallen. Hingegen 
die Kulturgeschichte, gleichfalls aus der Berührung der 
Philosophie mit der Geschichte entsprossen, hat sich von 
Voltaire und Herder an fortgesetzt, auf mannigfache Gebiete 
sich verzweigend oder mit der Naturwissenschaft sich vcr- 
fchwistcrnd. Aus den Anregungen der vergleichenden Sprach 
wissenschaft und der Philosophie ist die Völkerpsychologie 
hervorgegangen; soweit ihr als Ziel vorschwebt, die Völker 
als psychische Einheiten zu erfassen, lehrt sie aus ihren 
Eigenschaften ihre Geschicke begreifen. 
Auch die Anthropologie, nach Namen und einzelnen 
Elementen älter als selbständiger Wissenszweig, hat mancherlei 
Berührungen mit der Geschichte. Ihr fällt das Gebiet der 
Globus MX. Nr. 13. 
Urgeschichte zu. Zwar das spärliche Licht, das die Funde 
auf Industrie und Sitte verschollener Ansiedelungen werfen, 
kommt zunächst der Geschichte der menschlichen Kultur zu 
gute; die politische Geschichte kann sich geringschätzig von 
diesen dunkeln Gebieten wegwenden, aber eine weiter aus 
greifende Volksgeschichte sollte es nicht thun. Sie hat die 
große Entdeckung der Sprachwissenschaft von uralter Ge 
meinschaft der arisch redenden Völker angenommen, die 
Hypothesen von Einwanderung der Germanen oder Kelten 
aus Asien verzeichnet, so müssen ihr auch die Ergebnisse der 
Forschung über die ältesten Bewohner unsres Erdteils, 
über die Urrassen, über ihr Verhältnis zu den geschichtlichen 
Völkern willkommen sein. 
Epochemachend wirkte für das Verhältnis der Anthro 
pologie zur Ethnographie und Geschichte die Einteilung der 
menschlichen Rassen nach dem Schädelban. Weder die An 
nahme der alttestamentlichen Genealogie der Sem, Ham und 
Japhet, noch die am weitesten verbreitete Klassifikation 
Blnmenbachs, die, unter dem Einfluß der Sprachfamilie 
stehend, eigentlich von vornherein auf naturgeschichtlich 
brauchbare Definition verzichtete, noch manche andre konnte 
festen Boden geben. Erst die Einteilung in Lang- und 
Knrzköpfe, mit einer Zwischenform der Mittelköpfe und 
einigen Unterabteilungen entsprach dem Bedürfnis der 
Klassifikation und beherrscht, soweit zu sehen ist, jetzt die 
Forschung. Sie bietet ja auch den Vorteil, Schädelfunde aus 
vorgeschichtlicher und geschichtlicher Zeit einreihen zu können. 
Die emsig betriebene Schädelmessung hat uns eben That 
sachen ergeben, die für die Völkergeschichte von größter Be 
deutung sind. Der Unterschied der körperlichen Erscheinung 
der heutigen Bevölkerung, besonders des südlichen Deutsch 
lands von der der alten Germanen, wie sie geschichtlich 
überliefert ist, fiel ja auch schon früher gelegentlicher Beob 
achtung ans. Tie anthropologischen Untersuchungen haben 
die genauesten Nachweise geliefert, daß die alten Germanen 
langköpsig und groß, die heutigen Deutschen überwiegend 
knrzköpfig und klein sind, daß sie ebenso dunkelhaarig sind, 
während jene als blond gelten müssen, daß mit einem Wort 
25
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.