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Dr. F. Guntram Schultheiß:
Anthropologie und Geschichte.
ein Unterschied der Rasse vorliegt, wenigstens in vielen Teilen
des heutigen Deutschlands. Die Verhältniszahlen sind vielfach
geradezu überraschend auch für den, der eine Vermischung
der alten Germanen oder ihrer Nachkommen mit Bevölkerungs
teilen fremder Herkunft von vornherein zugiebt. In dieser
gewöhnlichen Annahme, wenn man beispielsweise in Deutsch
land keltische Überreste sich denkt, geht man freilich ganz
über die Frage hinweg, ob denn nur bloß die Germanen
innerhalb der Jndogermanen groß und blond gewesen seien,
so daß sie den Römern und Griechen als antochthone Rasse
erscheinen konnten. Beit am ersten machte von Holder für
Württemberg darauf aufmerksam, daß die rund- und kurz-
köpfige Bevölkerung — man hatte sa wohl gelegentlich von
Bauernschädeln gesprochen — von andrer Abkunft sein
müsse als die, deren langgestreckter Hinterkopf sie als Nach-
kommen der echten Germanen kennzeichne. Er nannte die
erstere damals ligurischen Typus und schrieb ihn der Nach
wirkung römischer Kolonisation zu. Später nannte er die
Kurzköpfe noch bezeichnender Turanier, in demselben Sinne
ward in Frankreich der Name der Mongoloiden üblich. Auch
dort ward der Unterschied der kleinen, knrzköpfigen, dunkel
farbigen Bevölkerung, die heute weitaus vorherrscht, von
den alten Galliern, die sich nach der Schilderung klassischer
Schriftsteller anthropologisch den Germanen an die Seite
stellen, als Verschiedenheit der Rasse aufgefaßt. Schon
Hupley hatte bemerkt, daß zu einer Sonderstellung der
mitteleuropäischen Kurzköpfe gegenüber der slavisch-mongo
lischen Völkermasse kaum Grund sei. Für Deutschland konnte
man an vorgermanische Bevölkerung, an mitgebrachte Sklaven,
an spätere Kriegsgefangene, an die Nachwirkung von fremden
Kriegszügen, von den Hunnen und Magyaren bis zum
30 jährigen Kriege denken, oder aber Einflüsse kombinieren. Für
Tirol hatte ja Ludwig Steub die Fortdauer rhätischcr Reste
bis ins deutsche Mittelalter verfochten, besonders nach den
seltsamen Ortsnamen; das Zurückbleiben von Resten romani-
sierter Provinzialen ist ähnlich für Bayern und besonders
für das Salzburgische durch Ortsnamen und andre Spuren
erwiesen, neuerdings auch für den Schwarzwald. Es sind
eben nicht Römer, sondern vorrömische Reste. Aber ein
Mehr als spärliche Reste ist weder nachzuweisen, noch auch
wahrscheinlich bei der Art der Ansiedelung.
Aber auch sonst bedeutet das Verschwinden der Langköpfe,
besonders aus der jetzigen Bevölkerung Süddeutschlands, und
die Abnahme der Blondheit für die historische Völkerkunde
ein Problem. Für Bayern hat Ranke den Anteil der Lang
köpfe an der alten Bevölkerung als die Hälfte, den der
Mittelköpfe auf vier Zehntel berechnet; jetzt sind der ersteren
1 Proz., der zweiten 16 Proz., während die Kurzköpfe von
etwa 10 Proz. auf 83 Proz. gewachsen sind. Blonde sind
es noch 20 Proz. In Norddeutschland nach Virchows
Ermittelung zwischen 43 und 33 Proz. Für Niederösterreich
giebt Zuckerkandl als den ehemaligen Anteil der Lang
köpfe 66,7 Proz., jetzt 4,6 Proz., der Kurzköpfe ehemals
4 Proz., jetzt 63 Proz. Überkurz sind davon 25 Proz.
Für Oberösterreich ist es noch auffallender: den 80 Proz.
der Langköpse und 20 Proz. der Mittelköpfe stehen 2 Proz.
und 18 Proz. gegenüber der Masse für kurze und überkurze
Schädel. In Böhmen sind die 57 Proz. der Langköpse
völlig verschwunden, aus den 23 Proz. der Kurzköpfe sind
60 Proz. geworden und dazu noch 22,5 Überkurze. Noch
rätselhafter wird die Sache, wenn man erwägt, daß auch
die vorgermanische Bevölkerung der Donauländer nach den
Gräberfunden langköpfig gewesen sein muß, so wenigstens
die keltischen Völker, die von den Römern unterworfen
wurden.
Der Gedanke an die Möglichkeit einer allmählichen Um
bildung der langen Kopfform in die kurze liegt zu nahe,
als daß er nicht aufgetaucht wäre. Daß die Masse des
Gehirns im Laufe der Kulturentwickelung gewachsen sei,
wurde z. B. nach Messungen in Pariser Gräbern belegt.
Man nannte so die Kurzschädel die Kulturschädel; doch konnte
weder diese Annahme noch die Vermutung eines Einflusses
der Höhenlage auf die Umbildung sich behaupten. Im
Gegensatz hierzu steht die Lehre von der Unveränderlichkeit
der Rassenmerkmale, also besonders der Kopfform, außer
durch Mischungen, seit dem Diluvium, der Eiszeit, wie sie
am schärfsten Kollmann vertritt. Es läßt sich auch nicht
bestreiten, daß der Begriff der Rasse, zunächst klassifikatorisch,
doch die Notwendigkeit der körperlichen Vererbung in sich
schließt. Wer könnte zweifeln, daß das Kind eines Negers
und einer Negerin wieder ein Neger, der Sprößling eines
Chinesen und einer Chinesin wieder ein Chinese wird?
Drängt sich denn nicht der Zweifel aus, mit welchem Recht
sich überhaupt die Mehrzahl der heutigen Deutschen als die
Nachkommen der alten Germanen betrachten können, ob es
mehr als eine Fiktion oder Selbsttäuschung sei, wenn sie
den Arminius als den Retter und Befreier feiern und ihm
oder der Germania Standbilder aufrichten? Besonders die
Süddeutschen? Man darf auch die Tragweite wissenschaft
licher Theorien nicht überschätzen. Eine Zeitlang war die
Abstammung der Bayern von den keltischen Bojern offiziell
gelehrte Geschichte, sie rechtfertigte zur Zeit des Rheinbundes
die Verbindung mit den Franzosen und spukt auch jetzt noch
in abgelegenen Köpfen. Umgekehrt hat sich später der süd
deutsche Partikularismus darin gefallen, die rein deutschen
Stämme der Bayern und Schwaben den halbslavischen
Preußen gegenüber zu stellen. Noch jetzt thut dies das
Bayrische Vaterland, eine vielgelesene, durch zur Schau ge
tragene Unabhängigkeit einflußreiche Zeitung.
Sollten nicht auch die Ergebnisse der anthropologischen
Forschung zu theoretischen Folgerungen führen?
Das Verhältnis des heutigen deutschen Volkes zu den
alten Germanen hat in Deutschland Karl Penka behandelt
im Zusammenhang mit einer umfassenden Hypothese über
Ursprung, Heimat, Verbreitung und Geschichte der Arier —
in zwei Büchern Origines Ariacae 1883 und Herkunft der
Arier 1886. Unabhängig von ihm hat der französische An
thropologe De Lapouge vielfach sich damit berührende Auf
fassungen über französische Geschichte und gesellige Zustände
und Aussichten zum lebhaftesten Ausdruck gebracht'). Aller
dings die strenge Wissenschaft läßt Theorie und Hypothesen
gerne auf sich beruhen. Aber sonst haben beide schon Beachtung
und Anhang gefunden; und was ans ein tieferes Verständ
nis geschichtlichen Zusammenhanges ausgeht, wird sich auch
mit gewagten Verknüpfungen der Thatsachen abfinden müssen.
Penka zieht die volle Konsequenz aus der Bezeichnung
der europäischen Knrzköpfe als Turanier. Sie sind ihm
Angehörige einer völlig getrennten Rasse. Den germani
schen Typus, die Laugköpfigkeit, Hellfarbigkeit und Größe
nimmt er als die Merkmale der unvermischten arischen Rasse.
Diese Merkmale selbst weisen ans den Norden als auf seine
Wiege. Von Skandinavien aus sind die arischen Völker
ausgezogen und haben ihre Herrschaft und ihre Sprache bis
nach Indien getragen. Aber ihre Lebens- und Fortpflanzungs-
fähigkeit zeigt sich dort als unverträglich mit milderem Klima;
nur durch die Vermischung mit Unterworfenen hat sich Name
und Sprache erhalten, nur in hohen Gebirgen haben sich
weithin verstreute Neste der Nasse gefristet. Im allge
meinen sind sie außerhalb der Urheimat und den nördlichen
Ansiedelungen nach und nach ausgestorben, die früheren Unter
thanen haben an ihrer Stelle das Übergewicht bekommen rmd
U Siehe eine Reihe von Aufsähen in den letzten Jahr
gängen der U6VU6 d’Anthropologie.