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Dr. M. Weigel: Das Gräberfeld von Reichenhall in Bayern.
sehr bald, mit Hinzuziehung mancher ans alter Zeit übrig
gebliebener nationaler Elemente so eigenartig entwickelte,
daß bald kaum mehr noch etwas von römischen Einflüssen
zu erkennen ist.
Auch von der Kultur der Franken und Allemanuen, die,
obwohl sie nur einen verhältnismäßig kleinen Teil im Westen
unsres heutigen Vaterlandes innehatten, doch bisher immer
als Haupt-, wenn nicht als einzige Repräsentanten dieser
Kulturperiodc nach den Völkerwanderungen angesehen wurden,
unterscheiden sich diese Reichenhaller Funde in mehrfacher
Beziehung, wenn auch zum Teil nur in negativer Weise.
Charakteristisch für Reichenhall ist das Überwiegen des
Eisens, das häufige Vorkommen sorgfältig gearbeiteter Silber-
und Goldtauschierungen, der zahlreichen kleinen bunten Glas
perlen und der Klappmesser. Die kleinen einfachen Schnallen
ohne daranhängende Riemenbeschläge sind meist bedeutend
seiner und zierlicher als die fast immer sehr massiven bei
den Franken und erinnern mehr au römische Formen.
Die einheimische Reichenhaller Keramik ist eine gänzlich
andre und vielleicht wohl etwas primitivere als diejenige am
Rhein; kein einziger Scherben zeigt die merkwürdigen einge
stempelten Ornamente der fränkischen Gefäße; das Material
ist weniger fein geschlemmt und zum Teil sogar recht reich
lich mit Kies untermischt, wie die alten Töpfe aus der vor
römischen Zeit, was bei den fränkischen, fein profilierten Ge
fäßen kann: vorkommen dürfte. Ausfallend ist dann die
außerordentlich geringe Zahl von Fibeln; die drei Exemplare,
eine römische Bügelfibel, eine mit bunten Glasstückchen und
Goldplättchen belegte runde Scheibenfibel unb die bereits
besprochene Fibel vom fränkischen Typus kommen bei einer
Anzahl von 525 Gräbern gar nicht in Betracht. Auch die
Scheibenfibel ist wohl ein allemannisches, fränkisches oder
longobardisches Importstück, so daß bei den alten Bajuwaren
die Schnalle zum Zusammenhalten des Mantels gewöhnlich
vollständig die Fibel ersetzt zu haben scheint. Beachtenswert
ist ferner unter so vielen zum Teil so reich ausgestatteten
Kriegergräbern die geringe Zahl der Schildbuckel, nur ein
einziger mit einem kleinen flachen Knopf auf der Mitte ist
im gut erhaltenen Zustande, ein andrer vollständig verrostet
und zerbrochen gesunden worden.
Vollständig fehlen in Reichenhall, ebenso wie ganz er
haltene Thongefäße, Glasgesäße, die am Rhein in den Gräber
feldern dieser Zeit keineswegs zu den Seltenheiten gehören,
und, was für ein kriegerisches Volk wie die Bajuwaren
eigentlich am merkwürdigsten ist, eiserne Äxte, die, sowohl
als Kriegswaffe und als auch zum praktischen Hausgebrauch
verwandt, so sehr häufig in den verschiedensten Formen in
den fränkischen und allemannischen Gräbern gefunden wer
den. Die eigentümliche Form der Franziska scheint doch
sonst nicht bloß ans die Franken beschränkt zu sein, sondern
stitcs) bei Allemannen und Thüringern vorzukommen, und
die flacheren breiteten Äxte mit gewöhnlich gerundeter Schneide
haben eine außerordentlich weite Verbreitung, wir finden sie
sowohl am Rhein wie in den Gräbern der Wikinger, in den
Bnrgwällen der Slawen wie in den Gräbern der Preußen
und Littauer.
Was schließlich die Zeitsteünng dieses Gräberfeldes an
betrifft, so setzt Herr von Ehlingensperg dasselbe, wie bereits
mitgeteilt, in das sechste und siebente Jahrhundert nach
Christi, vielleicht sogar noch bis in den Anfang des achten,
und glaubt in der letzten Periode des Gräberfeldes bereits
Spuren des Christentums erkennen zu können. Das letztere
scheint mir etwas gewagt zu sein; es sind nirgends Kreuze
gefunden, wie z. B. die bekannten longobardischen Gold-
kreuze, oder wie sie von Bronze in den altlivischen Gräbern
der ersten christlichen Zeit vorkommen, und dann dürste cs
immerhin unwahrscheinlich sein, daß die zum Christentum
Bekehrten ihre Toten ans demselben Felde begraben haben