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Johan Winkler: Friesland, Friesen UN
sollten, wo es die Heiden gethan hatten. — Ich möchte das
Gräberfeld von Reichenhall in seiner ganzen ursprünglichen
Ausdehnung, d. h. mit dem bereits früher zerstörten älteren
Teile schon im fünften Jahrhundert beginnen lassen und
möchte kaum annehmen, daß es das siebente Jahrhundert
überdauert hat.
Von den römischen Münzen, ein Antonius Pius oder
Markus Aurelius (138 bis 161, 161 bis 180), ein Kon
stantin (306 bis 337) und zwei Valens (364 bis 378) ist
noch nicht einmal eine ans dem fünften Jahrhundert. Die
römische Bügelfibel würde ich, wenn es ein Einzelfund
wäre, in das dritte oder vierte, kaum noch in das fünfte
Jahrhundert setzen. Aber freilich sind, wenn unter Hunder
ten von Stücken zwei oder drei chronologisch nicht genau
mit den übrigen übereinstimmen, diese nicht als maßgebend
oder ausschlaggebend zu betrachten. Die Fibel kann, ebenso
wie die Münzen und die Terra sigillita-Gefäßc, lange Zeit,
vielleicht von mehreren Generationen in einer Familie als
Wertobjekt aufgehoben worden sein. Immerhin besteht die
Thatsache, daß sämtliche datierbaren römischen Stücke auf
eine ältere Zeit als das sechste Jahrhundert hinweisen.
Bereits im fünften Jahrhundert haben wir in den großen
fränkischen und allemannischen Gräberfeldern zur Zeit Ehil-
derichs und Chlodwichs eine annähernd ähnliche Kultur, wie
hier in Reichcnhall. Wir sehen in diesem wilden Jahr
hundert Attilas einen großen Völkerschwarm nach dem andern
durch diese Gaue Süddcntschlands im wüsten Durcheinander
d friesische Sprache in den Niederlanden.
bald in südlicher, bald in westlicher oder östlicher Richtung
! daherziehen, manche mögen sich länger aufgehalten, manche
sich zeitweise, andre für immer häuslich niedergelassen haben,
zumal an einem Ort, der wegen seiner Salzquellen gewiß
überall bekannt und in nationalökonomischer Beziehung eine
wichtige Station gewesen sein mußte.
Im Laufe des fünften Jahrhunderts siedeln sich in
Bayern die verschiedensten germanischen Stämme, Burier,
Skyren, Juthungen, Markomannen, Heruler, Rugier, Tur-
cilinger:c. an und bilden, ähnlich wie die Allemannen, mit
der Zeit einen großen Völkerbund, den der Bajuwaren, unter
denen man aber neben den verschiedenen germanischen Ele
menten wohl sicher noch einen gewissen Prozentsatz keltischen
und romanischen Blutes annehmen darf. Darauf weisen
auch die verschiedenen Formen der in Reichenhall gefundenen
Schädel hin, es kommen brachycephale, mesocephale und doli-
chocephale nebeneinander vor, so daß von einer einheitlichen
Abstammung aller Bestatteten keine Rede sein kann.
Die Kultur, die uns entgegentritt, ist aber eine echt
germanische und ich denke, wir haben in dein Gräberfeld die
ganze Zeit vertreten, während der sich germanische heidnische
Stämme, wenigstens seit dem Ende des fünften Jahrhunderts,
in dieser Gegend ausgehalten haben, die Zeit Garibalds,
Grinioalds, Tassilo I. rc. bis seit dem Ende des siebenten
Jahrhunderts zur Zeit der beiden Throdos die ganz all
mähliche Bekehrung der bayerischen Volksstämme durch
Eustachius, Agilius und ihre Nachfolger vor sich ging.
Friesland, Friesen und friesische Sprache in den Niederlanden.
Von Johan Winkler. Haarlem.
III.
Friesland hat nach einer amtlichen Volkszählung vom
31. Dezember 1889 335 558 Einwohner, die auf einer
Flüche von 327480 ha, in elf Städten, in etwa 350 Dörfern
mit vielen Weilern (so viel Dörfer als Tage im Jahre sagt
das Sprichwort), und in vielen hundert zerstreut liegenden
Bauernhöfen, die unter dem Namen „Staten“ und „Säten“
bekannt sind, wohnen. Wiewohl als Bauernhöfe (friesisch
boei-epleatsen) jetzt nicht mehr von einander unterschieden,
ist eine State von jeher ein Edelsitz, eine Säte dagegen ein
Bauernsitz. Staten und Säten sind meist uralte Heim
stätten der vielen, heute größtenteils ausgestorbcnen friesischen
altadeligen Geschlechter und der noch häufig bestehenden
Geschlechter von „eigenerfden“, der auf väterlichem Erbteil
als freiem Eigentum angesessenen Bauern. Diese Eigen
erfden oder Euierden, — was dasselbe wie Erfeg8en
der Weserfriesen ist, der adeligen freien Bauern unter den
Wurstersriesen — sind ihrem alten Ursprünge nach nicht
von den friesischen Adeligen unterschieden und bilden noch
heute den ehrenfesten Urkern des friesischen Volkes, die
Standfriesen im besten Sinne des Wortes. Die Staten
und Säten tragen noch heute die Namen der alten Friesen
geschlechter, in deren Besitz sie sich ursprünglich befanden:
Cammingha- State, Burmania-State, Dekaina - State,
Andringa-Sate, Botma-Sate, Feddema-Sate u. s. w.
Diese Bauernhöfe sind weit und breit über das Land zer
streut, denn der friesische Bauer wohnt nicht Hans an Hans
dicht an einandergedrängt in enggebanten Dörfern. Er
wohnt, wie schon Tacitus (De situ et moribus Germa
norum) von seinen Vorvätern und andern Germanen be
richtet, abgesondert, jeder mit seinem Gesinde für sich allein,
auf seinem „Bleats“ inmitten seiner Ländereien, seiner
Äcker und Weiden.
Die friesischen Dörfer sind im allgemeinen klein, viele
sehr klein, sticht wenige, zumal im Norden, Westen und
der Mitte des Landes, bestehen nur — abgesehen von den
weitnmherliegenden Bauernhöfen — aus Kirche und Schule,
den Häusern des Geistlichen und Lehrers und einigen klei
nen Arbeiterwohnungen. Bei andern kommen dazu noch
das Wirtshaus, die Häuser von einigen Krämern und
Handwerkern, Bäcker, Schneider, Schuster, Zimmermann,
Schmied n. s. w. Dagegen sind die großen Dörfer, nament
lich im Bouhoek und einige tut Wasserland (Warga,
Gron, Oldeboorn, Heeg, Wondsend), sehr volkreich und
dem Äußern nach kleinen netten Städtchen gleichend. Im
allgemeinen, besonders im Norden, Westen und der Mitte
des Landes, liegen die Dörfer dicht beieinander, oft nur
eine halbe oder viertel Stunde voneinander entfernt.
Molkerei unb Viehzucht sind die HanpterwerbSquellen
der Friesen. Als Beweis von der Höhe, bis zu welcher die
Milchwirtschaft gediehen ist, die jetzt sich auf Kosten der
weniger lohnenden Landwirtschaft immer mehr ausbreitet,
kann die Thatsache dienen, daß der Viehstapel im Sommer
1890 nur beim Rindvieh die Zahl von 250 000 Stück
bereits erreicht hatte. An zweiter Stelle stehen der Landbau,
namentlich von Getreide und Olsaat, unb die Torfgräberei.
Es folgen Handel und Schiffahrt, natnentlich die binnen-
ländische; auch Ausfuhr zur See, namentlich Vieh, Butter
und Käse ans Harlingen nach England; Fischerei, von Prä
sens (Moddergat) und Wiernm ans an der Nordsecküste be
trieben, doch mehr ans den Binnengewässern, die einen sehr-
belangreichen Handel von Heeg, Gaastmcer und Worknnt
mit Aalen nach London erzeugt. Dazu ein wenig Wald
bau; und etwas mehr Jagd, Entenfang in Vogelkojen u. s. w.
Industrie wird von den Friesen in geringem Maße betrieben.