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Full Text: Globus, 59/60.1891

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Ioh a il Winkler: Friesland, Friesen und friesische Sprache in den Niederlanden. 
Große Fabriken findet man überhaupt nicht; jedoch sind in 
den letzten fünf Jahren viele kleine Bntterfabriken oder 
Dampfmciereien errichtet worden. 
Die meisten Friesen sind Protestanten und zwar Refor- 
mirte, in drei kirchlichen Abteilungen. Unter den Katholiken, 
deren Zahl durch Einwanderung, namentlich aus Westfalen 
zunimmt, befinden sich nur wenige ans altfriesifchem Blute. 
Die es aber sind, gehören gerade zu den ältesten friesischen 
Geschlechtern, namentlich im Bauern- und Bauernarbeiter 
stand. Die Zahl der Mennoniten, Anhänger des friesischen 
Reformators Menno Simons, früher sehr zahlreich, 
nimmt fortwährend ab. 
Der Hanptort Leeuwardcn (fr. Eio^erä, gespr. Ljou’t, 
mit 30 433 Einwohnern) ist eine schöne blühende Stadt mit 
viel Binnenhandel und starkem Verkehr, zumal an Markt 
tagen, wenn das Landvolk aus ganz Friesland hier zusammen 
strömt. Mitten im Lande gelegen, vertritt sie in jeder 
Hinsicht die Stelle einer kleinen Hauptstadt, den Mittelpunkt 
des Verkehrs auf verschiedenen Gebieten. Sneek (Luits, 
11 469 Einwohner) zeigt das Bild der Hauptstadt im ver 
kleinerten Maße. Sic ist, wie Bolsward (ßoalswert, gespr. 
Boalse’t, 6015 Einwohner), eine hübsche Stadt, die an 
Reinlichkeit und freundlichem Aussehen noch alle andern frie 
sischen und niederländischen Städte im allgemeinen übertrifft. 
Bolsward und Franeker (Echsantchor, 7198 Einwohner) 
sind von altersher ansehnliche Städte. Bolsward, durch 
seine ehemalige Lage an der Middelzee begünstigt, trieb im 
Mittelalter ansehnlichen Handel und war Mitglied der 
Hansa; Franeker hatte von 1584 bis 1811 eine be 
rühmte Hochschule. In beiden Städten sind noch einige 
schöne alte Gebäude vorhanden, unter denen sich die Haupt- 
kirchen und Rathäuser auszeichnen. Die Hanptkirchen, beide 
St. Martinus geweiht, im gotischen Stile erbaut, stam 
men aus dem späten Mittelalter. Die wunderbar zierlichen 
Rathäuser sind im Renaissancestil erbaut; das Franekersche 
von 1591, das Bolswardsche von 1614. Außer diesen bei 
den schönen Rathäusern befindet sich auch noch zu Leeuwar- 
den ein herrliches Renaissancegebäude ans dem Jahre 1571 
mit dem Bilde Kaiser Karls V. auf dem hohen Giebel, 
dem einzigen in den nördlichen Niederlanden; es ist dieses 
die sogenannte Canselary, ursprünglich ein Gcrichtsgebäude. 
An alten Kunstwerken, Architektur und Holzschnitzerei 
weisen die zwei alten Bolswarder Kirchen, die Parochiekirchc 
St. Martin und die nicht mehr benutzte Klosterkirche 
(Brüderkirche, fr. Broarets^orko), viel schönes auf. Im 
späten Mittelalter standen überhaupt in Bolsward die schönen 
Künste in hoher Blüte; sie fanden dort Pflege und Ver 
ständnis. Auch Dokkum (4053 Einwohner), jetzt ein freund 
liches Landstüdtchen, ist ein sehr alter Ort; dort werden 
Reliquien, von St. Bonisacius, d. i. Winfred dem 
Friesenapostel, aufbewahrt, der in der Nähe Dokkums bei 
Murmerwonde (fr. Noarmsrwalck, Mörderwald) im Jahre 
755 von den heidnischen Friesen ermordet wurde. Harlingen 
(fr. Harns, 10195 Einwohner), der wichtigste friesische 
Hafen, besitzt Handel und Ausfuhr nach England. Staveren I 
(fr. Stamm, Stearum, 820 Einwohner), die uralte friesische 
Hauptstadt, vor dem Aufkommen Amsterdams im Mittel 
alter eine blühende Handelsstadt, berühmt als Sitz der 
friesischen Herzöge und Könige in sagenreicher Vorzeit, ist 
i) Die amtliche niederländische Schreibart dieses Orts 
namens, der man auch gewöhnlich in Deutschland solgt, ist 
Stavoren; wobei jedoch der Ton nicht aus vo, sondern auf 
Sta liegt. Diese Schreibart ist falsch. Sic beruht nur auf 
der haltlosen Meinung der Stubengelehrten in der Perückenzeit, 
die einen altfriesischen Götzen Stavo annahm, der in dieser 
altfriesischen Hauptstadt besonders verehrt worden sein und ihr 
den Namen gegeben haben soll. 
jetzt ein kleiner, ganz unbedeutender Ort. Auch das be 
nachbarte Hindeloopen (fr. Hînljippen, 1030 Einwohner), 
dessen Einwohner das Friesische in einer besonderen Mnnd- 
art reden, und die bis in unser Jahrhundert eine eigene, 
merkwürdige Tracht besaßen, ist von seiner ehemaligen 
Größe und Wohlfahrt, die in Handel und Schiffahrt wur 
zelte, ganz herabgesunken. Workum (Woarkum, Warkom, 
4245 Einwohner) treibt Handel und ist nicht oh-ne be 
lang; 4)lst (Drîlst, 1529 Einwohner) und Slotcn (Staat, 
771 Einwohner) sind unbedeutende Landstädtchen. 
Die friesischen Dörfer erstrecken sich über 30, rechnet 
man die Inseln hinzu, über 32 Landgemeinden. Letztere, 
dem Umfange nach größer lind volkreicher als diejenigen 
der übrigen niederländischen Provinzen, führten — und 
führen in der Volkssprache noch jetzt — den altfriesischen 
Namen der Grietenyen, ebenso wie der vorgesetzte Rc- 
giernngsbeamte Grietman hieß, jetzt niederländisch Burge- 
meester. Im Jahre 1848 oder kurz darauf mußten auch 
diese altfriesischen Benennungen der Centralisationswut der 
Holländer, der Egalité der Umstürzler zum Opfer fallen. 
Doch die alte Einteilung ist geblieben, ebenso der altfriesische, 
jetzt taliter qualiter verholländerte Name der Grietenyen 
Leeuwarderadeel (fr. Liowerteradiel), Menaldnmndecl, Tie- 
tjerksteradeel, Wymbritseradeel, Doniawarstal, Hemelumcr- 
Oldefert u. s. w. Sind die friesischen Städte im allgemeinen 
klein, einige sogar sehr klein und nicht volkreich, so sind im 
Gegensatze die Grietenyen meist größer und bevölkerter. 
Opsterland hat 14 570 Einwohner in 14 Dörfern; Schoter- 
land 14 094 Einwohner in 19 Dörfern; Tietjerksteradeel 
13 949 Einwohner in 14 Dörfern; West-Stellingwerf 
15 492 Einwohner in 20 Dörfern; Wonseradeel 12 844 
Einwohner in 29 Dörfern; Wymbritseradeel 12 321 Ein 
wohner in 28 Dörfern. 
Außer den elf Städten machen acht belangreiche und 
blühende Flecken, die ebenso vielen kleinen netten Städten 
gleichen, einen Schmuck des Fricsenlandes aus. Es sind dieses 
Kollum, Drachten, Gorredyk, Heerenveen, de Joure, Balk, 
de Lemmer und Makkum. Außer den beiden letzten an 
der See, an der Süd- und Westküste des Landes gelegenen, 
liegen die sechs übrigen Marktflecken alle in den schönsten, 
waldreichsten Gegenden Frieslands, in der umuittelbarcn 
Nähe von Beenklooster, Beetsterzwaag und Olterterp, des 
Oranjewoud, Gaasterland (de Joure auch noch ans Wasser 
land grenzend), wo Natur und Kunst die lieblichsten Land 
schaften hervorbrachten. Diese Lage der friesischen Markt 
flecken steht im völligen Gegensatze zu jener der friesischen 
Städte, die alle auf baumlosem Klei- und Moorboden stehen, 
inmitten endloser Weiden. Und da nun die Fremden meist 
die Städte aufsuchen, weit mehr als Flecken und Dörfer, 
so ist dieses auch mit die Ursache gewesen, Friesland in den 
ganz unbegründeten Ruf eines unschönen, prosaischen Landes 
zu bringen. Große und schöne Dörfer, abgesehen von den 
bereits oben genannten sind noch Bcrgnm (fr. Birgum), 
Stiens, Hallum, Berlikum (fr. Beltsum), Dronrijp, Arum, 
Witmarsum, Wolvega, Koudum, Gron, Akkrum n. a. 
Das friesische Volk zeichnet sich durch viele Eigentüm 
lichkeiten aus. Wo fände ich ein Ende, wenn ich alle diese 
Eigenheiten, wenn auch noch so oberflächlich, meinen Lesern 
mitteilen wollte? Ich will mich daher auf eine Eigentüm 
lichkeit beschränken, auf die vornehmste und merkwürdigste, 
auf die friesische Sprache. Doch kann ich dazu nicht über 
gehen, ohne noch vorher flüchtig den uralten, aus der Vor 
väterzeit stammenden Kopfschmuck der Friesinnen, die so 
genannten Ohreisen (fr. eariser, gesprochen ^erisck'r, niederl. 
ooryzer) zu erwähnen. Es ist dieses ein metallener Bügel
	        
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