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Full Text: Globus, 61/62.1892

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Dr. M. Geyer: 
Die Altenburger Bauern. 
21 * 
6000 Mk. bezahlt wird oder 90 bis 240 Mk. Pacht trägt 1 ), 
so bekommt man ein Bild von dem durchschnittlichen Kapital- 
werte eines altenburgischen Gutes. Verkäufe kommen übri 
gens äußerst selten vor. Bei Vererbungen kommt ein Gut 
ungeteilt an den jüngsten Sohn. Ter Preis, zu dem dieser 
es übernimmt, ist meist niedrig, und so ist die Rolle der 
älteren Söhne und der Töchter, die durch Kapitalzahlungen 
abgefunden werden, nicht immer beneidenswert. Die das 
Gut nicht erbenden Söhne lassen entweder ihr Geld auf dem 
Gute stehen und arbeiten unter dem Rcgimcute des Bruders 
weiter, oder sehen zu, daß sie ein anderes Gut kaufen, pachten 
oder erheiraten. Die geschilderte Art der Vererbung hat 
bisher 2) den Altenburger Bauernstand leistungsfähig und 
lebenskräftig erhalten. Selbstredend hat auch die Intelligenz 
der Bauern dazu das Ihre 
gethan. Ich führe nur 
an, daß die Altenburger 
Bauern längst die künst 
liche Düngung allgemein 
eingeführt haben, und daß 
sie in Altenburg ihre eigene 
Getreidebörse haben. Wer 
sehen will, auf wie hoher 
Stufe Ackerbau und Vieh 
zucht bei ihnen stehen, mag 
in dem erwähnten Buche 
von Seifert nachlesen. 
Die Wohnungen wer 
den heutzutage massiv ge 
baut. Die alten Bohlcn- 
stuben bieten mit ihrem 
nach der Straße gerichteten 
Giebel, dessen Holzwerk 
dunkelbraun, dessen Felder 
weiß gestrichen sind, einen 
freundlichen Anblick. Bei 
alten wie neuen Bauten 
ist vor dem Wohnhause 
nach der Straße zu ein 
Ziergarten (Klenzegarten) 
angelegt, der musterhaft 
sauber gehalten wird; unter 
den Fenstern des Wohn 
hauses hin bis zur Haus 
thüre streckt sich die Heiste, 
ein mit Steinplatten be 
legter Gang, und jedes 
Gut hat seinen Backofen. 
Ich wüßte nicht, was das 
Äußere sonst Bemerkens 
wertes böte. Treuer hält 
sich die alte Art im Inneren der Bauerstubcn. Neben der 
Thüre hängt die Ouühle (mhd. twehele, französ. touaille), 
das ist das Paradchandtuch, unter dem das Gebrauchs 
handtuch sich birgt; daneben steht das hölzerne Handfaß, das 
die Stelle des Waschbeckens vertritt. Am Ofen darf die 
Ofenbank nicht fehlen; in Mannshöhe sind Stangen um 
den Ofen gezogen, an denen nasse Kleider u. dgl. getrocknet 
werden. Der Raum zwischen Ofen und Wand heißt Hölle. 
In der Nähe des wärmenden Ofens steht der lederbezogene 
Großvatcrstuhl. Überall findet man den Seiger (Standuhr) 
1) In der Nähe der Stadt Altenburg werden bei Parzcllen- 
verkauf 7500 Mk., bei Parzellenverpachtung 300 Mk. für den 
Hektar erzielt. 
2 ) In neuerer Zeit zeigt sich doch das Bestreben, die Erb 
teile gleichmäßiger zu gestalten, wodurch stärkere Berschuldung 
der Gitter unausbleiblich wird. 
mit seinem stubenhohen Holzgehäuse, dem Behälter für Stöcke 
und Schirme. Der Tisch ist von Holzbüuken umgeben; in 
seiner Nähe ist das Schlüsselbrett an der Wand befestigt, das 
die blankgeschencrten Teller aus Ahornholz trägt. Beim 
Ofen steht die Käsebauk. An der Holzwand der alten Bohlen 
stuben sind Lederriemen angenagelt, hinter welche Messer und 
Gabeln gesteckt werden. Die Spalten des deckentragenden 
Balkens dienen als Aufbewahrungsort für Gevattcrbriefe, 
Forderzettel und ähnliche kostbare Papiere. Den Wandschmuck 
bilden die auf kleine Glasplatten gemalten Vornamen der 
Familienmitglieder. 
Gesinde und Herrschaft essen in derselben Stnbe, wenn 
auch nicht an demselben Tische. Man betet mittags laut 
ein gemeinsames, nicht eben kurzes Tischgebet; auch Ab- und 
Zugehende sprechen, so 
lange sie in der Stube 
sind, ein Bruchstück mit. 
Eine Stelle des Dank 
gebetes klingt mir noch in 
den Ohren: 
Wir danken Gott für seine 
Gaben, 
Die wir von ihm empfangen 
haben; 
Wir bitten unsern lieben 
Herrn, 
Er woll' uns hinfort mehr 
beschern. 
Gesindemärkte, die wäh 
rend der Zwölfnächte in 
Altenburg und Schmölln 
abgehalten werden, sind 
schon von Friese erwähnt. 
In den letzten Jahren hat 
sich Mangel an Dienst 
boten fühlbar gemacht, da 
her sind vielfach bayerische 
und schlesische Leute ein 
gestellt worden; freilich 
haben diese bei weitem 
nicht die Leistungsfähigkeit 
von Altenburgern. 
Wieviel von den Land 
bewohnern die alte Tracht 
bewahrt haben, vermag 
ich nicht anzugeben, das 
könnte nur eine Zählung 
von Ort zu Ort fest 
stellen. Bei dieser müßte 
auf die große Zahl derer 
besonders acht gegeben 
werden, die in einem Übcr- 
gaugszustande sich befinden und teils „bürgersch", teils „bauersch 
gehen". Man kann im allgemeinen sagen, daß, je weiter 
ein Dorf von Städten und Eisenbahnen entfernt liegt, desto 
treuer es an der von den Vätern vererbten Tracht fest 
hält, sodann daß die Frauen zäher an ihr halten, als die 
Männer. Letzteres hat einen inneren und einen äußeren 
Grund: 1. hängen auch Hierlands Frauen mit viel treuerem 
Gemüt am Althergebrachten, als Männer (Schwankungen der 
Mode natürlich ausgeschlossen); 2. ist die Kleidung praktisch 
für Haus- und Feldwirtschaft. In vielen Familien hat sich 
der Mann „umgekleidet", die Frau nicht. Unter dem heran 
wachsenden Geschlecht schwindet die Tracht mehr und mehr. 
Das Bauernreiten, das vor zwei Jahren bei Anwesenheit 
des Kaisers Wilhelm II. in Altenburg stattfand, ein glänzen 
der Aufzug von Altenburgern in Nationaltracht zu Roß und 
Wagen, darf nicht irre machen: diese großartige Schaustellung 
Altenburger Bäuerinnen im 18. Jahrhundert. 
Nach L. I. Kronbicgel: „Sitten u. s. w. der Altcnb. Bauern". Taf. V.
	        
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