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Begründer der wissenschaftlichen Erforschung des Slawentums. Auch in den folgen
den Jahren verfolgte er mit großem Interesse seine Tätigkeit, erkannte voll Hoch
achtung ihre hervorragende Bedeutung an, widmete dem Monumentalwerk Institu
tiones linguae slavicae dialecti oeteris 1 eine ausführliche Besprechung und war sich
sicherlich der weitgehenden Übereinstimmung bewußt, die zwischen seinem eigenen
Bestreben, die Grundlagen der deutschen Philologie zu schaffen, und der Pionier
arbeit auf dem Gebiete der slawischen Philologie bestand, die Dobrovsky in ähnlich
breitem Rahmen angelegt hatte. Und doch trennten die beiden genialen Erwecker die
unterschiedlichen Anschauungen zweier historischer Epochen, vor allem hinsichtlich
der Prinzipien der historischen Methode, von denen sich Grimm bei seinen sprach
wissenschaftlichen Arbeiten und in seiner Auffassung der Volksdichtung leiten ließ.
Dobrovsky schätzte in humanistischem Geiste vor allem die didaktische und sprach
liche Bedeutung der Sprichwörter des Volkes und begründete mit seiner Sammlung
tschechischer und slowakischer Sprichwörter (1804), der er später russische Sprich
wörter (Slavin 1806) und Proben serbischer Sprichwörter (Slovanka 1815) folgen
ließ, das vergleichende Studium. Außerdem widmete er auch anderen Gattungen
der Volksüberlieferung Beachtung, so den volkstümlichen Redewendungen, den
Redensarten, vor allem auch den Volksliedern, denen sich auf seine Anregung hin
seine Freunde (Kopitar, der Krakauer Bibliothekar Bandtke und andere) zuwandten.
Er selbst schätzte die Volkslieder in erster Linie als sprachliche und kulturhistorische
Dokumente; seinem literarischen Geschmack, den im wesentlichen die Antike ge
prägt hatte, war in der Volksdichtung manches fremd. In dieser Hinsicht unterschied
er sich von der jüngeren Generation der Romantiker, für die das Volkslied der höch
ste Ausdruck der Schöpferkraft der Nation im Bereich der Sprache war. Dieser
mächtigen Strömung der Romantik unterlag mit der Zeit auch Dobrovsky, aber er
kämpfte dagegen an, und seinen Widerspruch zu den Anschauungen Grimms be
kundete er sehr ausdrucksvoll in seiner kritischen Stellungnahme zu den serbischen
Heldenliedern, die Grimm für gleichwertig mit der Ilias hielt. 2
Auf Dobrovsky machten Jacob Grimm seine Freunde Achim von Arnim und
Clemens Brentano aufmerksam, die im Jahre 1810 in Mähren weilten. In Prag wurde
Brentano mit Dobrovsky bekannt, und auf seine Anregung hin wandte sich Grimm,
damals Bibliothekar in Kassel, an Dobrovsky mit Anfragen, die Literatur betreffend,
unter anderem die tschechischen Volksmärchen. Dobrovsky antwortete in zwei Brie
fen (vom 24. April 1811 und vom 22. Juli 1811), 3 in denen er Nachrichten über die
alttschechische Literatur, über historische Sagen usw. gab. Über tschechische Mär
chen konnte er keine Mitteilungen machen; deshalb schickte er Grimm nur kurze
Inhaltsangaben von sechs polnischen Märchen, die ihm der Krakauer Bibliothekar
Bandtke mitgeteilt hatte. Ferner fügte Dobrovsky einige nicht näher bestimmte rus
1 Vgl. Jacob Grimm: Kleinere Schriften, Bd. I, S. 186.
2 Über das Verhältnis Dobrovskys zur Volksdichtung vgl. V. Jagic: История славянской
филологии, 1910, S. 368/369..
3 Vgl. V. Jagic: Materialien zur Geschichte der slavischen Philologie. In: Archiv für
slavische Philologie, Jg. I/II.