Buchbesprechungen
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Alan DunDES, Folklore Matters. Knoxville: The University of Tennessee Press, 1989. 172
S. m. 6 Farbabb.
Der Doppelsinn des Buchtitels „Folklore Matters“ (zu übersetzen entweder als „Die Ge
genstände der Folklore“ oder „Folklore ist wichtig“) faßt das doppelte Anliegen von Alan
Dundes zusammen. Er hat immer wieder versucht, die Folklore unter den speziellen Gege
benheiten Amerikas als Gegenstandsbereich neu (und umfassender als in Europa) zu defi
nieren. (Deshalb ist für Amerika das Wort Folklore zutreffender als etwa Volkskunde.) Das
ist ihm etwa für den Bereich der schwarzen Folklore in dem inzwischen klassischen Reader
„Motherwit from the Laughing Barrel: Readings in the Interpretation of Afro-American
Folklore“ (1973) souverän gelungen. Zudem will er ihr einen theoretisch und methodisch
begründeten Platz zwischen den Human- und Sozialwissenschaften verschaffen. Sein umfas
sendes wissenschaftstheoretisches Modell verdankt er der Anthropologie, was in seinem frü
heren Reader „Everyman His Way: Readings in Cultural Anthropology“ (1968) seinen Nie
derschlag fand. Seine spezielle analytische Muse ist jedoch die Psychoanalyse. Das Buch re
präsentiert einen Querschnitt dieser Bemühungen. Der erste Aufsatz „Defining Identity
through Folklore“ postuliert eine innige Verschränkung von persönlicher Identität und na
tionalen Kollektivmustern (hier liegt m.E. ein theoretischer, i.e. strukturhomologischer
Trugschluß und ein Grund für einige seiner vorschnellen, ahistorischen Verallgemeinerun
gen). Im zweiten Kapitel erklärt er die Genese von „fakelore“, also „erdichteter Volkskun
de“ aus dem Gefühl der nationalen Minderwertigkeit, meint gleichwohl, daß auch diese
ätiologischen Fiktionen, die der Aufrüstung einer politischen Kultur dienen, ein relevanter
Gegenstand der Folklore sind. Im dritten identifiziert er wesentliche Unterschiede und Ge
meinsamkeiten zwischen Volkskunde und Anthropologie. Er dient den Anthropologen die
komparatistische Perspektive der Volkskundler und den Volkskundlern die analytische
Rigorosität der Anthropologen als Korrektiv an, ein durchaus überzeugender Vorschlag.
Jedoch, die gleich folgende Anwendung aus der eigenen Werkstatt raubt diesem Leser den
Enthusiasmus. Die Rückschlüsse, die Dundes aus einem international verbreiteten Spiel-
zeug (pickende Hühner) zieht, sind so pauschal und verwegen, daß man den bibliographi
schen Nachweis des Erstabdrucks in „Volkskultur in der Noderne“ (sic) als comic relief
empfindet. Seine folgenden Aufsätze über Wettersprichwörter und den ersten April sind an
regend. Mit dem folgenden großen Aufsatz zur psychoanalytischen Studie der Grimmschen
Märchen ist er in seinem Metier. Hier ist seine Lieblingsmethode sicherlich am überzeu
gendsten eingesetzt und seine Kritik an der Blindheit der Kollegen am treffendsten. Sein ab
schließender Forschungsbericht über die „Ballade von der Arta Brücke“ und die Auslegung
sind ebenso verblüffend wie anregend.
Alan Dundes legt ein interessantes, lesenswertes und anregendes Buch vor, das nicht nur
bei Volkskundlern auf Interesse stoßen wird. Sicherlich wird es das bestehende Spektrum
der Urteile über Alan Dundes verfestigen. Diese reichen von „leading folklorist“ (Mieder) zu
>,maverick folklorist“ (Ben-Amos), „passionate folklorist“ (Kirshenblatt-Gimblett), bis zu
»misguided folklorist“ (Dorson). Dundes etablierte seinen Ruhm als Don Quixotte, der ge
gen die langsamen Windmühlen der etablierten Volkskunde mit ihrer Vorliebe fürs Sam
meln und ihrer Aversion gegen soziologische, psycho-analytische oder anthropologische
Analyse ankämpfte. Inzwischen, so scheint mir, sind viele der Schlachten gewonnen. Fol
klore Studies haben sich seit den Grabenkämpfen zwischen Indiana und Philadelphia sehr
stark in seinem Sinne verändert. Nur in einer Klage hat Dundes weiterhin recht: Seine Lieb-
bngsmethode, der psychoanalytische Ansatz, erfreut sich keines besonderen Zuspruchs.