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Full Text: Zeitschrift für Volkskunde, 88.1992

Buchbesprechungen 
139 
Alan DunDES, Folklore Matters. Knoxville: The University of Tennessee Press, 1989. 172 
S. m. 6 Farbabb. 
Der Doppelsinn des Buchtitels „Folklore Matters“ (zu übersetzen entweder als „Die Ge 
genstände der Folklore“ oder „Folklore ist wichtig“) faßt das doppelte Anliegen von Alan 
Dundes zusammen. Er hat immer wieder versucht, die Folklore unter den speziellen Gege 
benheiten Amerikas als Gegenstandsbereich neu (und umfassender als in Europa) zu defi 
nieren. (Deshalb ist für Amerika das Wort Folklore zutreffender als etwa Volkskunde.) Das 
ist ihm etwa für den Bereich der schwarzen Folklore in dem inzwischen klassischen Reader 
„Motherwit from the Laughing Barrel: Readings in the Interpretation of Afro-American 
Folklore“ (1973) souverän gelungen. Zudem will er ihr einen theoretisch und methodisch 
begründeten Platz zwischen den Human- und Sozialwissenschaften verschaffen. Sein umfas 
sendes wissenschaftstheoretisches Modell verdankt er der Anthropologie, was in seinem frü 
heren Reader „Everyman His Way: Readings in Cultural Anthropology“ (1968) seinen Nie 
derschlag fand. Seine spezielle analytische Muse ist jedoch die Psychoanalyse. Das Buch re 
präsentiert einen Querschnitt dieser Bemühungen. Der erste Aufsatz „Defining Identity 
through Folklore“ postuliert eine innige Verschränkung von persönlicher Identität und na 
tionalen Kollektivmustern (hier liegt m.E. ein theoretischer, i.e. strukturhomologischer 
Trugschluß und ein Grund für einige seiner vorschnellen, ahistorischen Verallgemeinerun 
gen). Im zweiten Kapitel erklärt er die Genese von „fakelore“, also „erdichteter Volkskun 
de“ aus dem Gefühl der nationalen Minderwertigkeit, meint gleichwohl, daß auch diese 
ätiologischen Fiktionen, die der Aufrüstung einer politischen Kultur dienen, ein relevanter 
Gegenstand der Folklore sind. Im dritten identifiziert er wesentliche Unterschiede und Ge 
meinsamkeiten zwischen Volkskunde und Anthropologie. Er dient den Anthropologen die 
komparatistische Perspektive der Volkskundler und den Volkskundlern die analytische 
Rigorosität der Anthropologen als Korrektiv an, ein durchaus überzeugender Vorschlag. 
Jedoch, die gleich folgende Anwendung aus der eigenen Werkstatt raubt diesem Leser den 
Enthusiasmus. Die Rückschlüsse, die Dundes aus einem international verbreiteten Spiel- 
zeug (pickende Hühner) zieht, sind so pauschal und verwegen, daß man den bibliographi 
schen Nachweis des Erstabdrucks in „Volkskultur in der Noderne“ (sic) als comic relief 
empfindet. Seine folgenden Aufsätze über Wettersprichwörter und den ersten April sind an 
regend. Mit dem folgenden großen Aufsatz zur psychoanalytischen Studie der Grimmschen 
Märchen ist er in seinem Metier. Hier ist seine Lieblingsmethode sicherlich am überzeu 
gendsten eingesetzt und seine Kritik an der Blindheit der Kollegen am treffendsten. Sein ab 
schließender Forschungsbericht über die „Ballade von der Arta Brücke“ und die Auslegung 
sind ebenso verblüffend wie anregend. 
Alan Dundes legt ein interessantes, lesenswertes und anregendes Buch vor, das nicht nur 
bei Volkskundlern auf Interesse stoßen wird. Sicherlich wird es das bestehende Spektrum 
der Urteile über Alan Dundes verfestigen. Diese reichen von „leading folklorist“ (Mieder) zu 
>,maverick folklorist“ (Ben-Amos), „passionate folklorist“ (Kirshenblatt-Gimblett), bis zu 
»misguided folklorist“ (Dorson). Dundes etablierte seinen Ruhm als Don Quixotte, der ge 
gen die langsamen Windmühlen der etablierten Volkskunde mit ihrer Vorliebe fürs Sam 
meln und ihrer Aversion gegen soziologische, psycho-analytische oder anthropologische 
Analyse ankämpfte. Inzwischen, so scheint mir, sind viele der Schlachten gewonnen. Fol 
klore Studies haben sich seit den Grabenkämpfen zwischen Indiana und Philadelphia sehr 
stark in seinem Sinne verändert. Nur in einer Klage hat Dundes weiterhin recht: Seine Lieb- 
bngsmethode, der psychoanalytische Ansatz, erfreut sich keines besonderen Zuspruchs.
	        
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