Buchhesprechu ngen
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Die Lebensformanalyse, die die Gesellschaft als auf verschiedene Produktionsweisen ba
sierend interpretiert (S. 167), scheint ein diskussionswürdiger Ansatz zu sein, um den ver
streuten Ansätzen der Analyse gegenwärtiger Lebensverhältnisse ein theoretischeres Funda
ment zu geben. Auch die in mancherlei Hinsicht zu einseitig interpretierte Dichotomie des
Geschlechterverhältnisses erhält hier neue Impulse. Von den 12 vorangestellten empirischen
Beiträgen beschäftigen sich 11 mit gegenwartsbezogenen Analysen (u. a. Angestellte, Arbei
ter, türkische Einwanderfamilien, Heidebauern). An einem Beispiel, Frauen in Handwerk
und Handel im 18. Jahrhundert, wird die Brauchbarkeit des Konzepts auch für historische
Analysen überprüft, wobei eingeräumt wird, daß hier ein Beispiel gewählt wurde, das in
mancherlei Hinsicht bereits auf kapitalistischen Produktionsweisen beruht.
Die Einzelstudien sind anregend und informativ zu lesen. Sie stützen die theoretischen
Überlegungen und belegen die Forderung, diesem Konzept in Zukunft stärkter nachzuge
hen. Allerdings hätte sich der Leser Literaturhinweise gewünscht, die auf den dahinterste
henden soziologischen Forschungsansatz verwiesen hätten.
Freiburg Silke Göttsch
Fremdsein. Minderheiten und Gruppen in Hessen. Hess. Bll. f. Volks- und Kulturfor
schung, N.F. d. Hess. Bll. f. Volkskunde, Bd. 23. Hrsg, von der Hessischen Vereinigung für
Volkskunde durch ANDREAS C. BlMMER und HEINRICH J. DlNGELDEIN. Marburg: Jonas,
1988. 223 S. m.Abb.
Andreas Kuntz/BeaTRIX Pfleiderer (Hrsg.), Fremdheit und Migration. Berlin/Ham
burg, 1987. 260 S.
Das Verhältnis von Fremdsein und Ansässigkeit ist ein traditionelles Untersuchungsfeld
der deutschen Volkskunde. Dabei lassen sich drei Forschungsansätze herauskristallisieren:
Die sogenannte Gastarbeiterforschung, d. h. Untersuchungen zu ausländischen Arbeitern
in der Bundesrepublik, denen vor allem in den 60er und 70er Jahren viele bedeutsame Ana
lysen gewidmet waren, die teilweise auf die Rückverfolgung in die Herkunftsländer ausge
dehnt wurden. Mit dem Stichwort „Fremde im eigenen Land“ läßt sich ein weiterer For
schungsbereich umschreiben, der in Deutschland lebende ethnische und kulturelle Minder
heiten untersucht. Den dritten großen Komplex stellt die Flüchtlings- und Vertriebenen-
forschung der Nachkriegszeit dar.
Der erste hier vorzustellende Band konzentriert sich auf Hessen und widmet sich etwa
zu gleichen Teilen Themen des 18. wie 20. Jahrhunderts: Einleitend berichtet Alfred Höck
von Tirolern in Hessen. Ihnen bot das nach dem Dreißigjährigen Krieg verwüstete Land Ar
beitsmöglichkeiten als Bauhandwerker, die sie in ihrer überbevölkerten Heimat nicht fan
den. Den wenig bekannten Hugenottenort Hasselborn im 18. und 19. Jahrhundert skizziert
anschließend Werner Wagner. In seiner umfangreichen Studie behandelt Wolfram Schäfer die
m sich sehr heterogene Minderheit der „Mohren“, d. h. Farbigen im Kassel des 18. Jahrhun
derts. Die Situation türkischer Arbeitsmigranten in einem ländlichen Industriezentrum
Mittelhessens (Stadtallendorf) beleuchtet Georg Auernheimer, wobei er auch kulturelle
Aspekte einbezieht. Heinrich J. Dingeidein und Michael Krieger widmen sich der Geheim
sprache der Maurer in Momberg und deren Funktion als Gruppenkennzeichen und Solida