Buchbesprechungen
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Karl Ditt, Raum und Volkstum, Die Kulturpolitik des Provinzialverbandes Nordrhein-
Westfalen 1923-1945. Münster: Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung, 1988. 455 S. (Ver
öffentlichungen des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volksforschung des
Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Bd. 26).
Die von Karl Ditt vorgelegte Studie ist eine Auseinandersetzung und kritische Reflexion
über die Kulturpolitik in der Provinz Westfalen während der Weimarer Republik und der
Zeit des Nationalsozialismus. Der Autor formuliert sein erkenntnisleitendes Interesse wie
folgt: „Die Untersuchung kulturpolitischer Konzeptionen und Maßnahmen ist gerade für
die Weimarer Republik und das Dritte Reich ein lohnendes Thema, vollzog sich doch in die
sem Bereich ein Wandel von einem staatlich garantierten Pluralismus kultureller Aktivitä
ten zu einer weitgehenden Indoktrinierung der Bevölkerung. Diese Indoktrinierung war of
fenbar so effektiv, daß das Dritte Reich nicht von innen, sondern von außen gestürzt wurde.
Die Herkunft und Vermittlung der Grundwerte dieser Kulturpolitik und ihr Wandel zwi
schen der Weimarer Republik und dem Dritten Reich sollen am Beispiel einer regionalen
Selbstverwaltungsorganisation, des Provinzialverbandes Westfalen, untersucht werden“
(S. 14f.). Die so formulierte Aufgabe hat der Autor — dies sei bereits hier vorweggenommen
— in beeindruckender Weise gelöst. Die Leitfrage der Arbeit thematisiert die Entstehung
und Veränderung der provinziellen Kulturpolitik besonders in der Zeit des Nationalsozialis
mus; ein Forschungsfeld, das bis dahin weitgehend unbearbeitet war. Als Grundlage der Un
tersuchung hat der Autor auf die nahezu vollständig überlieferten Akten des Provinzialver
bandes Westfalen, seiner Kulturverwaltung, einzelner Einrichtungen und früherer Verwal
tungsbeamter zurückgreifen können.
In den beiden Hauptteilen stellt der Autor die Kulturpolitik in der Weimarer Republik
der des Dritten Reiches kritisch-vergleichend gegenüber. Die Abschnitte werden jeweils mit
Reflexionen über die jeweiligen geistesgeschichtlich-politischen Grundlagen eingeleitet, auf
denen der Aufbau und die Durchsetzung der kulturpolitischen Zielsetzungen in der Praxis
basieren. Anhand der wesentlichen Arbeitsbereiche der Kulturpraxis werden Inhalte, For
men und Wirkungen der sich verändernden Politik deutlich.
War die Grundlage der Kulturpolitik des Provinzialverbandes Westfalen in den 20er Jah
ren weitgehend neoromantischen Denkvorstellungen verhaftet und beschränkte sich folge
richtig auf die Pflege der regionalen kulturellen Überlieferungen, so sah man vorrangig ge
nuine Aufgabenfelder im Heimatschutz und der Volkstumspflege, der wissenschaftlichen
Landesforschung, der Forschung der bildenden Kunst sowie der Naturkunde und des Na
turschutzes.
Nach 1933 wurde der Provinzialverband gleichgeschaltet und die Kulturpolitik entspre
chend der nationalsozialistischen Ideologie neu organisiert. In dieser Zeit nahm die Kultur
politik des Provinzialverbandes weniger die Rolle des Widerstandes als die der Anpassung
und der Unterordnung unter die durch die Nationalsozialisten geschaffenen Bedingungen
e m. Der Autor kommt aufgrund seiner ausgezeichneten Materialkenntnis zu dem Ergebnis,
daß die Kulturpolitik des Provinzialverbandes letztlich sich zu einer Variante der NS-
Kulturpolitik entwickelt hat (vgl. S. 391 f.). Der Autor arbeitet allerdings gleichfalls heraus,
daß wissenschaftliche Standards, die seit den 20er Jahren erreicht waren, nicht aufgegeben
Wurden. Karl Ditt qualifiziert dies tendenziell als eine partielle Abschottung der Kulturpoli
tik des Provinzialverbandes gegenüber einer rein nationalsozialistischen Instrumentalisie-
rung.