Buchbesprechungen
In der Tat sind es vornehmlich staatswissenschaftliche Arbeiten gewesen, die mit ihrem
Ergründen von Arbeits- und Lebensbedingungen das Fundament für sozial-, aber auch kul
turhistorische Forschungen legten und die wir heute dankbar zur Hand nehmen. „Das
Staatswissenschaftliche ... markiert (nämlich) mehr als ein Etikett, als die Fachbezeich
nung im Sinne des akademischen Fächerkanons. Es ist Programm, Bekenntnis, bedeutet so
zialpolitische Bezüge und Parteinahme“, resümiert Christel Köhle-Hezinger (S. 285).
Ihr und dem Verleger Jürgen Schweier, der selbst von dem Werk „im ,Niemandsland'
zwischen Staatswissenschaft und Volkskunde“ (S. 306), tief beeindruckt war, ist es zu dan
ken, unter Mitwirkung zahlreicher Verbündeter, die Dissertation von Bidlingmaier nach
nunmehr über 70 Jahren abermals zugänglich gemacht zu haben. Daß zu den Informan-
ten(innen) und Mittuenden auch noch Verwandte Maria Bidlingmaiers zählten, dürfte nach
so langer Zeit ein besonderer Glücksfall sein.
Demgegenüber steht die Tragik der Situation der Erstauflage von 1918. Die Autorin hat
die Veröffentlichung ihrer „erheblich über das Durchschnittsmaß einer Dissertation hin-
aus(ragenden)“ Forschungsleistung - so s. Z. Professor Fuchs im Gutachten - nicht mehr
erlebt. Ein halbes Jahr nach ihrer Anstellung bei der Zentral-Einkaufsgesellschaft in Berlin
erlag die 34jährige im Januar 1917 einer schweren Lungenentzündung.
Die Untersuchung von Bidlingmaier zeichnet sich nach wie vor durch ihre Gleichzeitig
keit im Ungleichzeitigen aus, nun noch informativer durch neue Literaturhinweise von Au-
toren(innen) aus den alten Bundesländern sowie einen Bild- und Dokumentenanhang aus
Beständen des Familienbesitzes der Bidlingmaiers und des Tübinger Universitätsarchivs.
Mit diesen wichtigen Ergänzungen ist der sozialwissenschaftlich-kulturhistorische
„Klassiker“ mit ursprünglich nur 23 Literaturangaben zu einem Werk von verblüffend
„moderner“ Problematik geworden, das noch immer Maßstäbe zu setzen vermag. M. Bid
lingmaier bleibt nämlich keinesfalls bei der leidenschaftlich verfolgten Analyse des Bäuerin
nenalltags stehen. Sie zielt auf die Kenntnisnahme der von ihr vorgelegten Ergebnisse und
wünscht sich deren praktische Nutzanwendung. Der mitunter sehr emotional geprägte Stil
läßt deutlich erkennen, daß die Forschungsergebnisse auch für die Dörflerinnen und Dörf
ler selbst verständlich sein sollten. Zugleich ist der Band geprägt von einer unbedingten Par
teinahme für die stets hart arbeitenen Bäuerinnen.
Wissenschaft auch als Medium für Parteinahme - Carl J. Fuchs hatte diese Linie in Tü
bingen vorgezeichnet. Wie erfreulich, daß diese wegweisende Dissertation nun ihre Vorbild
wirkung fortsetzen kann.
Hamburg Sigrid Jacobeit
Annemarie LEPPIEN, Jörn-Peter LEPPIEN, Mädel-Landjahr in Schleswig-Holstein. Ein
blicke in ein Kapitel nationalsozialistischer Mädchenerziehung 1936-1940. Neumünster:
Karl Wachholtz, 1989. 144 S. m. 135 Abb.
Die regionalgeschichtliche Untersuchung zu den Mädchenlagern Wacken und Eddelak
itn Dithmarschen ist „Ergebnis der Zusammenarbeit“ zwischen einer ehemaligen Land
jahrführerin und einem Historiker. Sie ist zugleich Ertrag eines „kritisch-konstruktiven