Buchbesprechungen
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Bregenz mit „Bekleidungsgeschichte und Museum“. Eine Bilanz der letzten Tagung zeigte,
daß sich neue Inhalte und Fragestellungen in der Kleidungsforschung seit 1985 noch nicht
etabliert haben. Mit dem vorliegenden Aufsatzband wollen die Herausgeberinnen erneut
Denkanstöße zu sozialwissenschaftlich ausgerichteter Kleidungsforschung geben.
Es sind 14 sehr unterschiedliche Arbeiten, die sich mit den verschiedensten Themen von
Kleidung und Textilien befassen. Im ersten Aufsatz untersucht Gitta Böth den Begriff Mode
und das Verhältnis zur Volkskunde. Dann vergleicht Andreas Hartmann verschiedene histo
rische Bildausgaben der Altenburger Tracht aus dem späten 18. Jahrhundert und dem frü
hen 19. Jahrhundert. Die nächsten beiden Aufsätze von zwei französischen Museumskolle
ginnen, Yvonne Broutin und Monique Poulenc, bieten einen einführenden Überblick über
den Forschungsstand zur regionalspezifischen Kleidung und dem dazugehörigen Schmuck.
Die ersten Ergebnisse der Inventarisation und Kategorisierung liegen vor, zeigen aber deut
lich, daß noch mehr Material notwendig ist, um regionale Eigenheiten herauszufiltern. Der
Aufsatz von Elke Drengwitz schildert sehr spannend, wie Mode der großen Zentren Paris
und Berlin in modifizierter, also tragbarer Form für die verschiedenen Käuferschichten auf
bereitet und dann angeboten wird. Unsere heutige Mode, gezielt als gesunkenes Kulturgut
aufbereitet, wird hier vorgeführt und die sozialen und wirtschaftlichen Mechanismen dieses
kurzlebigen Sektors dargestellt. Es folgt ein Beitrag von Ingrid Heimann über Kleidung als
Zeichen. Ausgehend vom bürgerlichen Herrenanzug untersucht sie Hosen- bzw. Rockfor
men in Hinblick auf ihre Zeichenhaftigkeit und Bekleidungsplastizität. Ingeborg Weber-
Kellermann faßt in einem Überblick die Veränderungen in der Kleidung, ausgelöst von der
französischen Revolution, zusammen. Vor allem das Entstehen des regionalspezifischen
Kieidungsverhaltens, der kindgerechten Kleidung und der neuen bürgerlichen Moden wer
den aufgezeigt. Eine außerordentlich interessante Studie liefert Ulrike Heising-Piltzing. Das
Bühnenkostüm der Frauen, sowohl das Kleid wie auch beispielsweise der Hosenanzug Sarah
Bernhardts, machten um 1900 nicht nur Furore, sondern auch Mode. Daniel Devoucoux be
schreibt den Umgang mit Unterkleidern als Ausdruck bürgerlicher Mentalität in der Wil
helminischen Ara. Ein bislang kaum beleuchtetes Forschungsfeld stellt Gaby Mentges vor:
Konfektionskleidung der Firma Bleyle. Eingriffe des faschistischen Regimes der Nazis in
das Kleidungsverhalten des einzelnen sowie die Kleidungsbewirtschaftung im Zweiten Welt
krieg führt Sigrid Jacobeit in all ihren entsetzlichen Auswüchsen vor. L.M. Ballard vom Ul
ster Folk and Transport Museum berichtet von ihrer Sammeltätigkeit und ihren Forschun
gen zu irischen Spitzen und Quilts um 1900. Die beiden letzten Aufsätze von Andrea Re
chenberg und Sigrid Philipps verdeutlichen noch einmal, daß der Begriff „Tracht“ bei Laien
bzw. Museumsbesuchern nach wie vor mit romantischen und z. T. völlig falschen Ideen von
einer heilen, bäuerlichen Welt besetzt ist. Mit einer Ausstellung dagegen anzutreten und das
Bild zurechtzurücken, haben beide mit mehr oder weniger Erfolg versucht.
Viele neue Anregungen, vor allem zu bislang kaum beachteten Forschungsfeldern, wer
den geboten. Wenn die Beiträge nacheinander gelesen werden, dann fällt streckenweise die
Orientierung nicht leicht. Eine Sortierung der Aufsätze wäre sehr hilfreich. Es ist ratsam,
zuerst die Arbeiten von Gitta Böth und Ingeborg Weber-Kellermann zu lesen, dann bei
spielsweise die Studien der Museumskolleginnen und von Elke Drengwitz, Ingrid Heimann
und Ulrike Heising-Piltzing. Die drei letztgenannten Autorinnen liefern sicherlich die be
merkenswertesten Beiträge, weil sie nicht Volkskundlerinnen sind und somit von völlig an
deren Ansätzen ausgehen. Die Arbeiten der französischen Kolleginnen zeigen, daß zur Er
schließung von Material wieder auf die alten Methoden zurückgegriffen werden muß, um
eine solide Grundlage für weitere Auswertungen zu erhalten.