Gisela Welz
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tigste Stadtplaner und Landschaftsarchitekt der Zeit, sah seine Arbeit deutlich als
Instrument der Disziplinierung der „idle, thriftless, criminal and dangerous clas-
ses“. 18 Die Eindämmung des Straßenlebens der städtischen Unterschichten war für
ihn Programm: „What Olmsted understood als ,vile‘ about streets ... included the
distinct ways of life of working-class neighborhoods, the styles and games of Street
life which he perceived as threatening difference“. 19 Das Motiv der Kriminalisie
rung eines aus ökonomischer Not auf die Straße verlegten Alltagslebens, das, wie
sozialhistorische Studien von Christine Stanseil und Kathy Peiss zeigen, seine ge
schlechtsspezifische Zuspitzung in der Abstempelung von auf der Straße lebenden
und agierenden Frauen als Prostituierte fand 20 , kehrt im aktuellen amerikanischen
Mediendiskurs wieder. Ebenso wie die Uberlebenssicherung auf der Straße in den
Netzwerken informeller Gegenseitigkeitshilfe vor hundert Jahren wird heute das
Straßenleben gleichgesetzt mit Drogenkriminalität und Straßenraub. Auch die
stadtplanerische Zurichtung des Raumes hat in die Gegenwart hineinragende Aus
wirkungen. Richard Sennett analysiert das „grid“, die Ausstattung amerikanischer
Städte mit geraden, einander im rechten Winkel kreuzenden Straßen als Herr
schaftsinstrument, dem er allerdings — anders als den Haussmannschen Planun
gen für Paris — keine explizite militärische und polizeiliche Funktion zuschreibt.
Sennett folgert: „Der mit einem Gitternetz überzogene Raum erzeugt nicht nur ei
ne Leere, die anschließend erschlossen werden kann. Er unterwirft auch diejeni
gen, die in ihm leben müssen, und desorientiert sie in ihrer Fähigkeit, zu sehen und
Verhältnisse zu beurteilen. So betrachtet läuft die Planung neutraler Räume auf die
Beherrschung und Unterdrückung anderer hinaus“. 21 Diese in der Raumstruktur
der modernen amerikanischen Großstadt angelegte Desorientierung ihrer Bewoh
ner erfährt, folgt man Fredric Jamesons Beschreibung der durch postmoderne Ar
chitektur und städtische Veränderungsprozesse entstehenden Tiefenlosigkeit einer
Stadt wie Los Angeles, in der „postmodernen“ Stadt eine Zuspitzung. Die Groß
stadt, die zunehmend in ein „globales, multinationales, dezentriertes Kommunika
tionsgeflecht“ (Jameson) einbezogen wird und in sich sozialen und räumlichen
Fragmentierungsprozesses unterliegt, überschreitet „die Fähigkeit des individuel
len menschlichen Körpers ..., sich selbst zu lokalisieren, seine unmittelbare Um
gebung durch die Wahrnehmung zu strukturieren und kognitiv seine Position in
einer vermeßbaren äußeren Welt durch Wahrnehmung und Erkenntnis zu bestim
men“. 22 Die räumlichen Bedingungen einer nicht mehr in ihrer Gesamtheit erfaß
18 Zitiert nach Alan Trachtenberg: The Incorporation of America. Culture and Society in the Gilded
Age, New York 1982, S. 109.
19 Ebd. S. 10.
20 Christine Stanseil: City of Women. Sex and Class in New York, 1789-1860, New York 1986;
Kathy Peiss: Cheap Amüsements. Working Women and Leisure in Turn-of-the-Century New York,
Philadelphia 1986.
21 Sennett: Civitas, S. 86.
22 Frederic Jameson: Postmoderne. Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus. In: Andreas Juys-
sen/Klaus R. Scherpe (Hrsg.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbeck 1986,
S. 45-102, hier S. 89.