Skip to main content
Page Banner

Full Text: Zeitschrift für Volkskunde, 88.1992

Die Straße lebt. 
13 
baren städtischen Umwelt und die sozialen Bedingungen eines dominanten Dis 
kurses der Kriminalisierung sind der Kontext, in dem sich Street Life heute in New 
York manifestiert; die durch Städtebau und eine kulturelle Bestimmung dessen, 
was auf der Straße geschehen darf, geprägten Slumstraßen sind der Raum, in dem 
Menschen eine transitorische Praxis — das Street Life — und ephemere Spuren — 
die mit dem Street Life einhergehenden Graffiti — setzen. 
Es gibt verschiedene Möglichkeiten des Erklärens von Street Life: als funktiona 
le Umweltaneignungsstrategie unter defizitären Lebensbedingungen, als Praxis, die 
nicht die Verbindlichkeit einer allgemein geteilten Kultur hat, als Taktik, die Wi- 
derständigkeit ausdrückt, als Verstoß gegen die kulturell institutionalisierte Nut 
zungsform von Straßen, als kriminelle oder zumindest kriminogene Aktivität. All 
das sind Repräsentationen 23 von Street Life, die nebeneinander stehen können. Die 
se Repräsentationen sind aber weder gleich gültig noch in ihrer Verschiedenheit 
gleichgültig, das heißt, sie sind nicht mit dem gleichen Gewicht gesellschaftlicher 
Macht ausgestattet und nicht indifferent. Das in der Studie zum Street Life einer 
Straße in Bushwick gewählte kulturökologische Erklärungsmodell, das diese 
Handlungsform als sinnvolle und legitime Auseinandersetzung mit den Lebensbe 
dingungen im Slum postuliert, formuliert eine kulturanthropologische Gegendar 
stellung zur gesellschaftlich dominanten Bewertung des Street Life. Was in den Me 
dien, in der Vorstellungswelt von Vorstadtbewohnern, in den Richtlinien von So 
zialplanern und Stadtverwaltung als Unordnung, Nichtstun und Gefahrenquelle 
firmiert, wird kulturökologisch als funktional definiert. Der dabei eingesetzte Be 
griff der Funktionalität entspricht nicht dem von Marshall Sahlins vehement kriti 
sierten Leitbegriff des ethnologischen Funktionalismus und der frühen amerikani 
schen Kulturökologie, denen Sahlins zu Recht vorwirft, kulturelles Handeln auf 
eine praktische Vernunft zu reduzieren, die menschliche Kultur nur unter dem 
Aspekt eines instrumentalen Zugriffs auf Umwelt im Rahmen rationaler, zielge 
richteter Aktivitäten der Überlebenssicherung gelten läßt und die symbolische 
Ordnung im Säurebad der Instrumentalität auflöst. Der in der Untersuchung in 
Bushwick aufgenommenen Begriffe der Funktionalität entspricht eher der von 
Roy Rappaport eingeführten „ökologischen Rationalität“ bestimmter kultureller 
Handlungsmuster. Diese „ökologische Rationalität“ steht im Gegensatz zu einer 
»ökonomischen Rationalität“, die der Maximierung von unmittelbarem instru- 
mentellen Nutzen für Individuen und gesellschaftliche Teilgruppen gegen die In 
teressen der Gesellschaft bzw. des ökokulturellen Systems, in das sie eingeordnet 
tst, impliziert, und meint statt dessen ein kulturelles Handeln, das in sozialer Gegen 
Der die englischsprachige Diskussion um die Krise einer adäquaten Darstellungsform kultureller 
Wirklichkeiten prägende Begriff der „representation“ hat laut Stuart Hall zwei Dimensionen: 1. 
„how one images a reality that exists ,outside' the means by things are represented" und 2. „a radi 
cal displacement of that unproblematic notion of the concept of representation" (Stuart Hall: 
New Ethnicities, in Lisa Appignanesi (ed.), Post-modernism and the Question of Identity, ICA 
Documents, London 1987, S. 44-46.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.