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Full Text: Zeitschrift für Volkskunde, 88.1992

Die Umbenennung der Vergangenheit 
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sowohl auf der diachronen als auch auf der synchronen Ebene verstanden werden: 
vergleichbare Phänomene charakterisieren auch andere Ostblockländer und -Städ 
te, wo der Zusammenbruch des kommunistischen Systems zum durchgehenden 
Neuschreiben von verschiedenen Texten des National-Narrativs geführt hat. 8 
Verdrängung oder Bewältigung: Zwei Grundpositionen. 
Ausgangpunkt der Umbenennung der Vergangenheit in Ost-Berlin war eine 
Weitgehende Übereinstimmung bezüglich der Notwendigkeit, den Stadt-Text zu 
’demokratisieren“ und die Spuren der DDR-Vergangenheit aus der städtischen Ar- 
ehitextur zu beseitigen. 9 Doch was war unter ,undemokratischen“ Textelementen 
Zu verstehen? Und wer waren die historischen Persönlichkeiten, die vom Staat ver 
gessen werden sollten, die als Vertreter antidemokratischer Traditionen galten? Im 
Frühjahr 1990, kurz vor der Wahl, die zum Ende der SED-Administration führte, 
wurde dem Ostberliner Magistrat eine Liste mit 42 Umbenennungsvorschlägen 
präsentiert, während im Juni 1991 dem Gesamtberliner Senat eine Liste mit 190 Um- 
Fenennungsvorschlägen vorgelegt wurde. 10 Wie schon in früheren Fällen scheint 
es lm Grunde zwei Herangehensweisen zu geben: eine moderate und eine radikale. 
Allein diese beiden zu nennen, ist natürlich sehr schematisch, da es gleichzeitig ein 
fortlaufendes Spektrum unterschiedlicher Ansichten gab. Verglichen mit der Situa- 
tl0n in den 20er Jahren oder 1945/46 lag hier ein Rollentausch vor: 1945 befürwor 
te die Linke die radikale Vorgehensweise, während es 1991 die Konservativen wa- 
ren , die sich dafür aussprachen. 
Die beiden Vorgehensweisen sind an ihrer jeweiligen Terminologie zu erken 
nen. Wie vorauszusehen, gebrauchen die Befürworter einer radikalen Vorgehens- 
Weise eine schärfere Terminologie, wenn sie sich auf das vom Text zu entfernende 
Erbe beziehen. Sie nennen es die „stalinistische Diktatur des DDR-Regimes“ und 
^re Helden werden als „Feinde der Demokratie“ 11 oder gar als „Kriminelle“ 12 be 
zeichnet. Die noch extremeren Befürworter einer radikalen Vorgehensweise möch- 
ten uicht nur den Namen Lenin und andere Wortsymbole der kommunistischen 
Propaganda aus dem Text tilgen, sondern auch die „Helden“ der deutschen Soziali 
stischen Bewegung, darunter Marx, Engels, Rosa Luxemburg und Ernst Thäl 
mann. 13 Die Ironie dabei ist, daß diese Namen zwischenzeitlich auch in einigen 
Zu den Vorgängen in Ungarn siehe: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.1991. 
Eine direkte Demokratisierung 1 des Textes wurde im November 1990, d. h., einen Monat nach der 
Wiedervereinigung in Frankfurt (Oder) vorgenommen, als der ,Otto-Grotewohl-Platz‘ in ,Platz 
der Demokratie“ umgetauft wurde (Der Tagesspiegel, 10. November 1990). In den 20er Jahren be 
herrschte das republikanische Prinzip“ die symbolische Architextur in der Form von Plätzen und 
Spaßen der Republik, die in verschiedenen deutschen Städten erschienen. 
Berliner Zeitung, 4. 6. 1991. 
Berliner Zeitung, 4. 6. 1991. 
Eine von den Funktionären der Jungen Union gebrauchte Formulierung, siehe Der Tagesspiegel, 
!6. 6. 1991. 
Der Tagesspiegel, 27. 4. 1991.
	        
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